Fragte man ihn nach seiner Ansicht, so wiederholte er höflich die Meinung der Mehrheit. Nichts vermochte seine Geduld zu erschöpfen, weder die hohlen Phantastereien des Marquis, der von den Bourbonen sprach wie nach 1815, noch die bürgerlichen Herzensergüsse Roudiers, der mit Rührung die Sockenpaare aufzählte, die er dereinst dem Bürgerkönig geliefert hatte. Er schien sich im Gegenteil höchst wohl zu fühlen inmitten dieser babylonischen Verwirrung. Manchmal, wenn all diese komischen Käuze so recht nach Herzenslust über die Republik herfielen, sah man seine Augen lachen, ohne daß seine Lippen den Zug eines ernsten Mannes verloren. Sein aufmerksames Zuhören und seine stets gleichbleibende Liebenswürdigkeit hatten ihm die allgemeine Zuneigung gewonnen. Man hielt ihn für einen unbedeutenden, aber gutmütigen Menschen. Wenn einer der ehemaligen Öl oder Mandelhändler nicht wußte, wie er in diesem Stimmengewirr seinen Plan zur Rettung Frankreichs – wäre er das Staatsoberhaupt – anbringen sollte, so flüchtete er zu Eugène und schrie ihm seine herrlichen Absichten ins Ohr. Eugène nickte dann sanft, als sei er entzückt von den erhabenen Dingen, die er zu hören bekam. Nur Vuillet betrachtete ihn mißtrauisch. Dieser Buchhändler, zugleich Sakristan und Journalist, redete weniger als die andern, beobachtete dafür jedoch um so mehr. Er hatte bemerkt, daß der Rechtsanwalt zuweilen abseits mit dem Kommandanten Sicardot plauderte. Er nahm sich vor, die beiden zu überwachen, aber er konnte niemals auch nur ein einziges Wort erhaschen. Eugène brachte den Kommandanten mit einem Augenzwinkern zum Schweigen, sobald Vuillet in die Nähe kam. Seit dieser Zeit sprach Sicardot nur noch mit geheimnisvollem Lächeln von Napoleon.

Zwei Tage vor seiner Rückkehr nach Paris traf Eugène auf dem Cours Sauvaire seinen Bruder Aristide, der ihn eine Weile mit der Zudringlichkeit eines ratsuchenden Menschen begleitete. Aristide war in peinlicher Verlegenheit. Seit der Ausrufung der Republik hatte er die größte Begeisterung für die neue Regierung an den Tag gelegt. Sein Verstand, der durch die zwei Jahre Aufenthalt in Paris geschmeidiger geworden war, sah weiter als die verstopften Köpfe von Plassans; er erriet die Ohnmacht der Legitimisten und der Orléanisten, ohne klar zu sehen, welcher dritte Dieb die Republik zu rauben gedächte. Auf gut Glück hatte er sich auf die Seite der Sieger gestellt. Er hatte jede Verbindung mit seinem Vater abgebrochen und nannte ihn öffentlich einen alten Narren, einen greisenhaften Schwachkopf, der sich vom Adel beschwatzen lasse.

»Meine Mutter ist doch eine gescheite Frau«, fügte er hinzu. »Ich hätte sie nie für fähig gehalten, ihren Mann einer Partei zuzutreiben, deren Hoffnungen so unbegründet sind. Sie werden sich noch an den Bettelstab bringen. Aber Frauen verstehen ja nichts von Politik!«

Er selber wollte sich so teuer wie möglich verkaufen. Seine große Sorge war nun, rechtzeitig Wind zu bekommen, sich stets auf die Seite derer zu schlagen, die in der Stunde des Triumphes in der Lage seien, ihn herrlich zu belohnen. Leider tappte er völlig im dunkeln; er kam sich verloren vor, so weit hinten in der Provinz, ohne Kompaß, ohne genaue Hinweise. Einstweilen, bis ihm der Gang der Ereignisse den sicheren Weg weisen würde, behielt er die Haltung des begeisterten Republikaners bei, wie er sie vom ersten Tage an gezeigt hatte. Dank dieser Haltung blieb er bei der Unterpräfektur; man erhöhte sogar sein Gehalt. Da der Wunsch, eine Rolle zu spielen, ihm bald keine Ruhe mehr ließ, bewog er einen Buchhändler, einen Konkurrenten von Vuillet, ein demokratisches Blatt zu gründen, zu dessen eifrigsten Redakteuren er dann selbst gehörte. Unter seinem Antrieb führte die Zeitung »L˜Indépendant«42 einen erbarmungslosen Krieg gegen die Reaktion.