Zu jener Zeit beschäftigte er sich viel mit vergleichender Naturwissenschaft, wobei er die Beobachtungen, die er bei den Tieren zu machen vermochte, auf die Menschen übertrug. So kam es, daß er sich im gelben Salon an der Vorstellung ergötzte, in eine Menagerie geraten zu sein. Er stellte Ähnlichkeiten zwischen jedem dieser verschrobenen Leute und irgendeinem ihm bekannten Tier fest. Der Marquis mit seiner Magerkeit und seinem schmalen, pfiffig aussehenden Kopf erinnerte ihn ganz besonders an eine große, grüne Heuschrecke. Vuillet erschien ihm wie eine fahle, klebrige Kröte. Freundlicher ging er mit Roudier um, der für ihn ein fetter Hammel war, und mit dem Kommandanten, in dem er eine alte, zahnlose Dogge sah. Seine ständige Verwunderung aber galt dem erstaunlichen Granoux. Einen ganzen Abend verbrachte er damit, dessen Gesichtswinkel zu messen. Wenn er zuhörte, wie Granoux irgendein undeutliches Schimpfwort gegen die Republikaner, »diese Blutsäufer«, stammelte, war er immer darauf gefaßt, ihn wie ein Kalb greinen zu hören, und er konnte ihn nicht vom Stuhl aufstehen sehen, ohne sich vorzustellen, daß er gleich auf allen vieren zum Salon hinaustrotten werde.

»Beteilige dich doch am Gespräch«, flüsterte seine Mutter ihm zu, »versuche doch, diese Herren als Patienten zu bekommen!«

»Ich bin kein Tierarzt«, antwortete er schließlich, am Ende seiner Geduld angelangt.

Eines Abends zog ihn Félicité in eine Ecke und versuchte, ihm die Leviten zu lesen. Sie war glücklich darüber, ihn mit ziemlicher Regelmäßigkeit in ihr Haus kommen zu sehen. Sie glaubte ihn schon für die große Welt gewonnen, da sie sich keinen Augenblick das merkwürdige Vergnügen vorzustellen vermochte, das er genoß, wenn er reiche Leute lächerlich machte. Sie nährte den heimlichen Plan, den Modearzt von Plassans aus ihm zu machen. Es würde genügen, wenn Männer wie Granoux und Roudier bereit wären, ihn einzuführen. Vor allen Dingen wollte sie ihrem Sohn die politischen Ideen der Familie einflößen, da ihrer Ansicht nach ein Arzt nur gewinnen konnte, wenn er sich als warmer Parteigänger der Regierung ausgab, die der Republik folgen würde.

»Mein Freund«, sagte sie zu ihm, »da du ja jetzt Vernunft angenommen hast, mußt du auch an die Zukunft denken … Man wirft dir republikanische Gesinnung vor, weil du töricht genug bist, alle Bettler der Stadt umsonst zu behandeln. Sei aufrichtig, was ist eigentlich deine wirkliche politische Meinung?«

Pascal betrachtete seine Mutter mit naiver Verwunderung. Dann lächelte er und erwiderte:

»Meine wirkliche Meinung? Ich weiß nicht … Man wirft mir republikanische Gesinnung vor, sagst du? Nun, das kränkt mich nicht im mindesten. Sicherlich bin ich ein Republikaner, wenn man darunter einen Menschen versteht, der das Wohlergehen der ganzen Welt wünscht.«

»Aber auf diese Weise wirst du es zu nichts bringen«, unterbrach ihn Félicité lebhaft. »Man wird dich aussaugen. Sieh deine Brüder an, die suchen doch ihren Weg zu machen.«

Pascal begriff, daß er seinen Gelehrtenegoismus keineswegs zu verteidigen brauchte; seine Mutter verübelte ihm lediglich, daß er nicht auf die politische Lage spekulierte. Er lachte ein bißchen traurig und lenkte dann die Unterhaltung in andere Bahnen. Niemals gelang es Félicité, ihn dazu zu bringen, daß er mit den Aussichten der Parteien rechnete und sich zu derjenigen schlug, die die Oberhand zu gewinnen schien. Trotzdem brachte er auch weiter hie und da einen Abend im gelben Salon zu. Granoux interessierte ihn wie ein vorsintflutliches Tier.

Unterdessen nahmen die Ereignisse ihren Lauf. Das Jahr 1851 wurde für die Politiker von Plassans ein Jahr der Angst und der Bestürzung, woraus die geheime Sache der Rougons Nutzen zog. Aus Paris kamen die widersprechendsten Nachrichten; manchmal siegten die Republikaner, manchmal war die konservative Partei obenauf. Der Widerhall der Streitigkeiten, die die Gesetzgebende Versammlung entzweiten, gelangte bis in den hintersten Winkel der Provinz, heute vergrößert, morgen abgeschwächt, immer aber so verändert, daß auch die Hellsichtigsten in völligem Dunkel tappten.