Welches traurige Vermächtnis von Kummer und Wirren mußte sein Tod für seine Mutter werden! Und Mary von Avenel? So gewiß er über das Haus, in welchem sie seit ihrer Kindheit Schutz und Zuflucht gefunden hatte, und über sie selbst unnötigerweise Unheil und Unfrieden brachte, ebenso gewiß konnte er ihr, wenn er in dem gegenwärtigen Kampfe unterlag, weder Hilfe noch Beistand noch Schutz mehr gewähren!

So verzweifelt aber seine Aussichten waren, im Fall er den kürzeren zog, so winkte ihm anderseits, wenn er als Sieger aus dem Zweikampfe hervorging, auch keine andre Aussicht, als daß er das Leben rettete und seinem Stolze Befriedigung schuf. Seiner Mutter und seinem Bruder hingegen, desgleichen auch Mary von Avenel, mußten, wenn er siegte, weit schwierigere Verhältnisse erwachsen, als wenn er in dem Zweikampfe den Untergang fand, denn der englische Ritter konnte im letztern Falle recht wohl sich für verpflichtet erachten, ihnen seinen Schutz fernerhin angedeihen zu lassen. Fiel hingegen der Ritter, so konnte wahrscheinlich nichts die Rache hintanhalten, die der Abt und das Kloster an den Vasallen nehmen würden, in deren Haus ihr Gast statt Beschützer Mörder gefunden hatte! Dieser Gedanke, daß den Seinigen auf jeden Fall, gleichviel, welchen Ausgang der Zweikampf für ihn nähme, Not und Verderben erwachsen müßten, wandelte jeden Strohhalm seines Lagers zu einem scharfen Dorn und jagte allen Frieden aus seinem Gemüt und allen Schlaf aus seinen Augen.

Und nur ein einziger Weg zeigte sich ihm aus diesem Wirrsal, aber es war ein Weg herber Erniedrigung, und ein Weg, nicht frei von Gefahr, selbst wenn er ihn wandelte. Er mußte dann dem englischen Ritter bekennen, durch welche seltsamen Umstände er bestimmt worden war, ihm die silberne Nadel zu zeigen, und von wem er sie bekommen hatte. Aber zu solchem Bekenntnis konnte sich sein Stolz nicht herablassen, und dann mußte er sich auch sagen, wenn er seinen Verstand dabei zu Rate zog, – und Verstand ist in solchen Fällen doch immer gar zu sehr geneigt, Stolz zu beraten – daß solche Erniedrigung ebenso unnütz wie überflüssig sein würde; »denn erzähle ich,« dachte er bei sich, »solch seltsame Geschichte, so werde ich doch unfehlbar entweder als Lügner gebrandmarkt oder als Zauberer bestraft, und wenn Sir Piercie Shafton so großmütig und edel wäre wie die Kämpen in Romanen, dann ließe sich vielleicht sein Ohr gewinnen und aus der Lage gelangen, in der ich stecke, ohne daß ich mich erniedrigen müßte, aber er ist doch so eingenommen von sich, so eitel und anmaßend und hochmütig, daß ich mich ganz ohne Frage vergeblich vor ihm beugen würde ... nein,« rief er plötzlich energisch und war mit einem Satze aus dem Bett, »ich beuge mich nicht!« und er packte sein großes Schlachtschwert und schwang es in dem Mondschein, der sich durch die offne Nische ergoß, die als Fenster diente ... als er zu seinem namenlosen Entsetzen dicht vor sich ein luftiges Gebilde erblickte, dessen flüchtig und leise wie ein Hauch zu ihm herüber dringende Stimme ihn im Nu dahin aufklärte, daß er die weiße Frau wieder vor sich hatte. Um so grausiger war ihm ihr Anblick, als sie diesmal ihm ungerufen erschien; es war ihm, als wecke sie Ahnungen in ihm von einem unmittelbar bevorstehenden Unglück, und der Gedanke, daß er sich mit einem Dämon verbrüdert habe, über dessen Macht und Eigenschaften er sich vollständig im unklaren befand, war von so furchtbarer Wirkung auf ihn, daß er vom Schreck wie gefesselt war und wie entgeistert die Gestalt anstarrte, die den Vers hersang oder im rhythmischen Maße hersprach:

Nicht vor Blutvergießen beben
Darf, wer Rache sinnt, denn eben
Knoten, die die Zunge fitzte,
Löst man nur mit Schwertes Spitze.

»Hebe Dich weg von mir, Du falscher Geist!« rief Halbert, »hab ich Deinen Rat doch schon so teuer erkauft! ... Fort, fort von mir, Du trügerisches Gebilde! fort, fort im Namen Gottes!«

Das Gespenst schlug eine gräßliche Lache auf, und ihr schriller Klang hörte sich weit grausiger an, als der sonstige so melancholische Laut seiner Stimme:

Du riefst mich einmal, riefst mich zweimal zu Dir,
Und ungerufen steh ich jetzund hier.
Du kamest ungebeten, unbegehrt ins Tal,
Und ungebeten, unbegehrt komm ich nun mal.

Vor Schreck schier außer sich, rief Halbert seinem Bruder zu:

»Edward, Edward! wache auf, wache auf! Siehst Du denn niemand in der Stube?«

Edward richtete sich auf und sah sich um.

»Nein,« sagte er, »ich sehe nichts.«

»Was? nichts auf dem Boden vor Dir im Mondschein?« fragte Halbert.

»Nein, ich sehe nichts, nichts als Dich, gestützt auf Dein bloßes Schwert. Glaub mir, Halbert, Du solltest mehr Deinen geistigen Waffen vertrauen als den Waffen von Stahl und Eisen, die Du so liebst. In so mancher Nacht schon bist Du aus Deinem Schlafe aufgefahren und hast laut gesprochen von Schlachten und Gespenstern und Kobolden, hast keine Erquickung im Schlafe gefunden, hast Dich gewälzt von einer auf die andre Seite. Glaub mir, Halbert, bete Dein Vaterunser und Dein Credo, gib Dich in Gottes Obhut, und Du wirst gesund schlafen und gestärkt erwachen.«

»Das kann schon sein,« antwortete Halbert langsam, aber sein Blick wich nicht von der weißen Gestalt, die in voller Sichtbarkeit vor ihm stand, »das kann schon sein. Aber, Edward, sag mir bloß eins: siehst Du wirklich nichts auf dem Boden als mich?«

»Nichts als Dich,« wiederholte Edward, indem er sich auf die Ellbogen stützte, »Bruder, leg Deine Waffe beiseite, sprich Dein Gebet und leg Dich zur Ruhe.«

Während dieser Worte Edwards stand auf dem Gesichte des Geistes dasselbe verächtliche Lächeln wie vordem, und bevor dieses Lächeln schwand, war zuvor die bleiche Wange in dem Mondlicht geschwunden, und Halbert erblickte die Erscheinung jetzt selbst nicht mehr, um derentwillen er sich so ängstlich an die Aufmerksamkeit seines Bruders gewandt hatte.

»Gott bewahre mir meinen Verstand!« sagte er, indem er sein Schwert abgürtete und sich wieder auf das Lager warf.

»Amen, mein Bruder, Amen!« erwiderte Edward; »wir dürfen jedoch den Himmel nicht herausfordern in unsrer Anmaßung, wenn wir auch zu ihm flehen in unsrer Not. ... Zürne mir nicht, lieber Bruder! ... Aus welchem Grunde hältst Du Dich seit einiger Zeit so fern von mir? Freilich, Du bist von Kind auf stark und beherzt gewesen, ich aber nicht, doch hattest Du bis vor kurzem noch immer ein paar Augenblicke tagsüber für mich. Warum ist das mit einem Male so ganz anders geworden, Bruder? Glaub mir, Halbert, ich habe manche Träne deshalb geweint, wenn ich es auch immer vermied, mich in Deine Geheimnisse zu drängen. ... Wirf doch die Arme nicht so wild um Dich, Bruder!« fuhr Edward fort, »Du hast, scheint es, seltsame Träume! Ich fürchte, Deine Nerven sind erschüttert. Rück näher an mich heran! Ich will Dich mit meinem Mantel zudecken.«

»Laß mich in Ruhe, Edward,« versetzte Halbert, »Deine Sorge ist unnütz. Deine Klagen sind grundlos, Du brauchst Dich wahrlich nicht solchen Befürchtungen hinzugeben um meinetwillen.«

»Bruder Halbert,« nahm da Edward das Wort, »gib mir ein paar Augenblicke Gehör! Wenn Du im Schlafe sprichst oder in wachen Träumen liegst, dann weilst Du bei Wesen, die nicht von dieser Welt sind und nicht zum Menschengeschlechte gehören. Unser frommer Pater Eustachius sagt, wir sollten freilich nicht uns mit Sagen von Kobolden und Gespenstern abgeben, denn es sei eitler Kram, aber wir müßten anderseits der heiligen Schrift gemäß für wahr halten, daß der böse Feind in Wüsten und an einsamen Stätten sich gern einnistet, und daß, wer sich allein dorthin wagt, auch leicht solchem schweifenden Satan in die Hände gerät. Darum, Bruder, bitte ich Dich, geh nicht wieder allein in das einsame Tal hinunter, sondern nimm mich mit. Wenn Du auch meinen Schutz nicht brauchst, so weißt Du doch, wie übel berüchtigt viele Stellen dort unten sind, und daß solchen Gefahren der besonnene Mensch besser gewachsen ist als der verwegene. Ich habe gewiß noch keinerlei Recht, mir auf meine Weisheit etwas einzubilden, aber was uns aus gelehrten Büchern der verwichnen Zeiten darüber zu Gebote steht, das ist mir doch bekannt geworden.«

Fast hätte Halbert sich versucht gefühlt, seinem Bruder, als er diese freundlichen Worte aus seinem Munde vernahm, alles zu vertrauen, was sein Herz so seltsam schwer bedrückte. Aber im nächsten Augenblick erinnerte Edward daran, daß doch eben ein hoher Festtag angebrochen sei, daß er alles andre beiseite lassen und eilen müsse, nach dem Kloster zu gelangen, da er beim Pater Eustachius für die Beichte vorgemerkt sei. Da regte sich Halberts Stolz wieder, und er nahm sich vor, seinen Entschluß nicht mehr zu ändern.

»Nein,« sprach er bei sich, »ich mag nicht fliehen vor diesem Engländer, denn sein Arm und sein Schwert können nicht besser sein als mein Arm und mein Schwert. Meine Väter haben schwereren Kampf bestanden, und daß er wirklich ein so guter Fechtmeister ist, als wie er von sich sagt, das mag er nur erst mal beweisen.«

Stolz, sagt man, behütet Mann und Weib vorm Falle, Stolz erweist sich aber noch von stärkerm Einfluß auf die Seele, wenn er sich auf die Seite der Leidenschaft schlägt, denn dann siegt er über Vernunft und ertötet das Gewissen. So auch bei Halbert, der nun, wenn auch zum Schlimmern, entschlossen war. Zuletzt aber überkam auch ihn der Schlaf, und er wurde erst mit Tagesanbruch wieder munter.

Viertes Kapitel.

Kaum graute der Morgen, so war Halbert auf den Beinen und fuhr geschwind in die Kleider.