Er hatte nicht einmal eine Ahnung von den ernsten Ereignissen, die sich vorbereiteten. Seit zwei oder drei Jahren beschäftigte er sich mit dem großen Problem der Vererbung, stellte Vergleiche zwischen den Tierarten und dem Menschen an und vertiefte sich in die merkwürdigen Ergebnisse, zu denen er gelangte. Die Beobachtungen, die er an sich selber und an seiner Familie gemacht hatte, bildeten gewissermaßen den Ausgangspunkt seiner Studien. Das einfache Volk begriff mit einem unbewußten Einfühlungsvermögen so gut, wie sehr er von den Rougons verschieden war, daß man ihn einfach »Herr Pascal« nannte, ohne je den Familiennamen hinzuzufügen.

Drei Jahre vor der Revolution von 1848 gaben Pierre und Félicité ihr Geschäft auf. Das Alter kam näher, sie hatten beide die Fünfzig überschritten und waren des Kämpfens müde. Angesichts ihrer geringen Erfolge fürchteten sie, noch an den Bettelstab zu kommen, wenn sie nicht nachgäben. Ihre Söhne hatten ihre Hoffnungen enttäuscht und ihnen dadurch den Gnadenstoß versetzt. Jetzt, da sie daran zweifelten, jemals durch sie reich zu werden, wollten sie sich wenigstens ein Stück Brot für ihre alten Tage sichern. Sie zogen sich mit etwa vierzigtausend Francs zurück. Diese Summe warf jährlich zweitausend Francs Zinsen ab, gerade genug, um das kärgliche Leben in der Provinz zu bestreiten. Glücklicherweise waren sie jetzt allein, denn es war ihnen gelungen, ihre Töchter Marthe und Sidonie zu verheiraten, die eine nach Marseille, die andere nach Paris.

Nach der Auflösung ihres Geschäfts wären sie gern in die Neustadt gezogen, das Viertel der Kaufleute, die sich zur Ruhe gesetzt haben, aber sie wagten es nicht. Ihr Einkommen war zu bescheiden, sie fürchteten dort keine gute Rolle zu spielen. Als eine Art Ausgleich mieteten sie eine Wohnung in der Rue de la Banne, jener Straße, die die Altstadt von der Neustadt trennt. Da ihre Behausung in der Häuserzeile lag, welche die Altstadt abgrenzt, wohnten sie allerdings noch im Stadtviertel des gemeinen Volkes, aber sie sahen doch von ihren Fenstern aus, nur wenige Schritte entfernt, die Stadt der reichen Leute; sie waren auf der Schwelle zum gelobten Land.

Ihre im zweiten Stockwerk gelegene Wohnung bestand aus drei großen Zimmern, daraus hatten sie ein Eßzimmer, einen Salon und ein Schlafzimmer gemacht. In der ersten Etage wohnte der Hausbesitzer, ein Stock und Schirmhändler, dessen Laden das Erdgeschoß einnahm. Das Haus war schmal und wenig tief und hatte nur zwei Stockwerke. Als Félicité einzog, krampfte sich ihr das Herz schrecklich zusammen. Bei andern Leuten wohnen ist in der Provinz ein Eingeständnis der Armut. Jede wohlhabende Familie in Plassans besitzt ein eigenes Haus, denn Grundstücke sind dort sehr billig. Pierre hielt den Daumen fest auf dem Säckel; er wollte nichts von Verschönerungen hören, die alten, verblichenen, abgenützten, wackligen Möbel mußten weiterdienen, ohne auch nur instand gesetzt zu werden. Félicité verstand die Gründe dieser Knauserei übrigens sehr gut und gab sich alle erdenkliche Mühe, dem ganzen Gerümpel einen neuen Glanz zu verleihen; einige besonders schadhafte Möbel nagelte sie selbst zusammen, sie flickte den zerschlissenen Samt der Sessel.

Das Eßzimmer, das ebenso wie die Küche nach dem Hof zu lag, blieb beinahe leer; ein Tisch und ein Dutzend Stühle verloren sich im Halbdunkel dieses großen Raumes, dessen Fenster auf die graue Mauer eines Nachbarhauses hinausging. Da nie jemand das Schlafzimmer betrat, verbarg Félicité dort alle Möbel, die nicht mehr gebraucht wurden; außer dem Bett, einem Kleiderschrank, einem Schreibtisch und einer Frisiertoilette sah man dort zwei aufeinandergestellte Wiegen, ein Büfett, an dem die Türen fehlten, und einen völlig leeren Bücherschrank, lauter ehrwürdigen Trödel, von dem sich die alte Frau nicht hatte trennen können. Dagegen galt ihre ganze Sorge dem Salon. Es gelang ihr beinahe, einen bewohnbaren Raum daraus zu machen. Er war ausgestattet mit Möbeln, in deren gelblichen Plüschbezug Atlasblumen eingewebt waren. In der Mitte befand sich ein einfüßiger Tisch mit einer Marmorplatte.