Erkennen wir also in der armen Hepzibah den – auf unserer Seite des Ozeans vielleicht zweihundert Jahre, auf der anderen dreimal so alten – Inbegriff einer Dame, samt Ahnenporträts, Stammbaum und Wappen, Schriftstücken und Traditionen und ihrem Anspruch als Miterbin auf fürstliches Land im Osten, das keine Wildnis mehr ist, sondern bevölkerter, fruchtbarer Boden. Sehen wir in ihr eine Pyncheon, an der Pyncheon Street, unter der Pyncheon-Ulme und im Haus der Pyncheons geboren, wo sie ihr ganzes Leben verbracht hat und nun zur Ladentante erniedrigt wird, die mit alltäglichem Kleinkram hausieren muss!
Die Eröffnung eines Kramladens ist fast der letzte Ausweg für Frauen in Lebensumständen, die mit jenen unserer unglücklichen Einsiedlerin irgendwie zu vergleichen sind. Näherin konnte sie mit ihren kurzsichtigen Augen und den zittrigen, ebenso steifen wie zarten Fingern nicht sein, obwohl auf ihrem über fünfzigjährigen Sticktuch ausgefallenste Zierstiche zu bewundern waren. Oft hatte sie auch an eine Kleinkinderschule gedacht und sich mit der Absicht, Lehrerin zu werden, wieder wie einst in die Neuengland-Fibel vertieft. Doch die Liebe zu Kindern hatte in Hepzibahs Herzen nie hell geglüht und war jetzt erkaltet oder gar erloschen; jedenfalls bezweifelte sie beim Anblick der Nachbarskinder von ihrem Stubenfenster aus, ob sie es ertragen würde, näher mit ihnen bekannt zu sein. Zudem ist heutzutage selbst das Abc zu einer zu komplizierten Wissenschaft geworden, als dass man es noch lehren könnte, indem man mit einer Nadel von einem Buchstaben zum nächsten zeigt. Ein heutiges Kind könnte der alten Hepzibah mehr beibringen als diese dem Kind. Also hatte die Ärmste– auch wenn es ihr immer wieder kalt wurde ums Herz, das sich beim Gedanken verkrampfte, mit den Niederungen der so lange gemiedenen Welt in Berührung zu kommen, von der jeder Tag des Alleinseins sie wie ein neuer Stein vor ihrer Klause stärker abschottete – an das alte Ladenfenster gedacht, die rostige Waage und die staubige Kasse. Vielleicht hätte sie noch etwas länger gezögert, aber ein weiterer noch nicht erwähnter Umstand hatte ihre Entscheidung vorangetrieben. Also hatte sie ihre bescheidenen Vorkehrungen pflichtschuldig getroffen, und nun sollte das Unternehmen begonnen werden. Sie hatte nicht einmal das Recht, sich über ein einzigartiges Schicksal zu beklagen, denn wir könnten in ihrer Geburtsstadt mehrere ähnliche kleine Läden aufzählen, manche in ebenso ehrwürdigen Häusern, wo da oder dort vielleicht auch eine verarmte Dame hinter der Theke stand, mit demselben grimmigen Familienstolz wie Miss Hepzibah Pyncheon.
Unwiderstehlich albern – geben wir es aufrichtig zu – war das Benehmen der Jungfer, als sie ihren Laden für das Publikum herrichtete. So vorsichtig stahl sie sich auf Zehenspitzen zum Fenster, als vermute sie hinter der Ulme einen blutrünstigen Schurken auf der Lauer, der ihr das Leben nehmen wolle. Sie streckte ihren langen, dünnen Arm weit aus und schob ein Brieflein Perlmuttknöpfe, eine Maultrommel oder sonst einen kleinen Gegenstand an seinen Bestimmungsort, um sich gleich darauf wieder ins Halbdunkel zurückzuziehen, als dürfte die Welt nicht hoffen, einen weiteren Blick auf sie zu erhaschen. Der Gedanke lag tatsächlich nahe, dass sie sich vorstellte, den Nöten der Gemeinde unsichtbar abzuhelfen, wie eine körperlose Gottheit oder Zauberin, die ihre Gaben dem ehrerbietigen, ehrfürchtigen Kunden in einer unsichtbaren Hand zum Kauf darbot. Doch Hepzibah hatte keinen solch schmeichelhaften Traum und wusste wohl, dass sie sich schließlich hinstellen und so, wie sie war, preisgeben musste; nur konnte sie es, wie viele empfindliche Menschen, nicht leiden, bei den Vorbereitungen dazu beobachtet zu werden, und wollte lieber wie ein Blitz die Augen der erstaunten Welt blenden.
Der unvermeidliche Augenblick ließ sich nicht viel länger hinausschieben. Man sah jetzt, wie die Sonne am Haus gegenüber die Fassade hinunterglitt, bis ein Widerschein von seinen Fenstern durch die Zweige der Ulme drang und mehr Licht ins Ladeninnere warf. Die Stadt schien zu erwachen. Schon war ein Bäckerwagen durch die Straße gerattert und hatte mit dem Geklingel seiner misstönenden Glocken der Nacht ihren letzten Rest Heiligkeit ausgetrieben. Ein Milchmann verteilte den Inhalt seiner Kannen von Tür zu Tür, und von Weitem hörte man um die Ecke das schrille Muschelhorn eines Fischhändlers. Keines dieser Zeichen entging Hepzibah. Der Moment war da. Weiter zu zögern hieße nur ihr Elend verlängern. Nichts blieb mehr übrig als die Ladentür zu entriegeln und damit den Eingang frei zu machen – nein, einladend zu öffnen, als wären sie alle Freunde des Hauses – für jeden Passanten, dem irgendein Artikel in der Auslage ins Auge stach. Diese letzte Handlung vollzog Hepzibah jetzt und ließ den Riegel mit einem Poltern fallen, das ihre überreizten Nerven wie ein schrecklicher Lärm erschütterte. Und als wäre damit die einzige Schranke zwischen ihr und der Welt gefallen und stürze nun eine Flut von Unheil durch die Lücke, floh sie in den inneren Salon, warf sich in den ehrwürdigen Armsessel und weinte.
Unsere bedauernswerte alte Hepzibah! Es missfällt einem Autor sehr, der sich bemüht, die Natur in all ihren Erscheinungsformen und Umständen mit realistischem Strich und in den echten Farben darzustellen, dass die reinste Erhabenheit, die sich im Leben finden lässt, hoffnungslos mit so viel Gewöhnlichem und Lächerlichem vermischt ist. Wie können wir etwa einer solchen Szene tragische Würde verleihen! Wie bringen wir es fertig, unserer Geschichte von der Sühne für einstige Sünde Größe zu verleihen, wenn wir gezwungen sind, als eine der Hauptfiguren nicht etwa eine junge, hübsche Frau – ja nicht einmal eine einstige Schönheit, würdevoll gramgebeugt – zu präsentieren, sondern eine hagere Jungfer mit fahlem Teint und knarrenden Gelenken, im Seidenkleid mit hoher Taille und einem monströsen Turban auf dem Kopf. Ihr Gesicht ist nicht einmal hässlich, und nur die kurzsichtig verkniffenen Brauen retten es vor der Belanglosigkeit. Und ist es wirklich die Tragik ihres Lebens, wenn sie nach sechzig Jahren Untätigkeit mit der Eröffnung eines Kramladens ein besseres Auskommen sucht? Doch wenn wir die Heldengeschichten der Menschheit anschauen, finden wir überall diese Vermischung des Gewöhnlichen und Banalen mit den edelsten Gefühlen der Freude oder des Leids. Das Leben besteht aus Marmor und aus Dreck. Und wäre unser Vertrauen in ein allumfassendes Erbarmen über uns nicht stärker, würden wir wohl mit gutem Grund ein beleidigend höhnisches Grinsen und eine grimmige Fratze im ehernen Antlitz des Schicksals vermuten.
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