Es handelte sich einzig darum, die Republik umzubringen. Und die Republik lag in den letzten Zügen. Ein Bruchteil des Volkes nur – höchstens tausend Arbeiter von den zehntausend Seelen der Stadt – grüßte noch den Freiheitsbaum, der mitten auf dem Platz der Unterpräfektur gepflanzt worden war.
Die geriebensten Politiker von Plassans, diejenigen, die an der Spitze der reaktionären Bewegung standen, witterten das kommende Kaiserreich erst sehr spät. Die Volkstümlichkeit des Prinzen Louis Napoléon33 erschien ihnen als vorübergehende Schwärmerei der Menge, womit man leicht fertig werden würde. Die Persönlichkeit des Prinzen flößte ihnen nur mäßige Bewunderung ein. Sie hielten ihn für eine Null, einen Phantasten, für unfähig, die Hand auf Frankreich zu legen, geschweige denn, sich in der Herrschaft zu behaupten. Für sie war er nur ein Werkzeug, dessen sie sich zu bedienen gedachten, um reinen Tisch zu machen, und sie wollten ihn vor die Tür setzen, sobald die Stunde gekommen wäre, da sich der wahre Thronanwärter zeigen durfte. Indessen vergingen die Monate; sie wurden unruhig. Nun erst kam es ihnen undeutlich zum Bewußtsein, daß man sie hinterging. Aber man ließ ihnen keine Zeit, einen Entschluß zu fassen; der Staatsstreich donnerte über sie hinweg, und sie mußten Beifall klatschen.
Die große Metze, die Republik, war umgebracht. Das war immerhin ein Sieg. Klerus und Adel nahmen die Tatsachen mit Ergebung hin; sie verschoben die Verwirklichung ihrer Hoffnungen auf später und rächten sich für ihren Irrtum, indem sie sich mit den Bonapartisten verbanden, um auch noch die letzten Republikaner zu vernichten.
Diese Ereignisse begründeten das Glück der Familie Rougon. Sie war in die verschiedensten Phasen der Krise verwickelt und wurde auf den Trümmern der Freiheit groß. Die Republik war es, worauf sich diese auf der Lauer liegenden Banditen stürzten; nachdem die Republik erwürgt worden war, beteiligten sie sich an der Plünderung.
Gleich nach den Februartagen merkte Félicité, die feinste Nase der Familie, daß sie endlich auf der richtigen Fährte waren. Sie begann ihren Mann zu umschwirren, ihn anzustacheln, damit er sich rühre. Die ersten Revolutionsgerüchte hatten Pierre erschreckt. Doch als seine Frau ihm klarmachte, daß sie bei einem Umsturz wenig zu verlieren, aber viel zu gewinnen hätten, bekehrte er sich rasch zu ihrer Ansicht.
»Ich weiß zwar nicht, was du machen könntest«, wiederholte Félicité, »aber mir scheint es, man kann etwas machen. Hat uns nicht Herr de Carnavant neulich gesagt, er würde reich, wenn je Heinrich V. wiederkehrte, weil dieser König alle diejenigen fürstlich belohnen werde, die an seiner Wiedereinsetzung gearbeitet haben? Vielleicht liegt hier unser Glück. Es wäre an der Zeit, daß wir endlich eine glückliche Hand haben.«
Der Marquis de Carnavant, jener Adlige, der nach dem in der Stadt umlaufenden Klatsch nahe mit Félicités Mutter befreundet gewesen sein sollte, besuchte tatsächlich von Zeit zu Zeit das Ehepaar Rougon. Böse Zungen behaupteten, Frau Rougon habe Ähnlichkeit mit ihm. Der Marquis, damals fünfundsiebzig Jahre alt, war ein kleiner, hagerer, lebhafter Mann, von dem, wie es schien, die alternde Félicité Gesichtszüge und Bewegungen übernommen hatte. Man munkelte, Frauen hätten die letzten Reste seines Vermögens verzehrt, das zur Zeit der Emigration34 bereits vom Vater stark beansprucht worden war. Er gab seine Armut übrigens sehr bereitwillig zu. Einer seiner Verwandten, der Graf de Valqueyras, hatte ihn aufgenommen, und hier führte er ein Schmarotzerdasein, aß am Tisch des Grafen und hauste in der engen Dachwohnung des Herrenhauses.
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