Als nach einer Weile die beiden Diener schwiegen, küßte sie mit tiefer Demut die Hand des freigebigen Abtes. Da sie aber den unbeugsamen Charakter ihres ältesten Sohnes in manchen Dingen nur allzu gut kannte, unterließ sie es nicht, natürlich unter wiederholten Dankesversicherungen, der Hoffnung Ausdruck zu leihen, daß es ihrem Sohne auch recht sein und daß er Ja dazu sagen werde.
»Was höre ich?« sagte, die Brauen finster zusammenziehend, der Abt, »recht sein? Ja sagen? ... Weib, ist etwa Dein Sohn verrückt?«
Verwirrt durch den Ton, in welchem diese Worte fielen, konnte die Witwe keine Antwort finden, und hätte sie eine finden können, so hätte sie sich nicht verständlich machen können, denn die beiden Amtsbrüder, der Küchenmeister und der Tafeldecker, fingen alsobald ihre zweistimmige Litanei wieder an.
»Was? Nicht annehmen?« sagte der Küchenmeister. Und der Tafeldecker wiederholte in noch verwunderterem Tone: »Nicht annehmen?«
»Vier Mark jährlich nicht annehmen?« fragte der eine.
»Doppel-und Dünnbier, Suppe und Rind-und Hammelfleisch nicht annehmen? Weide und Kühe und Reitpferd nicht annehmen?« schrie der Küchenmeister. Und der Tafeldecker ergänzte wiederum, verwunderter und lauter als der andre: »Rock und Hosen nicht annehmen?«
»Eine kleine Weile Geduld, Brüder!« nahm der Unterprior das Wort, »verwundern wir uns nicht eher, als bis wir Ursache zur Verwunderung haben. Die brave Frau kennt Anlagen und Neigungen ihres Sohnes am allerbesten. Ich meinesteils kann nur sagen, daß dieselben auf Wissenschaft und Gelehrsamkeit nicht gerichtet sind, und daß ich mich vergeblich bemüht habe, ihm davon was beizubringen. Nichtsdestoweniger ist er ein junger Mann von ungewöhnlichem Geist, jedoch eher denjenigen ähnlich, nach meiner geringen Einsicht, die der Herr erweckt in einem Volke, wenn er ihm die Gnade erweisen will, es durch Kraft des Armes und Mut des Herzens zu befreien. Solche Menschen finden wir in der Regel mit einem unbesiegbaren Charakter ausgestattet, der gern für Geistesverstocktheit und Gleichgültigkeit gegen Bekannte und Freunde angesehen wird, bis sich endlich für sie eine Gelegenheit findet, dem Willen der Vorsehung gemäß das treffliche Rüstzeug für große Dinge zu werden.«
»Du sprichst das rechte Wort zur rechten Zeit, Bruder Eustachius,« äußerte der Abt, »und wir wollen uns den jungen Mann erst mal ansehen, bevor wir über die Art seiner Anstellung das letzte Wort sagen. Was meint Ihr, Sir Piercie ist es nicht Brauch bei Hofe, den Mann für das Amt, nicht aber das Amt für den Mann in Aussicht zu nehmen?«
»Mit Verlaub, Euer Ehrwürden,« nahm der Ritter aus Northumberland das Wort, »in gewisser Hinsicht möchte ich dieser Rede Eurer Weisheit beipflichten. Immerhin würden wir, bei aller Hochachtung vor dem Unterprior, nach tapfern Volksführern doch wohl nicht in der Volkshefe suchen. Ich will ja gelten lassen, daß sich in dem jungen Menschen ein paar Funken kriegerischen Geistes finden mögen, aber nur selten fand ich bisher, daß sich Anmaßung und Hochmut zuletzt durch Tat und Handlung gleichen. Jedenfalls genügt das nicht, um einen jungen Menschen von solch niedriger, beschränkter Sphäre auszuzeichnen, denn so wenig wie der Glühwurm, der sich im Wiesengrase allerliebst ausnimmt, oben im Leuchtturm am Platze wäre, so wenig wird solcher Jüngling sich bewähren auf der Höhe der menschlichen Gesellschaft.«
»Gut, gut!« sagte der Unterprior, »da kommt der junge Jägersmann, um für sich selbst einzutreten.«
Durch das gegenüberliegende Fenster konnte er Halbert sehen, wie er gerade den kleinen Berg, auf dem der alte Turm stand, emporstieg.
»Ruft ihn vor unser Angesicht,« sprach der Lord-Abt, und gehorsam eilten die beiden diensttuenden Leute hinaus. Zu gleicher Zeit verschwand auch Frau Glendinning aus der Stube, einmal in der Absicht, ihrem Sohne Gehorsam gegen den Willen des Abtes ans Herz zu legen, zum andern Mal weil es ihr nicht gefallen mochte, daß der Sohn in der gewöhnlichen Alltagstracht vor dem Abte erscheine.
Aber Küchenmeister und Tafeldecker hatten bereits den Jüngling unter den Armen gefaßt und brachten ihn im Triumph in das Gemach hinein, so daß der Witwe nur noch übrig blieb, sich mit dem Ausrufe zu entschuldigen: »Des Herrn Wille geschehe! hätte doch mein Junge bloß seinen Sonntagsstaat an!«
Aber so unbedeutend dieser Wunsch an sich war, so fand er doch vor dem Schicksal keine Gnade, denn Halbert Glendinning wurde in seiner Werkeltracht vor den Abt geleitet; immerhin kam in seiner Erscheinung ein gewisses Etwas zum Ausdruck, das von der Gesellschaft Achtung für sich forderte, in die er so ohne alle Umstände eingeführt wurde, trotzdem die meisten geneigt waren, ihn mit Hochmut, wenn nicht mit unbedingter Verachtung zu betrachten.
Zweites Kapitel.
Bevor wir fortfahren, dieses Zusammentreffen des Abtes vom Sankt Marien-Kloster mit Halbert Glendinning in einer für den Lebenslauf des letztern so entscheidungsvollen Stunde zu schildern, müssen wir ein paar Worte über seine Gestalt und seine Aufführung einflechten.
Halbert stand nun in seinem neunzehnten Lebensjahre. Er war behend und schlank, nicht stark, aber von jenem muskulösen Gliederbau, der bei voller Ausgewachsenheit und richtiger körperlichen Ausbildung große Stärke erwarten läßt. Er war streng ebenmäßig gebaut und besaß gleich vielen Männern, die sich solchen Vorzugs erfreuen, eine angeborne Grazie und Gewandtheit im Auftreten, die nicht zuließ, daß man seine Körpergröße, die volle sechs Fuß betrug, als das hervorragendste Moment seiner Erscheinung ins Auge faßte. Diese außerordentliche Größe im Verein mit dem vollkommenen Ebenmaß seiner Gestalt und der edlen Grazie seiner Haltung gaben dem jungen Glendinning ganz unbedingte Vorteile selbst vor dem Ritter Piercie Shafton, der von Figur kleiner war und dessen Gliederbau, wenn auch im einzelnen tadellos, doch im ganzen nicht das gleiche schöne Verhältnis aufwies. Anderseits hatte der Ritter durch seine chevalereske Haltung einen nicht unbedeutenden Vorteil vor dem jungen Schotten voraus, den er auch an Regelmäßigkeit der Züge und an Glanz der Haut übertraf. Die Züge des jungen Schotten waren mehr kräftig als schön gezeichnet, und die rot und weiße Färbung seiner Haut war durch den Einfluß von Luft und Himmel in völliges Nußbraun gewandelt, das nun Wangen, Nacken und Stirn gleichmäßig färbte, nur vielleicht auf letzterer noch um einige Grade tiefer glühte. Für den wirkungsvollsten Teil seines Antlitzes mußte man seine Augen halten, die groß waren und tiefnußbraune Färbung aufwiesen, aber in Augenblicken seelischer Erregtheit in einem so ungewöhnlichen Glanze funkelten, daß man tatsächlich den Eindruck gewann, als ob sie Licht ausstrahlten. Auch sein Haar wies dunkelbraune Färbung auf und war von Natur zu dichten Locken gekräuselt, die seine Gesichtszüge noch lebensvoller erscheinen ließen und einen weit kühnern und regern Geist verrieten, als sein sonstiges Wesen, das einen Eindruck von Blödigkeit und Unbeholfenheit machte, auf den ersten Blick erwarten ließ.
Der Anzug, den der Jüngling trug, war auch nicht so beschaffen, daß er sein Wesen hätte anmutiger erscheinen lassen können. Die Jacke und Beinkleider, die er trug, waren von grobem Bauerntuch und ebenso auch seine Mütze. Um den Leib trug er einen Gurt, dessen Aufgabe war, das breite große Schlachtschwert zu tragen, von dem schon wiederholt die Rede gewesen ist, sowie etwa ein halbes Dutzend Pfeile und Bolzen und ein breites Messer mit Griff aus Hirschhorn, das für einen Dolch galt und an der rechten Seite steckte. Damit wir seinen Anzug vollständig schildern, sei noch der weiten Stiefel aus Hirschleder gedacht, die sich bis ans Knie heraufziehen oder bis auf die Waden niederfallen ließen, je nachdem es dem Träger paßte. Wer zu damaliger Zeit viel der Jagd oblag, dem waren solche Stiefel wegen der vielen Dickichte, durch die der Weg im Walde führte, unentbehrlich.
Schwieriger fällt es, zu schildern, wie sich die Seele des jungen Glendinning Ausdruck durch die Augen schuf, als er sich so unvermuteterweise Personen gegenüber sah, die er von frühester Jugend mit Ehrfurcht zu behandeln gelehrt worden war. Aus seiner Haltung sprach ein gewisser Grad von Verlegenheit, doch lag in derselben weder ein knechtischer Sinn, noch eine auffällige Verwirrtheit. Sie war vielmehr nicht größer, als sie sich für einen Jüngling schickt, der mit Hochherzigkeit und Freimut einen kühnen Geist verbindet, aber nicht über das geringste Maß von Lebenserfahrung gebietet, und zum ersten Male sich in einer solchen Gesellschaft befindet und unter solchen für ihn doch recht ungünstigen Verhältnissen zum ersten Male selbständig denken und handeln soll. In seinem ganzen Benehmen kam nicht der geringste Grad von Voreiligkeit oder Schüchternheit zum Ausdruck.
Er kniete nieder und küßte dem Abte die Hand, dann richtete er sich auf, trat ein paar Schritte zurück und verneigte sich respektvoll vor der versammelten Gesellschaft, ließ ein weiches Lächeln auf seine Lippen treten, als ihn ein ermutigender Blick aus den Augen des Unterpriors traf, und errötete, als er Mary Avenels besorgten Blicken begegnete, die der Prüfung, die ihr Pflegebruder bestehen sollte, mit einem gewissen Grade von Bangigkeit entgegensah. Er faßte sich aber bald, die Ergriffenheit infolge des Blickes aus diesem Mädchenauge schwand, und nun stand er gelassen und ruhig da und harrte der Anrede des Lord-Abts.
Sichtlich machte er auf die geistlichen Herren einen günstigen Eindruck. Der Abt blickte um sich und tauschte mit seinem Berater, dem Pater Eustachius, einen befriedigenden Blick des Einverständnisses, wenngleich die Anstellung eines Forstadjunkten oder Bogenführers schwerlich zu jenen Dingen gehörte, bei denen er auf den Rat seines Unterpriors zurückgreifen mußte.
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