Allein der günstige Eindruck, den die äußere Erscheinung des Jünglings machte, legte es ihm näher, sich zu dem Funde einer für solchen Posten so trefflich geeigneten Persönlichkeit zu gratulieren, als daß er sich zu andern Regungen hätte bestimmt fühlen sollen. Pater Eustachius empfand jene Freude, die in ein freundlich besaitetes Gemüt einzieht, wenn es sich dem Glück eines jungen Menschen gegenüber fühlt, denn da er dem Jüngling seit jenem Wechsel der Umstände, die in seine Anschauungen und sein Wesen solche Wandlung gebracht hatten, nicht mehr begegnet war, hegte er nicht den mindesten Zweifel, daß ihm das Amt eines Forstadjunkten im Dienste des Klosters als ein Glück erscheinen werde. Dem Küchenmeister sowohl als dem Tafeldecker gefiel der Jüngling dermaßen, daß sie zu meinen schienen, Sold und Einkünfte, Portionen, Weide, Rock und Hosen hätten keinem Bessern angeboten werden können, als dem Jüngling mit der muntern, lebensvollen Gestalt, die jetzt vor ihnen stand.

Im Gegensatze zu ihm schien Sir Piercie das Interesse an dem Jüngling, vielleicht weil er zu tief in seine persönlichen Betrachtungen versenkt war oder auch, weil er den Gegenstand nicht für bedeutend genug hielt, sich mit ihm zu befassen, nicht zu teilen. Die Augen halb geschlossen, die Hände verschränkt über der Brust haltend, saß er da, wie in weit tiefere Betrachtungen versunken, als sich aus der gegenwärtigen Szene schöpfen zu lassen schienen. Indessen war, trotz der scheinbaren Versunkenheit und Zerstreutheit, ein Zug von Eitelkeit aus der Haltung des Ritters nicht verschwunden, wenigstens nahm er eine galante Stellung nach der andern an, wenn er sie auch vielleicht nur allein in diesem Sinne auffaßte, und heftete pausenweis verstohlene Blicke auf die Damen der Gesellschaft, in der Absicht, sich Gewißheit darüber zu verschaffen, inwieweit es ihm glückte, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, die von diesem Teile in weit höherm Maße den wenn auch nicht so regelmäßigen, aber um so energischeren und männlicheren Zügen Halberts geschenkt wurde.

Von den zur Glendearger Familie gehörigen Frauen war allein die Müllerstochter in der angenehmen Stimmung, die Posituren, in die der Ritter sich setzte, mit Muße zu betrachten, beziehungsweise zu bewundern; denn Mary von Avenel und Frau Glendinning sahen mit ängstlicher Besorgnis der Antwort entgegen, die von Halbert auf das Erbieten des Abtes erteilt werden würde, und erwogen voller Furcht die Folgen, die sich aus seiner etwaigen Weigerung, darauf einzugehen, für ihn und sie alle ergeben möchten. Ganz anders als Halbert benahm sich der jüngere Bruder Edward. Von Natur schüchtern, um nicht zu sagen blöde und scheu, hatte er bislang so gut wie unbeachtet in einer Ecke des Raumes gestanden, und der Abt, übrigens erst infolge einer unmittelbaren Anregung seines Unterpriors, hatte sich nur flüchtig bei ihm erkundigt, wie weit er im »Donat« und im » Promptuarium Parvulorum[lateinische Schulbücher der damaligen Zeit] « vorgedrungen sei, ohne die Antwort des jungen Burschen übrigens abzuwarten. Aus diesem Winkel hatte sich nun Edward an die Seite des Bruders geschlichen und sich hinter ihn postiert, dann verstohlen mit der linken Hand nach seiner rechten gegriffen und ihm durch einen sanften Druck, den der andre gleich kräftig und frisch erwiderte, zu verstehen gegeben, daß er Anteil an der Lage nehme, in die er durch den Zufall geraten sei, und daß er willens sei, das Los, das ihn treffen werde, mit ihm zu teilen.

In dieser Weise hatte die Gesellschaft sich gruppiert, als der Abt nach einer Pause von ein paar Minuten, die er brauchte, um behaglich seinen Becher auszuschlürfen, sich mit geziemender Würde anschickte, seinen Antrag zu stellen.

»Mein Sohn,« hub er an, »wir, Euer rechtmäßiger Oberherr, und nach Gottes Willen und Beschluß Abt der Brüderschaft zur heiligen Jungfrau, haben von Euren mancherlei ... hm, hm ... geschickten Fähigkeiten, vornehmlich das Weidwerk anbelangend, Kunde erhalten, insonderheit von der echt jagdgerechten Weise, wie Ihr das Wild zu schießen versteht, ehrlich und recht, wie es sich für einen redlichen Freisassen schickt, ohne des Himmels Gaben und Geschenke zu mißbrauchen durch Schädigung des Fleisches, wie dies von seiten nachlässiger Jäger so häufig geschieht, ... hm, hm!«

Der Abt machte eine Pause, fuhr aber, als er wahrnahm, daß sich Halbert Glendinning, statt zu antworten, mit einer Verbeugung begnügte, in seiner Ansprache fort wie folgt:

»Mein Sohn, Eure Bescheidenheit finden wir löblich, nichtsdestoweniger ist es unser ausdrücklicher Wunsch, daß Ihr Euch frei und unbehindert äußert zu der Beförderung, die wir Euch zugedacht haben, zu dem Amt eines Bogenführers und Forstadjunkten über sämtliche Jagden im Forste, mit denen unser Kloster ausgestattet worden ist durch Schenkungen frommer Könige und Adeliger, deren Seelen jetzund die Früchte ihres Edelmuts gegen die Kirche in wahrer Himmelsfreude genießen, wie auch über all jene andern Jagden und Forste, die uns nach dem ausschließlichen Eigentumsrecht auf alle Zeiten gehören. So kniee denn nieder, mein Sohn, auf daß wir Dich eigenhändig und ohne Zeitverlust in Dein Amt einweihen können.«

»Kniee nieder!« sagte der Küchenmeister auf der einen und sagte zugleich der Tafeldecker auf der andern Seite des Abtes.

Halbert Glendinning jedoch blieb stehen.

»Wollte ich Euer Hochwürden und Herrlichkeit meine Dankbarkeit und Erkenntlichkeit bezeugen,« nahm nun er das Wort, »so läge der Boden nicht tief genug für mich zu knieen, und die Zeit wäre nicht lang genug, Euch meine Demut zu bezeugen. Allein ich kann weder das eine noch das andre tun, denn ich darf die Belehnung mit Eurer edlen Gabe nicht entgegennehmen, Mylord und Abt, weil ich bereits andre Entschlüsse, mein Glück in der Welt zu suchen, gefaßt habe.«

»Was sind das für Reden, Freund?« versetzte, die Stirn runzelnd, der Abt: »habe ich richtig verstanden, was Ihr sagtet? Ihr, als Vasall unsers Klosters geboren, könntet in dem Augenblick, da ich Euch solch großmütiges Zeichen meines Wohlwollens gebe, statt in meine Dienste in fremde treten wollen?«

»Mylord und Abt,« nahm Halbert Glendinning wieder das Wort, »es schmerzt mich, denken zu müssen, daß Ihr mich für fähig halten werdet, Euren liebreichen Antrag für gering zu achten oder fremden Dienst dem Eurigen vorzuziehen. Nein, Mylord und Abt, Euer edler und großmütiger Antrag beschleunigt nur die Ausführung eines Entschlusses, den ich schon seit langer Zeit in meinem Herzen gefaßt habe.«

»Wirklich, mein Sohn?« erwiderte der Abt; »ei, Du hast ja beizeiten gelernt, Dich über den Rat derjenigen Personen hinwegzusetzen, von denen Du von Rechts wegen abhängig bist. Aber wie steht es denn im Grunde um den Entschluß, den Du in Deiner eignen Weisheit gefaßt hast?«

»Mein Entschluß, heiliger Vater, geht dahin, allen Anteil, der von dem durch meinen Vater Simon Glendinning hinterlassenen Lehen mir gehört, an meine Mutter und meinen Bruder abzutreten, an Eure Herrlichkeit die demütige Bitte zu richten, Ihr möget beiden ein so gütiger und edelmütiger Oberherr bleiben, wie bisher und wie es Eure Vorgänger, die würdigen Aebte des Liebfrauenklosters, meinem im Kampfe für klösterliche Interessen auf dem Blachfeld gebliebenen Vater immer gewesen sind, und was dann mich Persönlich angeht, mein Glück auf dem besten Wege, der sich mir öffnet, zu versuchen.«

Von mütterlicher Besorgnis gequält und angefeuert, wagte hier die Witwe das Schweigen, das sie bisher gewahrt hatte, zu brechen durch den Ausruf: »O, mein Sohn! mein Sohn!« und Edward, der sich an den Bruder klammerte, flüsterte ihm ängstlich zu: »Aber, Bruder! Bruder!«

Der Unterprior meinte auf grund der Teilnahme, die er der Glendearger Familie allezeit bewiesen hatte, zu Worten herben Tadels berechtigt zu sein und sprach in strengem Tone:

»Eigenwilliger Jüngling! welcher törichte Sinn kann Dich bestimmen, die Hand von Dir zu stoßen, die sich Dir zur Hilfe entgegenstreckt? Welches Ziel schwebt Dir vor, daß Du ein Anerbieten verächtlich von der Hand weist, das Dir eine anständige Stellung und unabhängige Zukunft sichert?«

»Vier Mark jährlich auf den Tag!« bemerkte, zu seiner Litanei wieder ansetzend, der Küchenmeister.

»Viehweide, Rock und Beinkleid!« setzte der Tafeldecker hinzu.

»Still, meine Brüder!« sagte der Unterprior. »Eure Herrlichkeit möchte ich aber bitten, dem eigenwilligen Jüngling einen Tag zur Ueberlegung zu vergönnen. Ich will dann versuchen, ihn eines Bessern darüber zu belehren, was er auf solches Anerbieten seines Lehnsherrn seiner Familie und sich selbst schuldig ist.«

»Eure große Güte, ehrwürdiger Vater, verpflichtet mich zu außerordentlichem Dank, ist sie doch die Fortsetzung einer ganzen Reihe von Wohltaten, deren sich unsre Familie von Eurer Seite zu erfreuen gehabt hat, Wohltaten, denen ich nicht das geringste als Gegenleistung zu bieten habe. Es ist das Mißgeschick, das sich an meine Fersen heftet, und nicht Eure Schuld, hochwürdiger Herr, wenn Eure Absicht vereitelt wird. Aber mein gegenwärtiger Beschluß steht fest und ist unwandelbar. Ich kann also den gütigen Antrag des Lord-Abtes nicht annehmen, denn mein Los ruft mich auf eine andre Stätte, wo ich entweder mein Leben anders gestalten oder beschließen werde.«

»Bei der heiligen Jungfrau,« rief der Abt, »ich glaube, diesen jungen Menschen hat die Tarantel gestochen? oder er ist wirklich, wie Ihr vorhin sagtet, Herr Ritter Piercie, für solche Auszeichnung untauglich. Sagt mir doch, habt Ihr etwa seine verkehrte Art schon früher gekannt, als es uns beschieden ist, sie kennen zu lernen?«

»Nein, nein, Mylord-Abt,« versetzte der Ritter mit der von ihm bei solchem Anlaß immer sehr geschickt gespielten Gleichgültigkeit, »ich taxiere ihn einzig und allein nach seiner Herkunft und Erziehung, denn aus einem gemeinen Habichtsei wird wohl nie ein Edelfalke herauskommen.«

»Du bist selbst ein gemeiner Habicht!« rief dem Ritter der Jüngling zu, ohne sich einen Augenblick zu besinnen.

»Solche Rede in unsrer Gegenwart solchem vornehmen Herrn?« sprach der Abt, indem ihm das Blut die Wangen purpurn färbte.

»Jawohl, hochwürdigster Herr,« erwiderte Halbert, »gerade in Eurer Gegenwart will ich diesem stattlich herausstaffierten Musje den Schimpf heimzahlen, den er in so grundloser Weise auf meinen Namen gehäuft hat. Ich bin solche Abfindung schon allein meinem braven Vater schuldig, der es durch seinen Tod in der Schlacht wahrlich nicht verdient, von solchem Hansdampf in seiner Ehre gekränkt zu werden.«

»Unerzogener Knabe!« rief der Abt.

»Hochwürdigster und gnädigster Herr Abt,« wandte sich der Ritter an den geistlichen Würdenträger, »werdet, bitte, diesem Bauernbub nicht böse! Und was meine Person in diesem Falle anbetrifft, so darf ich Euch versichern, daß eher der Nordwind einen Felsen aus seinen Grundfesten heben wird, als daß den Ritter Piercie Shafton irgend welches Wort aus solches Bauernflegels Munde, und sei es noch so flegelhaft, in seiner Ruhe zu stören vermöchte.«

»So stolz Ihr auch tut, Herr Ritter,« erwiderte Halbert, »so solltet Ihr in Eurer eingebildeten Ueberlegenheit doch nicht allzu fest darauf bauen, daß Ihr absolut nicht verwundbar seiet.«

»Von Deiner Seite,« entgegnete der Ritter, »kann mich nichts verwunden!«

»Nun, kennst Du dieses Zeichen?« rief der junge Glendinning, indem er dem Ritter die silberne Nadel vor Augen hielt, die ihm die weiße Frau gegeben hatte.

Solch jähen Uebergang aus einer Stimmung in die andre, wie sie sich jetzt bei dem Ritter vollzog, der aus dem Stadium hochmütigsten Frohsinns in das der unsinnigsten Leidenschaftlichkeit verfiel, dürfte noch kaum erlebt worden sein. Er erinnerte in diesem Augenblick an zwei Kanonen, von denen eine geladen in der Schießscharte steht, die andre von der Lunte unter Feuer gesetzt wird. Bebend vor Wut an allen Gliedern, stand er da wie außer sich, während in seinem vom Grimm verzerrten Gesicht ein Grad von Wildheit zum Ausdruck gelangte, der ihm mehr mit einem Besessenen als einem mit seinen fünf gesunden Sinnen ausgestatteten Menschen Ähnlichkeit gab. Er ballte die Fäuste, streckte sie weit vor sich und hielt sie dem jungen Glendinning vor die Augen, der über solchen Ausbruch von Wahnwitz und Raserei selbst ganz außer sich geriet. Auf einmal aber zog Sir Piercie die geballten Fäuste wieder an sich, gab sich mit der offnen Hand einen Schlag vor die Stirn und rannte im Zustande maßlosester Erschütterung aus dem Gemache. Dies alles geschah so plötzlich, daß sich kein Mensch hineinzumischen vermochte.

Nach dem Verschwinden des Ritters trat auf einen Moment vollständige Stille ein. Dann wurde allseitig die Forderung laut, daß Halbert Glendinning ohne Säumen erklären solle, wie er imstande gewesen sei, eine so unbedingte Wandlung in dem Betragen des Ritters mit solcher Plötzlichkeit zu bewirken.

»Ich habe nichts weiter mit dem Ritter gemacht,« antwortete er, »als was Ihr gesehen habt. Soll ich Rede und Antwort stehen für seine wunderlichen Grillen?«

»Knabe,« entgegnete der Abt in dem strengsten Tone, den seine Würde ihm lieh, »mit dergleichen Ausflüchten wirst Du bei mir keinen Erfolg haben. Sir Piercie ist kein Mann, der sich durch eine augenblickliche Laune dermaßen aus der Fassung bringen ließe.