Das einzige allgemeine Gefühl war, daß eine Lösung nahe bevorstehe. Und die völlige Unklarheit über die Art dieser Lösung hielt dieses feige Bürgervolk in aufgescheuchter Unruhe. Alle wünschten ein Ende dieses Zustandes herbei. Sie waren krank vor Ungewißheit; sie würden sich dem Großtürken in die Arme geworfen haben, wenn der Großtürke geruht hätte, Frankreich vor der Anarchie zu retten.

Das Lächeln des Marquis wurde immer spitzer. Eines Abends, als im gelben Salon die Angst Granoux zu völlig undeutlichem Geknurre veranlaßte, näherte er sich Félicité und flüsterte ihr ins Ohr:

»Mut, Kleine! Die Frucht ist reif … Aber ihr müßt euch nützlich machen.«

Oft schon hatte Félicité, die stets Eugènes Briefe las und wußte, daß von einem Tag auf den andern eine entscheidende Wendung eintreten konnte, die Notwendigkeit, sich nützlich zu machen, eingesehen und hatte sich gefragt, in welcher Weise die Rougons wohl Verwendung finden könnten. Schließlich zog sie den Marquis zu Rate.

»Alles hängt von den Ereignissen ab«, antwortete der kleine Greis. »Wenn das Departement ruhig bleibt, wenn keinerlei Aufstand Plassans erschreckt, wird es schwierig für euch werden, in Erscheinung zu treten und der neuen Regierung Dienste zu erweisen. In diesem Falle rate ich euch, zu Hause zu bleiben und in Frieden die Wohltaten eures Sohnes Eugène abzuwarten. Wenn aber das Volk aufsteht und unsere biederen Bürger sich bedroht glauben, dann gäbe es wohl eine hübsche Rolle zu spielen … Dein Gatte ist ein wenig schwerfällig …«

»Oho«, meinte Félicité, »ich nehme es auf mich, ihn beweglich zu machen … Glauben Sie, daß sich das Departement empören wird?«

»Meiner Ansicht nach bestimmt. Plassans selbst wird sich vielleicht nicht rühren, die Reaktion hat hier zu festen Fuß gefaßt. Aber die benachbarten Städte, namentlich die Marktflecken und die Dörfer werden schon lange von Geheimbünden bearbeitet und gehören der radikalen republikanischen Partei an. Sollte es zu einem Staatsstreich kommen, so wird man in der ganzen Gegend die Sturmglocken hören, von den SeilleWäldern bis zum Hochland von SainteRoure.«

Félicité wurde nachdenklich.

»So glauben Sie also, daß ein Aufstand notwendig ist, um unser Glück zu sichern?«

»Das ist meine Meinung«, antwortete Herr de Carnavant. Und mit einem leicht ironischen Lächeln fügte er hinzu: »Eine neue Dynastie läßt sich nur in einem großen Wirrwarr gründen. Blut ist ein guter Dünger. Es würde schön sein, wenn die Rougons wie manche berühmte Familie aus einem Blutbad aufstiegen.«

Diese von einem halben Grinsen begleiteten Worte ließen einen kalten Schauer über Félicités Rücken rieseln. Doch sie war ein Verstandesmensch, und der Anblick der schönen Vorhänge des Herrn Peirotte, die sie jeden Morgen mit Andacht betrachtete, hielt ihren Mut aufrecht. Sobald sie sich schwach werden fühlte, stellte sie sich ans Fenster und blickte auf das Haus des Steuerdirektors. Das waren ihre Tuilerien, ihre. Sie war zum Äußersten entschlossen, um in die Neustadt einziehen zu können, jenes gelobte Land, auf dessen Schwelle sie seit so vielen Jahren vor Sehnsucht brannte.

Durch die Unterhaltung mit dem Marquis war ihr die Lage völlig klar geworden. Wenige Tage später konnte sie in einem Brief von Eugène lesen, daß dieser Helfer beim Staatsstreich ebenfalls mit einem Aufstand rechnete, der dem Vater Ansehen verleihen könnte. Eugène wußte Bescheid in seinem Departement. All seine bisherigen Ratschläge hatten bezweckt, den Reaktionären des gelben Salons soviel Einfluß wie möglich in die Hände zu spielen, damit die Rougons im entscheidenden Augenblick in der Lage wären, die Stadt zu halten. Wenn es nach seinen Wünschen ging, hatte der gelbe Salon im November 1851 Plassans in seiner Gewalt. Roudier war der Vertreter des reichen Bürgertums; sein Verhalten würde mit Sicherheit das der gesamten Neustadt bestimmen. Granoux war noch wertvoller; er hatte den Stadtrat hinter sich, dessen einflußreichstes Mitglied er war, wonach man sich einen Begriff von den andern Mitgliedern machen kann. Durch den Kommandanten Sicardot endlich, dessen Ernennung zum Befehlshaber der Nationalgarde der Marquis durchgesetzt hatte, verfügte der gelbe Salon über die bewaffnete Macht.