Voll schmerzlicher Verwunderung schauten sie uns an, und wenn einer der Unsern zu ihnen redete, bebten sie in abergläubiger Furcht. Eine übernatürliche Macht schien sie vor den Mauern festzuhalten, die den Inka umschlossen; manche weinten, manche seufzten bloß still, manche lagen auf den Knien, das Haupt zwischen den Armen, und in der Nacht sah ich ihre Augen aus der Dunkelheit leuchten, indes von den Bergen herüber die klagenden Gesänge schallten.
Das ganze Reich war in Trauer und Verzweiflung.
Kapitel 10
Vom sechsten Tag ab übertrug mir der General die Bewachung des Inka, und zur Erfüllung dieses wichtigen Amtes erhielt ich den Befehl über fünfzehn der verläßlichsten Soldaten.
Ich konnte nun den Gefangenen zu jeder Zeit und aus nächster Nähe beobachten. Er seinerseits schenkte mir keinerlei Aufmerksamkeit; nur für einen einzigen unter uns schien er etwas wie Sympathie zu empfinden, nämlich für Hernando de Soto, der denn auch stets Zutritt bei ihm hatte. Der General sah es mit günstigen Augen, weil er auf diese Art
Gelegenheit erhalten wollte, sich über die Gedanken und Pläne des Inka zu unterrichten. De Soto gab sich viele Mühe mit ihm; seine Versuche, ihm unsere Sprache beizubringen und sich ihm verständlich zu machen, schlugen nicht gänzlich fehl.
Atahuallpa verbrachte die Nächte fast ohne Schlaf, mit gekreuzten Beinen auf den Fliesen kauernd. Es war, als geize er mit jedem Schritt und jeder Bewegung seiner Hand. Von den Speisen, die ihm vorgesetzt wurden, berührte er nur, was er zur Nahrung dringend bedurfte. Seinen Frauen schenkte er keinen Blick. Nur mit dem Prinzen Curacas sprach er bisweilen leise.
Der General erwies seinem königlichen Gefangenen eine überlegte Rücksicht und bemühte sich, den Trübsinn, der sich trotz des künstlichen Gleichmuts in seinen Mienen zeigte, zu verscheuchen. Bei seinem Kommen erhob sich der Inka und schaute ihn an, fragend, wartend, glühend, kalt.
Einmal geschah es, daß ihn Pizarro durch den Mund des Dolmetschers bat, sich von seinem Unglück nicht entmutigen zu lassen; zwar teile er das Los aller Fürsten, die sich den christlichen Männern widersetzt hätten, und dafür habe ihn der Himmel bestrafen wollen; aber die Spanier seien ein edelmütiges Volk und übten Gnade gegen die, die sich ihm reuig unterwürfen.
Da sah ich, und der General bemerkte es wohl ebenfalls, daß der Inka die goldne Schnalle an seinem Schuh betrachtete und daß das sonderbare Lächeln über seine Lippen glitt, von dem ich bereits gesprochen habe. Hierauf hob er ein wenig die linke Hand, und der Prinz Curacas, der neben ihm stand, ließ sich auf die Knie nieder und berührte die kaum ausgestreckten Finger bebend-zaghaft mit den Lippen.
Kapitel 11
Um in der Reihenfolge der Ereignisse zu bleiben, muß ich erzählen, wie der Prinz Curacas von einem meiner Soldaten bedrängt wurde und was sich dabei abspielte.
Es war am frühen Morgen, als der Jüngling sich anschickte, die Säulenhalle zu verlassen, weil er seinem Gebieter Früchte holen wollte, nach denen dieser Verlangen geäußert hatte. Der Soldat Pedro Alcon, der auf Posten stand, verweigerte ihm aber die Passage, und als ihm Curacas sein Vorhaben durch Gesten verständlich machen wollte, packte ihn Alcon bei der Schulter und schleuderte ihn zurück. In ausbrechendem Zorn schlug ihm Curacas mit der Faust ins Gesicht; darauf zog Pedro Alcon das Schwert, und Curacas wandte sich erschrocken zur Flucht. Der Soldat verfolgte ihn mit drohendem Geschrei, entschlossen, die Beleidigung blutig zu rächen.
Ich hatte mich soeben vom Schlaf erhoben, und als ich den Lärm hörte, eilte ich in das Gemach des Inka. Ich sah, daß er in eine bestimmte Richtung blickte, und als ich dorthin schaute, sah ich den Prinzen in windschnellem Lauf gegen das innere Gemach zustürzen. So zahlreich waren die Räume, durch die der Geängstigte lief, daß seine Gestalt zuerst nur ganz winzig erschien. Stumm, mit nach oben geworfenen Armen, rannte er wie ein Reh durch die lange Reihe der Zimmer, der Soldat schwerfällig, mit gezücktem Degen und dröhnenden Stiefeln, hinter ihm her. Endlich war Curacas bei seinem Gebieter angelangt, fiel vor ihm zu Boden und umklammerte seine Schenkel. Pedro Alcon, atemlos und schäumenden Mundes, wollte nach ihm greifen; ich rief ihm zu, sich zu besinnen; er achtete nicht darauf und sah mich grimmig an; da bedeckte Atahuallpa mit der Linken das Haupt seines Bruders, mit der Rechten wies er den wütenden Soldaten ab. Die Gebärde war so königlich, daß Pedro Alcon stutzte; aber nur einen Augenblick; dann schwang er mit wildem Fluch das Schwert, und es wäre um den schönen Knaben geschehen gewesen, wenn sich nicht zwei Sklavinnen vor ihn hingeworfen hätten, den Hieb aufzufangen. Die eine, am Hals getroffen, brach lautlos und blutüberströmt zusammen.
Da hielt Alcon inne. Sein Blick begegnete dem des Inka und forderte von ihm mit grausamer und dreister Hartnäckigkeit das Leben des Prinzen. Ich muß hier bemerken, daß unsere Leute in dieser Zeit durch die Aussicht auf den Besitz ungeheurer Schätze vielfach meuterisch gestimmt waren und daß wir Offiziere in unserer Befehlsgewalt vorsichtig verfahren mußten, um sie noch in der Hand zu behalten.
Die Linke noch immer über das Haupt seines Lieblings breitend, löste Atahuallpa mit der Rechten eine goldene Spange von seinem Kleid und reichte sie Pedro Alcon hin. Ich gewahrte, daß etwas Unsicheres in der Bewegung lag, etwas Zögerndes, als traue er dem Einfall nicht und wage nicht auf den Erfolg zu hoffen.
Alcon nahm das Schmuckstück, wog es auf der Hand und zuckte die Achseln. Der Inka streifte nun den dicken goldnen Reif vom linken Arm und gab ihn dem Soldaten. Der wog ihn wieder, preßte die Lippen zusammen und schaute unschlüssig vor sich hin. Da riß Atahuallpa mit einer ihm sonst nicht eigenen Hast die Kette aus Smaragden vom Hals und warf sie in die frech ausgestreckte Hand des Soldaten. Jetzt nickte Alcon zufrieden, verbarg die Schmuckstücke in seinem Lederwams und schob das Schwert in die Scheide.
Atahuallpa schaute ihn geblendet an, als ob ein Phantom Wirklichkeit geworden wäre. Denn nun war ihm ja der Beweis erbracht, daß man von den Fremdlingen für Gold sein Leben erkaufen konnte. Dies aber dünkte ihn so ungeheuerlich, daß er noch lange in dunklem Staunen stand, aus dem ihn nicht einmal das Wort seines Lieblings erwecken konnte.
Kapitel 12
Am nämlichen Tag kam der General mit mehreren Rittern zu Atahuallpa, um sich wegen des Vorfalls am Morgen bei ihm zu entschuldigen.
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