Groß von Wuchs, mit sanften und ernsten Zügen, war er von einer Redlichkeit des Denkens, einem Lerneifer, einem Bedürfnis nach Bescheidenheit, die zu dem fieberhaften Ehrgeiz und den wenig gewissenhaften Umtrieben seiner Familie in merkwürdigem Gegensatz standen. Nachdem er in Paris seine medizinischen Studien mit ausgezeichnetem Erfolg abgeschlossen hatte, war er, trotz der Anerbieten seiner Professoren, aus Neigung nach Plassans zurückgekehrt. Er schätzte das ruhige Leben in der Provinz und war der Meinung, für einen Gelehrten sei dieses Leben dem Pariser Getöse vorzuziehen. Selbst in Plassans bemühte er sich keineswegs, seine Praxis zu vergrößern. Sehr genügsam, da er das Geld gründlich verachtete, wußte er sich mit den wenigen Patienten zu begnügen, die ihm der bloße Zufall zuschickte. Sein ganzer Luxus bestand in einem kleinen hellen Haus in der Neustadt, wo er sich klösterlich abschloß und sich mit Liebe der Naturwissenschaft widmete. Vor allem interessierte er sich leidenschaftlich für Physiologie. Es war in der Stadt bekann, daß er dem Totengräber des Spitals des öfteren Leichen abkaufte, was ihm den Abscheu der zartfühlenden Damen und mancher ängstlicher Bürger eintrug. Glücklicherweise ging man nicht so weit, ihn für einen Zauberer zu halten, doch seine Praxis schrumpfte noch mehr zusammen; man sah in ihm einen Sonderling, dem die Leute der guten Gesellschaft nicht die Spitze des kleinen Fingers anvertrauen durften, ohne sich etwas zu vergeben. Eines Tages hörte man die Bürgermeistersfrau erklären: »Ich möchte lieber sterben, als mich von diesem Herrn behandeln zu lassen. Er riecht ja nach Tod!«
Von da ab war Pascal gerichtet. Er selber schien sich über die dumpfe Angst, die er einflößte, zu freuen. Je weniger Patienten er hatte, desto mehr konnte er sich seiner geliebten Wissenschaft widmen. Da er für seine Besuche ein sehr mäßiges Entgelt verlangte, blieben ihm die kleinen Leute treu. Er verdiente gerade seinen Lebensunterhalt und lebte zufrieden, tausend Meilen entfernt von den Leuten des Ortes, in der reinen Freude an seinen Untersuchungen und Entdeckungen. Von Zeit zu Zeit sandte er eine Denkschrift an die Akademie der Wissenschaften in Paris. Plassans wußte nichts davon, daß dieser Sonderling, dieser Herr, der nach Tod roch, in der gelehrten Welt ein sehr bekannter und sehr beachteter Mann war. Wenn man ihn am Sonntag zu einem Ausflug in die Berge der Garrigues aufbrechen sah, eine Botanisiertrommel um den Hals und den Geologenhammer in der Hand, dann zuckte man die Achseln und verglich ihn mit diesem oder jenem Arzt der Stadt, der so schöne Krawatten trug, so honigsüß mit den Damen redete und dessen Anzug immer ein köstlicher Veilchenduft entströmte. Auch von seinen Eltern wurde Pascal nicht besser verstanden. Als Félicité sah, auf welch seltsame und dürftige Weise er sich sein Leben einrichtete, war sie ganz bestürzt und warf ihm vor, daß er sie um ihre Hoffnungen betröge. Sie, die Aristides Trägheit duldete, weil sie sie für fruchtbar hielt, konnte nicht ohne Zorn die bescheidene Lebensweise Pascals sehen, seine Liebe für das Unauffällige, seine Mißachtung des Reichtums, seinen festen Entschluß, sich abseits zu halten. Dieses Kind würde bestimmt niemals ihre Eitelkeit befriedigen!
»Aber woher stammst du eigentlich?« sagte sie manchmal zu ihm. »Du gehörst gar nicht zu uns. Sieh deine Brüder an, sie versuchen doch wenigstens, aus der Ausbildung, die wir ihnen geben ließen, Nutzen zu ziehen. Du, du machst nichts als Torheiten. Du lohnst es uns wirklich schlecht, daß wir uns zugrunde gerichtet haben, um dich großzuziehen. Nein, du gehörst nicht zu uns.«
Pascal, der stets lieber lachte, als daß er sich ärgerte, antwortete heiter und mit feinem Spott:
»Laß gut sein und beklage dich nicht, ich habe keinesfalls die Absicht, euch gänzlich bankrott zu machen. Ich werde euch alle umsonst behandeln, wenn ihr einmal krank seid.«
Übrigens besuchte er, ohne den geringsten Widerwillen an den Tag zu legen, seine Familie nur selten, womit er unwillkürlich seiner persönlichen Neigung gehorchte. Bevor Aristide in die Unterpräfektur eingetreten war, hatte er ihn mehrmals unterstützt. Er war Junggeselle geblieben.
1 comment