Benachrichtige den Anführer von der Lage, in der ich mich befinde, und es kann wohl geschehen, daß die Begegnung mit dem Herrn zu Deinem Glück ausschlägt.«
Als er Halbert den Brief durch die enge Oeffnung gereicht hatte, setzte er hinzu: »Und nun, mein Sohn, ziehe mit dem Segen Gottes weiter und vollende das Werk, das er mit seiner unendlichen Güte in die Wege geleitet hat.«
»Amen!« sprach Halbert und schritt ohne weiteres Säumen zur Ausführung seines Planes.
An dem Felsen hinunter zu klimmen bis zum Seespiegel, erschien ihm bei der herrschenden Finsternis zu gefahrvoll; er besann sich deshalb schnell eines andern und schlug die Hände über den Kopf, um mit einem kühnen Sprunge von dem Felsen in den See hinunter zu tauchen. Das Wasser schlug hoch über ihm zusammen, aber solcher Uebung gewohnt, tauchte er wie ein Wasserhuhn wieder empor und schwamm, wenngleich das Schwert ihn hinderte, mit kräftigen Stößen in nördlicher Richtung durch den See. Am Lande angelangt, warf er noch einen Blick nach der Burg zurück. Da ward er inne, daß dort Lärm entstand; er hörte, wie die Zugbrücke niedergelassen wurde, dann Pferdegetrappel über den Damm hinüber, dann sah er, wie die Fenster eins nach dem andern hell wurden. Aber vor einer Verfolgung in der Finsternis hatte er wenig Bange, er wand das Wasser aus den Kleidern, watete durch den Morast, der sich zwischen dem Seeufer und der Heide dehnte, und eilte, vom Polarstern geleitet, in nordöstlicher Richtung von dannen.
Achtes Kapitel.
Im Turme von Glendearg war es mittlerweile auch seltsamlich hergegangen. Das Mittagessen war mit aller Sorgfalt hergerichtet worden. Die Witwe war hierbei von Tibb und Mysie eifrig unterstützt worden.
»Ob sie wohl bald wieder da sein werden?« fragte Frau Elspath nach einer Weile. »Du warst doch vorhin draußen, Mysie?«
»Freilich, aber ich hab bloß nach der jungen Lady geguckt, die ist nicht recht wohl und hat sich hingelegt.«
»Aber Ihr wart doch auch am Brunnen,« sagte die Tibbie. »Habt Ihr auch dort nichts gesehen?«
»Nicht das geringste,« antwortete Mysie; »wären sie auf der Rückkehr, hätt man die weiße Feder des englischen Ritters doch über dem Buschwerk sehen müssen.«
»Dem Englischen seine weiße Feder?« fragte Frau Glendinning; »Du einfältiges Ding Du! da sieht man doch früher von meinem Halbert den Kopf, als von dem kleinen Gernegroß die Feder! und wenn sie auch noch so weiß ist!«
»Na, wenn sie nicht bald wieder da sind, dann müssen sie eben alles essen, wie es ist,« sagte die Tibbie; »der Küchenjunge kann ja kaum noch den Spieß drehen. Geh, Junge, schöpf ein bißchen Luft! ich will den Spieß so lange drehen, bis Du wieder da bist.«
»Lauf auf die Zinne hinauf, Bursche,« sagte Frau Glendinning, »dort ist die Luft frischer als drinnen vorm Tore. Halt Ausschau und sag uns, wenn mein Halbert mit dem Ritter ins Tal hinunter kommt.«
Der Knabe blieb so lange, daß die Tibbie es bitter bereute, ihn weggeschickt zu haben. Endlich kam er aber mit dem Bescheide wieder, daß nicht das geringste sichtbar sei, so weit man sehen könne.
So verging unter allerhand Mutmaßungen darüber, was die Jäger wohl aufhalten möge, die Zeit bis etwa zur vierten Stunde. Die Turmleute hatten hastig ein paar Bissen zu sich genommen, alles aber so weit zugerichtet, daß das Essen jederzeit aufgetragen werden konnte. Da kam statt der erwarteten Jäger ein andrer Besuch, und zwar einer, dessen man sich am allerwenigsten versehen hätte, der Unterprior Pater Eustachius. Der Auftritt vom vorigen Tage war ihm nicht aus dem Sinne gekommen, das Schicksal der Familie zu Glendearg ging ihm sehr zu Herzen, zudem mußte der Klosterbrüderschaft daran liegen, daß es zwischen Sir Piercie Shafton und dem jungen Glendinning nicht zu einem ernstlichen Konflikte käme, denn alles, was die Aufmerksamkeit der äußern Welt auf den Ritter lenken konnte, mußte dem Kloster unfehlbar zum Nachteil sein, das sich ohnehin von schwerer Gefahr bedroht sah.
Der Prior traf die Familie in der Halle beisammen, bloß Mary Avenel fehlte, und nun erst erfuhr er, daß Halbert Glendinning mit dem Ritter auf die Jagd gegangen sei, daß sie aber noch nicht zurückgekehrt seien. Zu Beunruhigung konnte dies aber kein sonderlicher Anlaß sein, denn wann pflegten Jugend und Weidwerk sich an Zeit und Stunde zu binden? ... Der Prior ließ sich mit Edward in ein Gespräch ein über die Fortschritte, die er letzterzeit in seinen Studien gemacht habe, und dieses Gespräch mochte wohl ein halbes Stündchen gedauert haben, als aus dem Zimmer, das von Mary Avenel bewohnt wurde ein lauter Schrei ertönte. Alles stürzte erschrocken dorthin. Mary lag ohnmächtig in den Händen des alten Martin, der sich in herbem Schmerz anklagte, Ursache zu ihrem Tode geworden zu sein. Und es sah auch wirklich ganz danach aus, als ob der Tod hier Einkehr gehalten habe, denn die junge Dame lag starr auf dem Boden, alle Farbe war aus ihrem Antlitz gewichen und ihre Augen waren geschlossen. Edward trug sie an das Fenster, um die frische Luft auf sie wirken zu lassen. Der Prior, der, wie viele seiner Amtsbrüder, einige Kenntnisse in der Heilkunde hatte, suchte soviel wie möglich zu helfen, und die erschrocknen Frauen suchten, während sie sich dabei oft hinderlich wurden, allerhand Weisen vor, die Dame wieder zu sich zu bringen.
»Das ist wieder einer von den vielen Geistern gewesen, die in ihr das Wesen treiben,« meinte Frau Glendinning.
»Sie zittert genau so am Leibe, wie manchmal auch ihre selige Mutter,« bemerkte die Tibbie.
»Sie muß wohl eine schlimme Neuigkeit gehört haben,« meinte die Müllerstochter; indes die Weiber mit gebrannten Federn und kaltem Wasser versuchten, die stockenden Lebenskräfte wieder in Gang zu bringen, jedoch ohne sichtlichen Erfolg.
Da tauchte ein neuer Helfer auf der Bildfläche auf, und zwar kein andrer, als Sir Piercie Shafton, der unbemerkt an die Gruppe herangetreten war.
»Ei, ei,« hub er in seiner gewohnten Weise an, »was geht denn mit Euch vor, meine allerhuldvollste Protektion? Welche Ursache hat den roten Strom des Lebens zur Zitadelle des Herzens zurückgejagt, wo er doch hätte ewig weilen sollen? Tretet hinweg und laßt mich zu ihr!« sprach er. »Diese Krone aller Essenzen, destilliert von der göttlichen Urania, besitzt die Kraft, das entweichende Leben zu bannen, selbst wenn es schon im Scheiden begriffen ist.«
Mit diesen Worten kniete Sir Piercie Shafton neben der in Ohnmacht liegenden Dame nieder, um ihr ein zierliches Büchschen unter die Nase zu halten, das ein mit der so hochgepriesenen Essenz getränktes Schwämmchen enthielt. Jawohl, mein lieber Leser, es war Sir Piercie in Person, der so gänzlich unvermuteterweise hier seine Dienste anbot! Wohl waren seine Wangen bleich und seine Kleidung stellenweis von Blut befleckt, im übrigen zeigte sein Aussehen und seine Haltung jedoch keinen Unterschied gegen sonst.
Aber kaum hatte Mary Avenel die Augen aufgeschlagen, kaum einen Blick auf die Gestalt des dienstfertigen Höflings geheftet, als sie von einer neuerlichen Ohnmacht befallen wurde und jählings wieder zurück sank. Dann machte wieder ein heftiger Aufschrei ihrem beklommenen Busen Luft, dann richtete sie sich empor und schrie mit schrecklicher Stimme:
»Haltet ihn fest, den Mörder! den Mörder Halbert Glendinnings!«
Wie versteinert stand die ganze Gruppe da, keiner aber war mehr von Entsetzen geschlagen als der Schönredner selbst, der sich so jäh und so seltsamerweise von der ohnmächtigen Dame unter so schwere Anklage gestellt sah, während er sich doch so eifrig bemüht hatte, ihr Hilfe zu bringen.
»Hinweg mit ihm!« schrie sie wieder, »hinweg mit dem Mörder!«
»Nun, bei meiner Ritterschaft,« nahm Sir Piercie wieder das Wort, »die herrlichen Gaben Eures Geistes wie auch die köstlichen Vorzüge Eures Leibes, o, meine schönste Protektion, sind von wunderlicher Verblendung umnebelt, denn entweder erkennen Eure Augen nicht, daß Sir Piercie Shafton, Eure alleruntertänigste Affabilität, hier vor Euch steht, oder Euer Geist zieht, falls Eure Augen mich erkennen, ganz irrige Folgerungen und beschuldigt jemand, dessen Hände rein sind, eines grausen Frevels. Nein, meine so maßlos erzürnte Protektion, es ist kein Mord heute verübt worden, als höchstens der, den eben Eure bösen Blicke an Eurem untertänigsten Gefangnen begehen.«
In seinem Redefluß wurde er aber jetzt von dem Pater Eustachius unterbrochen, der inzwischen sich mit dem alten Diener Martin unterhalten und von demselben Kunde bekommen hatte, durch welche unvermutete Mitteilung Mary von Avenel in diesen erregten Zustand versetzt worden war. In feierlichem Tone und mit auffälliger Langsamkeit sprach derselbe:
»Herr Ritter, es sind so ungewöhnliche Dinge mir zu Ohren gebracht worden, daß ich mich, ohne Rücksicht darauf, daß Ihr der Gast unsrer ehrwürdigen Gemeinschaft seid, gezwungen sehe, darüber eine Erklärung von Euch zu verlangen. Ihr habt heut morgen diesen Turm verlassen in Gesellschaft eines Jünglings, des ältern Sohnes dieser wackern Frau, und kehrt nun ohne ihn zurück. Wo habt Ihr Halbert Glendinning gelassen, und wann habt Ihr ihn verlassen?«
Der englische Ritter schwieg einen Augenblick. Dann antwortete er:
»Es muß mich Wunder nehmen, daß Euer Ehrwürden solch ernsten Ton anschlagen, um solch belanglose Frage zu stellen.
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