Es gibt zu viel von diesen Kramläden und überhaupt Handel und Handwerk und Handarbeit. Ich weiß das, und es hat mich selbst was gekostet! Meine Frau hatte drei Monate einen Kramladen und hat fünf Dollar von ihrer Einlage verloren!»
«Ein schlechtes Geschäft!», meinte Dixey, und es klang, als schüttle er den Kopf dazu. «Ein ganz schlechtes Geschäft!»
Aus einem nicht ohne Weiteres verständlichen Grund hatte bei allem Leiden an der Sache noch nie ein so heftiger Schmerz Hepzibahs Herz erfasst wie beim Mithören dieses Gesprächs. Die Aussage zu ihrem finstern Gesicht war entsetzlich wichtig; sie schien ihr Bild ganz frei vom falschen Schein persönlicher Nachsicht zu zeichnen, und es war so hässlich, dass sie keinen Blick darauf wagte. Auch war sie unvernünftig gekränkt darüber, wie gleichgültig und ungerührt ihre Geschäftseröffnung – für sie eine Sensation – das Publikum, von den beiden Männern leidlich vertreten, offenbar ließ. Ein Blick, ein paar achtlose Worte, ein grobes Lachen, und schon war sie bestimmt vergessen, noch bevor die beiden um die nächste Ecke waren! Sie gaben nichts auf ihre Würde und ebenso wenig auf ihre Herabsetzung. Und schließlich fiel die Prophezeiung des Misserfolgs aus durch Erfahrung berufenem Mund auf ihre halb erstorbene Hoffnung wie ein Erdklumpen ins Grab. Die Frau dieses Mannes hatte dasselbe auch schon versucht und war gescheitert! Wie konnte die geborene Dame – ein halbes Leben lang in Klausur, sechzig Jahre alt und völlig unerfahren in weltlichen Dingen – wie konnte sie je vom Erfolg träumen, wenn diese Frau, eine abgebrühte, abgearbeitete Neuengländerin, vulgär, berechnend und tüchtig, fünf Dollar ihres geringen Einsatzes verloren hatte! Der Erfolg erschien ihr als ein Ding der Unmöglichkeit und die Hoffnung darauf als abenteuerliches Hirngespinst.
Ein bösartiger Geist tat sein Möglichstes, um Hepzibah noch ganz um den Verstand zu bringen, und ließ vor ihrem inneren Auge das Panorama einer städtischen Hauptstraße erstehen, in der es von Kundschaft wimmelte. So viele und prachtvolle Geschäfte gab es dort! Lebensmittel-, Spielzeug-, Textilienläden mit riesigen Schaufenstern, blendendem Zubehör und einem großen, kompletten Warenangebot, in das ein Vermögen gesteckt worden war; dazu an der Rückwand jedes Geschäfts elegante Spiegel, die mit einer glänzenden Fata Morgana all diesen Reichtum noch verdoppelten! Auf der einen Seite der Straße dieses prächtige Kaufhaus mit Heerscharen von parfümierten, herausgeputzten Verkäufern, die verbindlichst lächelten, sich verbeugten und Waren abmaßen. Auf der anderen Seite das verstaubte Haus mit den sieben Giebeln, mit der altmodischen Auslage unter dem vorspringenden Obergeschoss und mit Hepzibah selbst im verblichenen Schwarzseidenen hinter dem Ladentisch, die der vorbeiziehenden Welt Grimassen schnitt! Dieser starke Gegensatz bedrängte sie und schien ihr ein angemessenes Bild für die Schwierigkeiten, die sie beim Kampf um ein Auskommen zu gewärtigen hatte. Erfolg? Unsinn! Sie wollte niemals mehr daran denken! Das Haus mochte ebenso gut in ewigem Nebel versinken, während auf alle andern die Sonne schien, denn kein Fuß würde jemals über die Schwelle treten und keine Hand sich auch nur um den Türgriff legen!
Doch in diesem Augenblick schellte die Ladenglocke genau über ihrem Kopf wie verhext. Das Herz der alten Dame schien mit derselben Stahlfeder verbunden, denn es tat im selben Rhythmus ein paar unsanfte Hüpfer. Die Tür wurde aufgestoßen; dabei war auf der anderen Seite des halbhohen Fensters kein Mensch zu sehen. Doch Hepzibah blieb mit starrem Blick und gefalteten Händen stehen, ganz als hätte sie einen bösen Geist heraufbeschworen und wäre jetzt angstvoll entschlossen, die Begegnung zu wagen. «Der Himmel möge mir beistehen!», stöhnte sie innerlich. «Nun kommt meine Stunde der Not!»
Die Tür bewegte sich in ihren rostigen, ächzenden Angeln nur schwer, und als sie ganz aufgestoßen wurde, erschien ein stämmiger Knirps, mit Backen rot wie ein Apfel. Er war ziemlich schäbig gekleidet (doch anscheinend mehr aus Nachlässigkeit seiner Mutter als wegen der Armut des Vaters) und trug über der flatternden kurzen Hose eine blaue Schürze, dazu an den Zehen durchgelaufene Schuhe und einen Strohhut, durch dessen Löcher die Locken seines Wuschelkopfs hervorsahen. Unter seinem Arm steckten ein Buch und eine kleine Schiefertafel: Er war auf dem Schulweg. Eine Weile starrte er Hepzibah an, was wohl auch ein älterer Kunde getan hätte, der nicht wusste, was er mit der tragischen Pose und dem seltsam grimmigen Blick anfangen sollte, mit dem sie ihn betrachtete.
«Na, Kind», sagte sie und fasste sich angesichts der wenig einschüchternden Gestalt vor ihr ein Herz, «na, Kind, was wolltest du denn?»
«Den Jim Crow da im Fenster», antwortete der Bengel, streckte ihr einen Cent entgegen und wies auf den Pfefferkuchen, der ihm aufgefallen war, als er zur Schule trödelte, «der ohne gebrochenen Fuß.»
Also streckte Hepzibah ihren dünnen Arm nach dem Gebilde im Schaufenster aus und gab es ihrem ersten Kunden.
«Lass das Geld», sagte sie und schubste ihn zur Tür, denn in der alten Aristokratin sträubte sich alles beim Anblick der Kupfermünze, und außerdem schien es so schändlich, dem Kind für einen harten Pfefferkuchen das Taschengeld abzunehmen, «behalte deinen Cent. Du kannst Jim Crow haben.»
Der Junge machte runde Augen angesichts dieser Großzügigkeit, die ihm trotz zahlreicher Erfahrungen mit Kramläden noch nie begegnet war, nahm den Pfefferkuchenmann und ging hinaus. Und kaum stand er auf dem Gehsteig, steckte Jim Crows Kopf schon im Mund des kleinen Kannibalen. Weil er die Tür nicht richtig zugemacht hatte, musste Hepzibah sie schließen und schimpfte, wie lästig die jungen Leute doch seien, und kleine Jungs ganz besonders. Sie hatte eben den berühmten Jim Crow im Fenster ersetzt, als die Ladenglocke erneut lärmte und unter der wiederum ruckweise und ächzend aufgestoßenen Tür derselbe stämmige Knirps erschien, der vor genau zwei Minuten gegangen war. Die Spuren des eben vollzogenen kannibalischen Mahls waren noch überaus sichtbar: Sein Mund war voll Krümel und ganz verschmiert.
«Was ist denn jetzt, Kind?», fragte die Jungfer ziemlich ungeduldig. «Wolltest du die Tür richtig zumachen?»
«Nein», antwortete der Bengel und wies auf die eben ersetzte Figur. «Ich will den Jim Crow auch noch.»
«Gut, da hast du ihn», sagte Hepzibah und streckte die Hand aus; doch als ihr klar wurde, dass dieser hartnäckige Kunde nicht gehen würde, bevor sie keinen einzigen Pfefferkuchen mehr im Laden hatte, zog sie die ausgestreckte Hand halb wieder zurück: «Und wo ist der Cent?»
Der Knirps hielt den Cent bereit, hätte aber als echter Yankee lieber ein gutes als ein schlechtes Geschäft gemacht. Mit leicht bekümmerter Miene legte er die Münze in Hepzibahs Hand und ging, um den zweiten Jim Crow auf die Suche nach seinem Vorgänger zu schicken. Und die frischgebackene Krämerin ließ das erste greifbare Ergebnis ihrer Handelstätigkeit in die Kasse fallen. Es war geschehen. Die Kupfermünze hatte ihre Hände für immer besudelt.
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