«Sie sind ein Mann, ein junger Mann, und wurden wohl, wie fast alle Welt heutzutage, dazu erzogen, Ihr Glück zu machen. Aber ich wurde als Dame geboren und bin es immer geblieben, auch unter noch so bescheidenen Umständen, immer die Dame!»

«Ich hingegen wurde nicht als feiner Herr geboren und habe auch nie so gelebt», sagte Holgrave leise lächelnd, «also werden Sie, Madam, auch nicht von mir erwarten, dass ich für solche Empfindlichkeiten Verständnis zeige, auch wenn ich wohl ahne, wie es dazu kommt. In der Vergangenheit war es bedeutsam, ein Herr oder eine Dame zu sein, und der Titel verlieh seinen Trägern mehr oder weniger erstrebenswerte Vorteile. In der gegenwärtigen – und erst recht in der zukünftigen – Gesellschaft wird er aber kein Vorteil mehr sein, sondern ein Hindernis!»

«Das sind neue Ideen», meinte die alte Dame kopfschüttelnd. «Ich werde sie nie begreifen und will es auch gar nicht.»

«Reden wir also nicht mehr davon», antwortete der Künstler mit einem nun freundlicheren Lächeln, «und Sie sollen selber spüren, ob es nicht besser ist, eine richtige Frau zu sein als eine Dame. Glauben Sie denn, Miss Hepzibah, dass eine Dame Ihrer Familie, seit dieses Haus gegründet wurde, je eine so mutige Tat vollbracht hat wie Sie am heutigen Tag? Niemals, und wenn die Pyncheons immer so nobel gehandelt hätten, frage ich mich, ob der Fluch des alten Hexers Maule, von dem Sie mir einmal erzählten, bei der Vorsehung viel gegen sie hätte ausrichten können.»

«Ach – nein, nein!», sagte Hepzibah und nahm diese Anspielung auf die finstere Würde eines ererbten Fluchs keineswegs übel. «Wenn der Geist des alten Maule, oder ein Nachkomme von ihm, mich heute hinter der Theke sehen könnte, würde er dies die Erfüllung seiner ärgsten Wünsche nennen. Aber danke für Ihre Freundlichkeit, Mr. Holgrave, und ich werde mein Bestes geben, um eine gute Ladenbesitzerin zu sein.»

«Tun Sie das», sagte Holgrave, «und ich bitte um das Vergnügen, Ihr erster Kunde zu sein. Ich mache noch einen Spaziergang zum Strand, bevor ich ins Studio gehe und das gesegnete Himmelslicht dazu missbrauche, menschliche Gesichtszüge an den Tag zu bringen. Ein paar von den Keksen da, in Meerwasser gestippt, sind genau das Richtige für mich zum Frühstück. Was kostet ein halbes Dutzend?»

«Lassen Sie mich noch einen Augenblick eine Dame sein», antwortete Hepzibah mit altmodischer Würde, der ein melancholisches Lächeln eine gewisse Anmut verlieh. Sie drückte ihm das Gebäck in die Hand und wollte nichts dafür nehmen. «Es kommt nicht infrage, dass eine Pyncheon unter dem Dach ihrer Väter für ein Stück Brot Geld nimmt von ihrem einzigen Freund!»

Holgrave verabschiedete sich und ließ sie vorerst in weniger trübsinniger Stimmung zurück. Bald war diese aber fast wieder so tief wie zuvor gesunken. Mit klopfendem Herzen horchte sie auf die immer häufigeren Schritte der Frühaufsteher. Ein-, zweimal schienen sie innezuhalten, und die Fremden oder auch Nachbarn begutachteten die Spielsachen und hübschen Gebrauchsartikel in Hepzibahs Auslage. Es war für sie eine doppelte Tortur: Teils schämte sie sich abgrundtief, dass fremde, kalte Augen hier einfach starren durften, teils wurde sie von der lächerlichen Vorstellung geplagt, dass die Auslage nicht kunstvoll oder vorteilhaft genug hergerichtet sei. Es kam ihr vor, als würde eine andere Auswahl von Gegenständen oder ein schönerer Apfel anstelle der vielleicht doch nicht ganz makellosen Frucht über Erfolg oder Misserfolg Ihres Ladens entscheiden. Also nahm sie den Tausch vor und dachte gleich wieder, dass jetzt alles verdorben sei, ohne zu merken, dass es ihre Anspannung in der Krise und ihre altjüngferliche Zimperlichkeit waren, die das ganze scheinbare Unheil bewirkten.

Und nun trug sich gleich vor der Schwelle die Begegnung zweier Männer zu, offenbar Arbeiter, wie sich ihren rauen Stimmen entnehmen ließ. Nach einem kurzen Wortwechsel zwischen ihnen fiel dem einen die Auslage auf, und er machte den anderen darauf aufmerksam. «Sieh dir das an!», rief er. «Was sagst du denn dazu? Jetzt hält doch das Handelsleben an der Pyncheon Street Einzug!»

«Tja, das ist wahrhaftig ein Anblick!», rief der andere aus. «Im alten Haus der Pyncheons und unter der Pyncheon-Ulme! Wer hätte das gedacht? Die alte Pyncheon macht einen Kramladen auf!»

«Wird sie den in Schwung bringen, Dixey, was meinst du?», fragte sein Freund. «Der liegt hier doch gar nicht gut. Der nächste Laden ist gleich um die Ecke.»

«In Schwung bringen!», rief Dixey mit so verächtlicher Miene, als wäre der bloße Gedanke daran eine Zumutung. «Keine Spur! Nur schon ihr Gesicht – das hab’ ich gesehen, denn ich habe einmal den Garten für sie umgegraben – ihr Gesicht reicht schon, um den Leibhaftigen selbst zu erschrecken, wenn er sich herablassen würde, mit ihr zu feilschen. Die Leute ertragen das nicht, sag’ ich dir! Sie zieht eine schreckliche Fratze, mit oder ohne Grund, aus reinem Missmut!»

«Na, das will nicht so viel heißen», bemerkte der andere. «Diese griesgrämigen Leute sind sehr geschäftstüchtig und wissen ganz gut, was sie wollen. Aber es stimmt schon, ich glaub’ auch nicht, dass sie viel daraus macht.