Wenn Roudier nicht zugegen war, ging Félicité sogar so weit, zu behaupten, die JuliMonarchie40 sei schuld daran, daß sie mit ihrem Ölhandel kein Vermögen erworben hatten. Dadurch konnte sie ihrer Armut einen politischen Anstrich geben. Sie fand für jeden Schmeichelworte, selbst für Granoux, für den sie jeden Abend etwas Neues ersann, um ihn im Augenblick des allgemeinen Aufbruchs auf höfliche Art zu wecken.
Der gelbe Salon, dieser täglich wachsende Mittelpunkt für die Konservativen aller Richtungen, erlangte bald großen Einfluß. Durch die Verschiedenartigkeit seiner Mitglieder, namentlich aber durch den geheimen Antrieb, den ein jeder seitens der Geistlichkeit empfing, wurde er zum Zentrum der Reaktion, die auf ganz Plassans ausstrahlte. Infolge der Taktik des Marquis, der sich völlig im Hintergrund hielt, sah man Rougon als das Haupt dieser Clique an. Die Versammlungen fanden in seiner Wohnung statt, das genügte den wenig scharfsichtigen Augen der meisten, um ihn an die Spitze der Gruppe zu rücken und ihn der öffentlichen Aufmerksamkeit zu empfehlen. Man schrieb ihm die gesamte Tätigkeit zu, hielt ihn für die Hauptperson der Bewegung, die nach und nach auch die begeistertsten Republikaner von gestern der konservativen Partei zuführte. Es gibt gewisse Lagen, aus denen nur anrüchige Leute Vorteile ziehen können. Sie legen dort den Grund zu ihrem Glück, wo bessergestellte und einflußreichere Menschen nie gewagt hätten, das ihre aufs Spiel zu setzen. Gewiß schienen Roudier, Granoux und die andern durch ihre Stellung als reiche und geachtete Männer tausendmal geeigneter als Pierre für die Rolle eines Führers der konservativen Partei. Aber keiner von ihnen wäre bereit gewesen, aus seinem Salon einen politischen Treffpunkt zu machen, ihre Überzeugungen gingen nicht so weit, daß sie sich öffentlich bloßgestellt hätten, kurz, sie waren nur Schreihälse und Provinzklatschmäuler, die gern bei einem Nachbarn über die Republik herzogen, vorausgesetzt, daß der Nachbar die Verantwortung für ihre Tratschereien auf sich nahm. Das Spiel war zu gewagt. Im Bürgertum von Plassans konnten es nur die Rougons spielen, mit ihrer ungestillten Gier, die sie zu den äußersten Entschlüssen trieb.
Im April 1849 verließ Eugène plötzlich Paris und verbrachte vierzehn Tage bei seinem Vater. Den Zweck dieser Reise hat man nie genau erfahren. Es ist anzunehmen, daß Eugène seiner Vaterstadt auf den Zahn fühlen wollte, um festzustellen, ob er mit Erfolg als Abgeordneter bei der Gesetzgebenden Versammlung kandidieren könnte, die demnächst die Constituante41 ersetzen sollte. Er war zu klug, um es auf eine Schlappe ankommen zu lassen. Ohne Zweifel erschien ihm die öffentliche Meinung wenig günstig, denn er enthielt sich jedes Versuchs. Man wußte übrigens in Plassans nicht, was aus ihm geworden war und was er in Paris trieb. Bei seiner Ankunft fand man ihn weniger schwerfällig und verschlafen. Man drängte sich an ihn heran und versuchte, ihn zum Reden zu bringen. Er tat unwissend, deckte seine Karten nicht auf, zwang aber die andern, es zu tun. Gescheitere Köpfe hätten hinter diesem scheinbar müßigen Umherbummeln ein starkes Interesse für die politischen Ansichten der Stadt entdeckt. Er schien das Terrain mehr noch für eine Partei als für sich selber zu sondieren.
Obschon er auf jede persönliche Hoffnung verzichtet hatte, hielt er sich dennoch bis zum Ende des Monats in Plassans auf und war vor allen Dingen ein eifriger Teilnehmer an den Zusammenkünften im gelben Salon. Wenn der erste Besucher klingelte, saß er bereits in einer Fensternische, soweit wie möglich von der Lampe entfernt. Dort blieb er den ganzen Abend über, das Kinn in die rechte Hand gestützt, und lauschte andächtig. Die plumpesten Albernheiten ließen ihn unberührt. Zu allem nickte er zustimmend mit dem Kopf, auch zu dem empörten Geknurre von Granoux.
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