Trockene Kälte herrschte. Der gerade volle Mond strahlte die scharfe Helligkeit aus, die ihm im Winter eigen ist. Der Holzplatz wirkte in dieser Nacht nicht hohl und unheimlich wie in den Regennächten, sondern breitete sich, von großen, weißen Lichtfeldern erhellt, mit einer sanften Schwermut in der Stille und Regungslosigkeit des Frostes aus.
Der junge Bursche blieb einige Augenblicke am Rand des Grundstücks stehen und schaute argwöhnisch nach vorn. Unter seiner Jacke hielt er den Kolben einer langen Flinte verborgen, deren nach unten gerichteter Lauf im Mondlicht glänzte. Die Waffe an die Brust drückend, prüfte er mit aufmerksamen Blicken die Schattenvierecke, welche die Bretterstapel hinten im Hof warfen. Der Boden sah aus wie ein Schachbrett: von Schatten und Licht deutlich abgesetzte schwarze und weiße Felder. Mitten auf dem Hof hoben sich auf einem Stück grauen, nackten Erdreichs die Sägeböcke der Brettschneider ab, verzerrt, schmal, bizarr, wie eine ungeheure mit Tinte auf Papier gezeichnete geometrische Figur. Der übrige Zimmerplatz mit seinem Parkett aus Stämmen war nur noch ein breites Bett für die schlummernde Helligkeit, nur ganz leicht von den feinen, schwarzen Schattenlinien gestreift, die an den dicken Bohlen entlangliefen. Unter dem Wintermond erinnerte dieses Meer von Masten, die in dem eisigen Schweigen regungslos, wie erstarrt in Schlaf und Kälte, dalagen, an die Toten des alten Friedhofs. Der junge Bursche warf nur einen flüchtigen Blick auf diese leere Fläche: keine Menschenseele, kein Lüftchen, nicht die geringste Gefahr, gesehen oder gehört zu werden. Die dunklen Stellen hinten im Hof beunruhigten ihn mehr. Doch nach kurzer Prüfung wagte er sich ins Freie und überquerte schnell den Holzplatz.
Sobald er sich in Deckung fühlte, verlangsamte er seine Schritte. Er war jetzt in dem grünen Gang, der an der Mauer hinter den Bretterstößen entlangläuft. Hier vernahm er nicht einmal mehr das Geräusch der eigenen Schritte. Das gefrorene Gras unter seinen Füßen knisterte kaum. Ein Gefühl des Wohlbehagens schien sich seiner zu bemächtigen. Er mußte diesen Ort wohl gern haben, keinerlei Gefahr hier fürchten und nur Angenehmes und Gutes suchen. Jetzt verbarg er seine Flinte nicht mehr. Der Gang erstreckte sich gleich einem Schattengraben; hin und wieder glitt der Mondschein zwischen zwei Bretterhaufen hindurch und schnitt einen Lichtstreifen ins Gras. Alles, Schatten und Lichter, schlief einen tiefen, sanften und traurigen Schlaf. Ein Friede ohnegleichen lag auf diesem Pfade. Der junge Bursche folgte dem Weg in seiner ganzen Länge. Erst an seinem Ende, dort, wo die Mauern des JasMeiffren einen Winkel bilden, hielt er inne und lauschte, wie um zu hören, ob nicht irgendein Geräusch vom Nachbargrundstück herkäme. Dann, als er nichts vernahm, bückte er sich, schob ein Brett beiseite und verbarg sein Gewehr in einem Holzstoß.
In der Ecke dort lag ein alter Grabstein, der beim Räumen des ehemaligen Friedhofs vergessen worden war. Ein wenig schief auf den Boden gestellt, bildete er eine Art erhöhter Sitzbank. Der Regen hatte die Kanten zerbröckelt, das Moos zernagte ihn langsam. Trotzdem hätte man im Mondlicht noch den Überrest der auf der Vorderseite, die halb in der Erde steckte, eingemeißelten Inschrift lesen können: »Hier ruht … Marie … gestorben …« Die Zeit hatte das Weitere verwischt.
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