Aber nun gut, hörst Du? wisch Dir Deine Tränen ab und laß Deine Weiber kommen! Heda, wo steckt denn die Brut? ... Christie, Rowley, Hutcheon! schleppt die faulen Kanaillen an den Haaren herbei!«
Ein halbes Dutzend auf den Tod erschrockner Weiber, mit verstörten Blicken, stürzte in die Halle, um Käthe hinauszutragen, die man ebenso gut ihre Gefährtin hätte nennen können wie ihre Gebieterin. Sie gab kein Lebenszeichen, außer daß sie unter leisem Wimmern die Hand gegen die Seite preßte.
Sobald das unglückliche Weib aus der Halle getragen worden war, trat der Baron an den Tisch und goß einen Humpen voll Wein ein. Dann wandte er sich um und rief dem Prediger zu, der von Entsetzen über den Vorfall ergriffen worden war:
»Pfaffe, Du hast uns derb zugesetzt, aber da Du mit so wuchtiger Empfehlung zu uns kommst, wollen wir annehmen, daß Du in guter Meinung gehandelt habest. Doch laß Dir noch einmal sagen, wir in unsern Bergen sind ein wilderes Volk als Ihr drunten im Tale. Drum rat ich Dir, laß Dir den alten Sekt schmecken und uns von andern Dingen reden.«
»Ich bin gekommen, Euch zu befreien von böser Leidenschaft ...« hub der Prediger wieder an. Aber ungestüm fiel ihm Avenel in die Rede.
»Setz Dich!« schrie er, »oder bei meines Vaters Helmbusch und bei der Ehre meiner Mutter ...«
»Wenn er sich jetzt nicht setzt,« flüsterte Christie dem jungen Glendinning zu, »dann gebe ich keine sechs Dreier für seinen Kopf!«
»Lord Baron,« nahm Warden wieder das Wort, »Du hast mich aufs äußerste gebracht. Aber das sage ich Dir: lieber werde ich das Licht der Welt einbüßen, als daß ich mich im geringsten dazu verstehen werde, das Licht, dessen Verbreitung Gebot meiner Mission ist, zu verstecken. Gleichwie der heilige Täufer zu Herodes sprach: Es ist nicht recht, daß Du dieses Weib hast, so spreche ich auch, und wenn mich Ketten und Tod erwarten, zu Dir: Es ist nicht recht, Julian Avenel, daß Du dieses Weib hältst!«
Von rasender Wut gepackt über die feste, entschiedne Art, wie der Prediger zu ihm sprach, schleuderte Julian den Becher, mit dem er dem Gaste hatte zutrinken wollen, in die Ecke. Sein nächster Griff war nach dem Dolch an seiner Seite. Aber er besann sich ebenso schnell eines andern und schrie mit Donnerstimme:
»Heda! Ihr da, in den Kerker mit dem frechen Wicht von Landstreicher! Und daß mir niemand das Wort für ihn einlegt! Wenn sich der Heuchler nicht gutwillig wegführen läßt, denn schleppt ihn weg!«
Ohne die geringste Furcht und ohne das leiseste Zeichen von Widerstand ließ sich Heinrich Warden von den beiden Trabanten, die sich auf ihn stürzten, wegführen. Dann schritt Julian Avenel in düsterm Schweigen noch ein paarmal durch die Halle, dann winkte er einen seiner Trabanten zu sich heran, flüsterte ihm einen Auftrag zu und setzte sich hierauf wieder an die Tafel.
»Diese Hundsfotte von Pfaffen, die sich in alles mischen, machen uns, beim Henker! schlimmer, als wir ohnehin schon sind!«
In diesem Augenblick kam der Trabant wieder herein, und der Bescheid, den er ihm brachte, schien sein erregtes Gemüt zu besänftigen; und nun forderte er auch die Dienerschaft auf, ihre Plätze wieder einzunehmen. Alle kamen der Aufforderung schweigend nach und fingen an zu essen. Christie gab sich alle Mühe, seinen jugendlichen Kameraden zum Zechen zu animieren, aber nicht einmal sprechen mochte Halbert. Er sagte, er sei müde, und wolle nichts andres genießen, als ein bißchen Heidelbeermeth, der damals das gewöhnliche Tischgetränk für die Dienerschaft bildete. Er bat auch Christie bald, ihn in seine Kammer zu bringen, und dieser ließ sich nach einiger Zeit bereit finden, ihm seinen Wunsch zu erfüllen; aber nie mag wohl ein Korporal von einem Werbekommando schärfer aufgepaßt haben, daß ihm ein Mann, den er »auf dem Rohre« hat, nicht entrinne, als Christie von Clinthill auf Halbert. Zwar brachte er Halbert in eine Kammer, die nach der Seeseite hin lag; aber ehe er den Fuß wieder hinaus setzte, unterließ er nicht, das äußere Gitter vorm Fenster nachzusehen und den Schlüssel zweimal im Schlosse umzudrehen. Halbert erkannte hieraus, daß man nicht gewillt sei, ihn ruhig seines Weges vom Schlosse weiter ziehen zu lassen. Er hielt es jedoch für klüger, diese Wahrnehmung, so beängstigender Natur sie für ihn war, für sich zu behalten. Doch schwächte die Empfindung, daß er selbst sich als Gefangenen dieses wilden Häuptlings anzusehen habe, seine Teilnahme am Schicksal seines Leidensgefährten in keiner Weise ab; vielmehr nahm er sich vor, der Unerschrockenheit desselben nachzueifern und sich weder durch Drohungen noch Leiden in die Dienste eines solchen Mannes zwingen zu lassen. Sein nächster Gedanke war, zu untersuchen, welche Aussicht sich ihm für Flucht böte. Er eilte an das Fenster und sah, daß die Kammer, in der man ihn untergebracht hatte, nicht im ersten Stockwerk der Burg und nicht so weit entfernt von dem Felsen, auf dem sie erbaut war, lag, daß ein behender, kühner Mann sich nicht auf ein Felsstück unmittelbar unter dem Fenster hätte schwingen können, von wo aus es nicht unmöglich sein konnte, in den See hinunter zu klettern oder zu springen, dessen helle, blaue Flut sich in dem stillen Lichte des Sommervollmondes vor seinen Augen dehnte. Wenn aber auch das Fenster groß genug war, um einem Menschen Durchgang zu gewähren, so schienen doch die Eisenstäbe des Gitters ein unbezwingliches Hindernis zu bieten. Als Glendinning jetzt zum Fenster hinausblickte, drangen von unten herauf Laute an sein Ohr, an denen er die Stimme des Predigers erkannte, der eben seine Andacht verrichtete. Der Plan, sich mit ihm in Beziehung zu setzen, reifte auf der Stelle in ihm, aber ebenso schnell sagte er sich, daß ihm kein andres Mittel dazu verfügbar sei, als die eigne Sprache, und so wagte er endlich, den Prediger laut beim Namen zu rufen. Er erhielt auch schnell die Antwort von unten herauf: »Bist Du es, mein Sohn?«
Warden hatte sich der kleinen Oeffnung genähert, die seinem Kerker, freilich in sehr geringem Maße, Licht und Luft zuführte und grade zwischen Mauer und Fels befindlich war, und zwar ziemlich unmittelbar unter Halberts Kammer, so daß es den beiden Kameraden möglich war, sich leise zusammen zu verständigen. Halbert flüsterte nun dem Prediger zu, daß er sich mit der Absicht zu entfliehen trage, und daß es ihm recht wohl möglich erscheine, diese Absicht auch auszuführen, sobald es ihm gelänge, das Gitter zu ...«
»Probiere es, mein Sohn,« fiel ihm Warden in die Rede, »ob es Deiner Stärke gelingen kann, es zu bezwingen.«
Halbert leistete diesen Worten Folge, jedoch mehr infolge der Verzweiflung, die ihn erfüllte, als von der Hoffnung getrieben, daß es ihm gelingen werde. Aber wie groß war sein Erstaunen, als der Gitterstab, an dem er seine Kraft zuerst versuchte, mitten durchbrach und die obere Hälfte, wahrscheinlich weil die Fugen gelockert waren, ihm entgegen rutschte.
»Beim Himmel!« flüsterte er dem Prediger zu, »der Gitterstab hat nachgegeben.«
»Sage dem Himmel Dank, mein Sohn,« versetzte Warden aus seinem Kerker, »statt bei ihm zu schwören.«
Halbert zwängte sich nun durch die auf so wunderbare Weise entstandne Oeffnung und ließ sich an dem ledernen Gurte seines Schwertes wie an einem Seile nieder auf das Felsstück; gleich darauf öffnete sich das Fensterloch in dem Verließe des Predigers. Dieses aber ließ sich nicht zu einem Durchschlupf erweitern, denn es war nicht viel breiter, als eine Schießscharte für Musketen zu sein brauchte, und hatte wahrscheinlich auch nur die Bestimmung einer solchen.
»Läßt sich Eure Rettung auf keine Weise bewerkstelligen?« fragte Halbert den Prediger.
»Ich wüßte nicht, wie sie sich bewerkstelligen ließe,« antwortete Warden, »indessen steht es in Deiner Macht, mich zu retten.«
»Ich werde es an ernstlichem Bemühen nicht fehlen lassen,« versetzte Halbert.
»Gib diesen Brief hier auf Deinem Wege nach Edinburg dem Anführer der Reiterschar, der Du begegnen wirst. Sie ist auf dem Ritte nach dem Süden begriffen, und Du kannst sie unmöglich fehlen.
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