Besonders, wenn ihre Interessen auf dem Spiele stehen, töten diese Biedermänner hinter verschlossenen Türen mit Nasenstübern, so wie wir in aller Öffentlichkeit mit Kanonenschüssen töten.

Die politische Geschichte von Plassans zeigt, wie die sämtlicher kleiner Städte in der Provence, eine merkwürdige Eigentümlichkeit. Bis 1830 waren die Einwohner gläubige Katholiken und glühende Royalisten26; selbst das Volk schwor nur bei Gott und seinen rechtmäßigen Königen. Dann vollzog sich ein sonderbarer Umschwung: der Glaube verschwand, die Arbeiterbevölkerung und die Bürger verließen die Sache der Dynastie und ergaben sich nach und nach der großen demokratischen Bewegung unserer Zeit.

Als die Revolution von 1848 ausbrach, standen Adel und Geistlichkeit ganz allein mit ihren Bemühungen um einen Sieg Heinrichs V.27 Lange hatten sie die Thronbesteigung des Hauses Orléans28 als einen lächerlichen Versuch betrachtet, der früher oder später die Bourbonen29 wieder ans Ruder bringen würde; waren auch ihre Hoffnungen merklich erschüttert, so begannen sie dennoch den Kampf und setzten alles daran, ihre früheren Anhänger wiederzugewinnen, deren Abfall sie empört hatte. Von allen Pfarren unterstützt, machte sich das SaintMarcViertel ans Werk. In den Tagen nach der Februarrevolution war im Bürgertum, besonders aber unter dem einfachen Volk, die Begeisterung groß; diese Neulinge unter den Republikanern hatten es eilig, der Glut ihrer revolutionären Ideen Ausdruck zu geben. Aber bei den Rentiers der Neustadt hatte diese schöne Flamme nur den Glanz und die Dauer eines Strohfeuers. Die kleinen Grund oder Hausbesitzer, die Handelsleute, die sich zur Ruhe gesetzt hatten, alle, die unter der Monarchie bis in den hellen Tag hinein geschlafen oder ihr Vermögen vermehrt hatten, wurden bald von panischer Angst ergriffen; die Republik mit ihrem erschütterungsreichen Leben ließ sie um ihren Geldbeutel und um ihr geliebtes ichbezogenes Dasein zittern. So kam es, daß fast das gesamte Bürgertum von Plassans ins konservative Lager hinüberwechselte, als sich die klerikale Reaktion von 1849 ankündete. Hier wurde es mit offenen Armen empfangen. Niemals zuvor hatte die Neustadt so enge Beziehungen zum Saint MarcViertel gehabt; manche Adlige gingen sogar so weit, einem Rechtsanwalt oder einem ehemaligen Ölhändler die Fingerspitzen zu reichen. Diese nie erhoffte Vertraulichkeit begeisterte die Bewohner der Neustadt so, daß sie von nun an einen erbitterten Krieg gegen die republikanische Regierung führten. Um eine derartige Annäherung herbeizuführen, mußte der Klerus wahre Wunder an Geschicklichkeit und Geduld vollbringen. Im Grunde genommen lag der Adel von Plassans gleich einem Sterbenden an unheilbarer Entkräftung darnieder; er bewahrte zwar seinen Glauben, aber es war schon der letzte Schlaf über ihn gekommen. Er zog es vor, nicht von sich aus zu handeln, sondern den Himmel walten zu lassen. Am liebsten hätte er nur durch bloßes Schweigen protestiert, vielleicht aus dem unbestimmten Gefühl heraus, daß seine Götter tot waren und ihm nichts weiter zu tun blieb, als sich zu ihnen zu gesellen. Selbst in dieser Zeit allgemeinen Umsturzes, als die Katastrophe des Jahres 1848 den Adel für kurze Zeit die Rückkehr der Bourbonen erhoffen lassen konnte, erwies er sich als benommen und gleichgültig und sprach wohl davon, sich ins Kampfgetümmel zu stürzen, hätte jedoch nur mit Widerstreben den behaglichen Platz am Kamin verlassen. Die Geistlichkeit stritt unermüdlich gegen dieses Gefühl der Ohnmacht und Entsagung an. Sie tat es mit einer Art von Leidenschaft. Wenn ein Priester zu verzweifeln droht, kämpft er um so erbitterter; die ganze Politik der Kirche besteht darin, allen Widerständen zum Trotz geradeaus zu gehen, dabei die Verwirklichung ihrer Pläne notwendigenfalls um mehrere Jahrhunderte hinauszuschieben, aber nicht eine Stunde zu verlieren und mit einer stetigen Anstrengung immer vorzudringen. So wurde auch in Plassans die Reaktion durch den Klerus vorangetrieben. Der Adel gab nur seinen Namen dazu her, nichts weiter. Der Klerus versteckte sich hinter dem Adel; er wies ihn zurecht, lenkte ihn und verlieh ihm schließlich sogar ein künstliches Leben. Als er es erreicht hatte, daß der Adel seinen Widerwillen weit genug überwand, um mit dem Bürgertum gemeinsame Sache zu machen, hielt er das Spiel für gewonnen. Der Boden war wunderbar vorbereitet; diese alte Royalistenstadt, diese Bevölkerung von friedlichen Bürgern und ängstlichen Kaufleuten mußte sich zwangsläufig früher oder später der Ordnungspartei anschließen. Der Klerus mit seiner geschickten Taktik beschleunigte diese Wandlung. Nachdem er die Hausund Grundbesitzer der Neustadt gewonnen hatte, gelang es ihm sogar, die Kleinhändler der Altstadt zu überzeugen. Von nun an war die Reaktion Herrin der Stadt, In dieser Reaktion waren sämtliche Anschauungen vertreten, noch nie hatte man ein ähnliches Gemisch von verärgerten Liberalen, von Legitimisten30, Orléanisten31, Bonapartisten32 und Klerikalen gesehen. Aber das war zu jener Stunde nicht wichtig.