Das Kaethchen von Heilbronn
Heinrich von Kleist
Das Kaethchen von Heilbronn
Ein großes historisches Ritterschauspiel
© 2009 buecher.de, Augsburg
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Ein großes historisches Ritterschauspiel
Personen:
Der Kaiser;
Gebhardt, Erzbischof von Worms;
Friedrich Wetter, Graf vom Strahl;
Gräfin Helena, seine Mutter;
Eleonore, ihre Nichte;
Ritter Flammberg, des Grafen Vasall;
Gottschalk, sein Knecht;
Brigitte, Haushälterin im gräflichen Schloß;
Kunigunde von Thurneck;
Rosalie, ihre Kammerzofe;
Sybille, deren Stiefmutter;
Theobald Friedeborn, Waffenschmied aus Heilbronn;
Käthchen, seine Tochter;
Gottfried Friedeborn, ihr Bräutigam;
Maximilian, Burggraf von Freiburg;
Georg von Waldstätten, sein Freund;
Ritter Schauermann und Ritter Wetzlaf, seine Vasallen;
Der Rheingraf vom Stein, Verlobter Kunigundens;
Friedrich von Herrnstadt und Eginhardt von der Wart, seine Freunde;
Graf Otto von der Flühe, Wenzel von Nachtheim und Hans von Bärenklau,
Räte des Kaisers und Richter des heimlichen Gerichts;
Jakob Pech, ein Gastwirt;
Drei Herren von Thurneck;
Kunigundens alte Tanten;
Ein Köhlerjunge;
Ein Nachtwächter;
Mehrere Ritter;
Ein Herold, zwei Köhler, Bedienten, Boten, Häscher, Knechte und Volk;
Die Handlung spielt in Schwaben
Erster Akt
Szene: Eine unterirdische Höhle, mit den Insignien des Vehmgerichts,
von einer Lampe erleuchtet.
Erster Auftritt
Graf Otto von der Flühe als Vorsitzer, Wenzel von Nachtheim, Hans von
Bärenklau als Beisassen, mehrere Grafen, Ritter und Herren, sämtlich
vermummt, Häscher mit Fackeln usw.--Theobald Friedeborn, Bürger aus
Heilbronn, als Kläger, Graf Wetter vom Strahl als Beklagter, stehen
vor den Schranken.
Graf Otto (steht auf). Wir, Richter des hohen, heimlichen Gerichts,
die wir, die irdischen Schergen Gottes, Vorläufer der geflügelten
Heere, die er in seinen Wolken mustert, den Frevel aufsuchen, da, wo
er, in der Höhle der Brust, gleich einem Molche verkrochen, vom Arm
weltlicher Gerechtigkeit nicht aufgefunden werden kann: wir rufen
dich, Theobald Friedeborn, ehrsamer und vielbekannter Waffenschmied
aus Heilbronn auf, deine Klage anzubringen gegen Friedrich, Graf
Wetter vom Strahle; denn dort, auf den ersten Ruf der heiligen Vehme,
von des Vehmherolds Hand dreimal, mit dem Griff des Gerichtsschwerts,
an die Tore seiner Burg, deinem Gesuch gemäß, ist er erschienen, und
fragt, was du willst? (Er setzt sich.)
Theobald Friedeborn. Ihr hohen, heiligen und geheimnisvollen Herren!
Hätte er, auf den ich klage, sich bei mir ausrüsten lassen--setzet
in Silber, von Kopf bis zu Fuß, oder in schwarzen Stahl, Schienen,
Schnallen und Ringe von Gold; und hätte nachher, wenn ich gesprochen:
Herr, bezahlt mich! geantwortet: Theobald! Was willst du? Ich bin
dir nichts schuldig; oder wäre er vor die Schranken meiner Obrigkeit
getreten, und hätte meine Ehre, mit der Zunge der Schlangen--oder
wäre er aus dem Dunkel mitternächtlicher Wälder herausgebrochen und
hätte mein Leben, mit Schwert und Dolch, angegriffen: so wahr mir
Gott helfe! ich glaube, ich hätte nicht vor euch geklagt. Ich erlitt,
in drei und funfzig Jahren, da ich lebe, so viel Unrecht, daß meiner
Seele Gefühl nun gegen seinen Stachel wie gepanzert ist; und während
ich Waffen schmiede, für andere, die die Mücken stechen, sag ich
selbst zum Skorpion: fort mit dir! und laß ihn fahren. Friedrich,
Graf Wetter vom Strahl, hat mir mein Kind verführt, meine Katharine.
Nehmt ihn, ihr irdischen Schergen Gottes, und überliefert ihn allen
geharnischten Scharen, die an den Pforten der Hölle stehen und ihre
glutroten Spieße schwenken: ich klage ihn schändlicher Zauberei,
aller Künste der schwarzen Nacht und der Verbrüderung mit dem Satan
an!
Graf Otto. Meister Theobald von Heilbronn! Erwäge wohl, was du
sagst. Du bringst vor, der Graf vom Strahl, uns vielfältig und von
guter Hand bekannt, habe dir dein Kind verführt. Du klagst ihn, hoff
ich, der Zauberei nicht an, weil er deines Kindes Herz von dir
abwendig gemacht? Weil er ein Mädchen, voll rascher Einbildungen,
mit einer Frage, wer sie sei? oder wohl gar mit dem bloßen Schein
seiner roten Wangen, unter dem Helmsturz hervorglühend, oder mit
irgend einer andern Kunst des hellen Mittags ausgeübt auf jedem
Jahrmarkt, für sich gewonnen hat?
Theobald. Es ist wahr, ihr Herren, ich sah ihn nicht zur Nachtzeit,
an Mooren und schilfreichen Gestaden, oder wo sonst des Menschen Fuß
selten erscheint, umherwandeln und mit den Irrlichtern Verkehr
treiben. Ich fand ihn nicht auf den Spitzen der Gebirge, den
Zauberstab in der Hand, das unsichtbare Reich der Luft abmessen, oder
in unterirdischen Höhlen, die kein Strahl erhellt,
Beschwörungsformeln aus dem Staub heraufmurmeln. Ich sah den Satan
und die Scharen, deren Verbrüderten ich ihn nannte, mit Hörnern,
Schwänzen und Klauen, wie sie zu Heilbronn, über dem Altar abgebildet
sind, an seiner Seite nicht. Wenn ihr mich gleichwohl reden lassen
wollt, so denke ich es durch eine schlichte Erzählung dessen, was
sich zugetragen, dahin zu bringen, daß ihr aufbrecht, und ruft:
unsrer sind dreizehn und der vierzehnte ist der Teufel! zu den Türen
rennt und den Wald, der diese Höhle umgibt, auf dreihundert Schritte
im Umkreis, mit euren Taftmänteln und Federhüten besäet.
Graf Otto. Nun, du alter, wilder Kläger! so rede!
Theobald. Zuvörderst müßt ihr wissen, ihr Herren, daß mein Käthchen
Ostern, die nun verflossen, funfzehn Jahre alt war; gesund an Leib
und Seele, wie die ersten Menschen, die geboren worden sein mögen;
ein Kind recht nach der Lust Gottes, das heraufging aus der Wüsten,
am stillen Feierabend meines Lebens, wie ein gerader Rauch von
Myrrhen und Wachholdern! Ein Wesen von zarterer, frommerer und
lieberer Art müßt ihr euch nicht denken, und kämt ihr, auf Flügeln
der Einbildung, zu den lieben, kleinen Engeln, die, mit hellen Augen,
aus den Wolken, unter Gottes Händen und Füßen hervorgucken. Ging sie
in ihrem bürgerlichen Schmuck über die Straße, den Strohhut auf, von
gelbem Lack erglänzend, das schwarzsamtene Leibchen, das ihre Brust
umschloß, mit feinen Silberkettlein behängt: so lief es flüsternd von
allen Fenstern herab: das ist das Käthchen von Heilbronn; das
Käthchen von Heilbronn, ihr Herren, als ob der Himmel von Schwaben
sie erzeugt, und von seinem Kuß geschwängert, die Stadt, die unter
ihm liegt, sie geboren hätte. Vettern und Basen, mit welchen die
Verwandtschaft, seit drei Menschengeschlechtern, vergessen worden war,
nannten sie, auf Kindtaufen und Hochzeiten, ihr liebes Mühmchen, ihr
liebes Bäschen; der ganze Markt, auf dem wir wohnten, erschien an
ihrem Namenstage, und bedrängte sich und wetteiferte sie zu
beschenken; wer sie nur einmal, gesehen und einen Gruß im
Vorübergehen von ihr empfangen hatte, schloß sie acht folgende Tage
lang, als ob sie ihn gebessert hätte, in sein Gebet ein.
Eigentümerin eines Landguts, das ihr der Großvater, mit Ausschluß
meiner, als einem Goldkinde, dem er sich liebreich bezeigen wollte,
vermacht hatte, war sie schon unabhängig von mir, eine der
wohlhabendsten Bürgerinnen der Stadt. Fünf Söhne wackerer Bürger,
bis in den Tod von ihrem Werte gerührt, hatten nun schon um sie
angehalten; die Ritter, die durch die Stadt zogen, weinten, daß sie
kein Fräulein war; ach, und wäre sie eines gewesen, das Morgenland
wäre aufgebrochen, und hätte Perlen und Edelgesteine, von Mohren
getragen, zu ihren Füßen gelegt. Aber sowohl ihre, als meine Seele,
bewahrte der Himmel vor Stolz; und weil Gottfried Friedeborn, der
junge Landmann, dessen Güter das ihrige umgrenzen, sie zum Weibe
begehrte, und sie auf meine Frage: Katharine, willt du ihn?
antwortete: Vater! Dein Wille sei meiner; so sagte ich: der Herr
segne euch! und weinte und jauchzte, und beschloß, Ostern, die kommen,
sie nun zur Kirche zu bringen.--So war sie, ihr Herren, bevor sie
mir dieser entführte.
Graf Otto. Nun? Und wodurch entführte er sie dir? Durch welche
Mittel hat er sie dir und dem Pfade, auf welchen du sie geführt
hattest, wieder entrissen?
Theobald. Durch welche Mittel?--Ihr Herren, wenn ich das sagen
könnte, so begriffen es diese fünf Sinne, und so ständ ich nicht vor
euch und klagte auf alle, mir unbegreiflichen, Greuel der Hölle. Was
soll ich vorbringen, wenn ihr mich fragt, durch welche Mittel? Hat
er sie am Brunnen getroffen, wenn sie Wasser schöpfte, und gesagt:
Lieb Mädel, wer bist du? hat er sich an den Pfeiler gestellt, wenn
sie aus der Mette kam, und gefragt: Lieb Mädel, wo wohnst du? hat er
sich, bei nächtlicher Weile, an ihr Fenster geschlichen, und, indem
er ihr einen Halsschmuck umgehängt, gesagt: Lieb Mädel, wo ruhst du?
Ihr hochheiligen Herren, damit war sie nicht zu gewinnen! Den
Judaskuß erriet unser Heiland nicht rascher, als sie solche Künste.
Nicht mit Augen, seit sie geboren ward, hat sie ihn gesehen; ihren
Rücken, und das Mal darauf, das sie von ihrer seligen Mutter erbte,
kannte sie besser, als ihn. (Er weint.)
Graf Otto (nach einer Pause). Und gleichwohl, wenn er sie verführt
hat, du wunderlicher Alter, so muß es wann und irgendwo geschehen
sein?
Theobald. Heiligen Abend vor Pfingsten, da er auf fünf Minuten in
meine Werkstatt kam, um sich, wie er sagte, eine Eisenschiene, die
ihm zwischen Schulter und Brust losgegangen war, wieder
zusammenheften zu lassen,
Wenzel. Was!
Hans. Am hellen Mittag?
Wenzel. Da er auf fünf Minuten in deine Werkstatt kam, um sich eine
Brustschiene anheften zu lassen?
(Pause.)
Graf Otto. Fasse dich, Alter, und erzähle den Hergang.
Theobald (indem er sich die Augen trocknet). Es mochte ohngefähr
eilf Uhr morgens sein, als er, mit einem Troß Reisiger, vor mein Haus
sprengte, rasselnd, der Erzgepanzerte, vom Pferd stieg, und in meine
Werkstatt trat: das Haupt tief herab neigt' er, um mit den
Reiherbüschen, die ihm vom Helm niederwankten, durch die Tür zu
kommen. Meister, schau her, spricht er: dem Pfalzgrafen, der eure
Wälle niederreißen will, zieh ich entgegen; die Lust, ihn zu treffen,
sprengt mir die Schienen; nimm Eisen und Draht, ohne daß ich mich zu
entkleiden brauche, und heft sie mir wieder zusammen.
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