Das war der Fall so mit dem jungen Glendinning, als er so unvermutet des fremden Gastes ansichtig wurde, dessen Zorn er wachgerufen hatte, und der eine so friedliche Miene zeigte, als wenn gar nichts auf der Welt zwischen ihm und Halbert vorgegangen war. Wenn es auch Halbert an Mut und Geistesgegenwart nicht gebrach, so fühlte er sich doch über diesen unerwarteten Anblick des Ritters, und über seine so völlig unbeirrte Miene nicht wenig beunruhigt. Immerhin gelang es ihm, sich so weit zu beherrschen, daß er sich seine Bewegung nicht merken ließ und den Blick des Gegners mit vollständiger Ruhe aushielt. Ja, er fand sogar so viel Fassung, daß er die Frage an denselben stellen konnte: »Womit kann ich Euch gefällig sein, Sir Piercie Shafton?«
»Gefällig? Du mir?« wiederholte Sir Piercie; »eine recht nette Frage nach der Rolle, die Du gegen mich gespielt hast! Ich bin wirklich im höchsten Maße verwundert über diesen Wahnwitz von Dir, Bursche, gegen einen Mann, der als Gast Deines Lehnsherrn in das Haus Deiner Mutter kommt und als solcher gerechten Anspruch auf alle gebührliche Höflichkeit hat, in solch unmanierlicher Weise aufzutreten. Ich will weder danach fragen, noch mich darum bekümmern, auf welche Weise Du Dich in Besitz des leidigen Geheimnisses zu setzen gewußt hast, was Dir den Mut gab, mir vor allen Leuten Hohn zu sprechen. Aber so viel darf ich Dir Wohl sagen, daß sein Besitz Dir Dein Leben gekostet hat.«
»So lange ich es noch mit Hand und Schwert verteidigen kann, doch wohl nicht,« erwiderte Halbert keck.
»Des Vorteils der Verteidigung denke ich Dich ja nicht zu entkleiden,« erwiderte der Engländer, »nur fürchte ich, daß Du infolge Deiner Jugend und bäuerischen Erziehung nicht viel dadurch gebessert sein wirst. Aber damit hast Du zu rechnen, daß ich in diesem Zweikampf keinen Pardon gebe.«
»Und Dir, Du stolzer Mann, sei hierauf geantwortet, daß Du Dich eines Ersuchens um Pardon von meiner Seite nicht gewärtig zu halten hast, und daß ich auch nicht im geringsten befürchte, trotz Deiner Zuversicht, als läge ich bereits zu Deinen Füßen, solches Ersuchen von nöten zu haben.«
»So bist Du also nicht gewillt,« sagte der Ritter, »das Schicksal, das Dir winkt, und das Du mit solch ungemessener Verwegenheit heraufbeschworen hast, von Dir abzuwenden?«
»Wie sollte das möglich sein?« erwiderte Halbert Glendinning, mehr von dem Wunsche geleitet, sein Verhältnis zu dem Fremden besser zu erkennen als ihm irgend welche Nachgiebigkeit zu erzeigen.
»Du brauchst mir bloß zu sagen,« antwortete hierauf Sir Piercie, »aber ohne Säumen und ohne Arg, wie Du dazu gekommen bist, mich in meiner Ehre so tief zu verletzen, und kannst Du mir hierbei einen meiner Rache würdigeren Feind namhaft machen, dann will ich Dir um Deiner Geringfügigkeit willen gern erlauben, über Deine Keckheit und Deinen Mangel an Schicklichkeit einen Schleier zu decken.«
»Es wäre ein Unrecht, wollte man Deinem Uebermut solch hohen Flug gestatten ohne alles Hemmnis,« erwiderte Glendinning. »Du bist in meines Vaters Haus gekommen als Flüchtling und Verbannter, so weit ich vermuten kann, und der erste Gruß, den Du seinen Bewohnern sagtest, war Beleidigung und Verachtung. Wie ich nun dazu gekommen bin, Dir auf solches Verhalten zu antworten, wie ich es getan habe, das mach mit Deinem Gewissen ab. Für mich ist das Vorrecht jedes freien Schotten genügend, sich jeder Beleidigung zu wehren und kein ihm angetanes Unrecht auf sich sitzen zu lassen.«
»Gut also!« rief Sir Piercie Shafton; »morgen früh entscheiden wir unsern Zwist durch das Schwert. Als Zeit wollen wir den Tagesanbruch festsetzen, den Ort magst Du bestimmen. Wir begeben uns in den Wald, wie wenn wir vorhätten, auf die Jagd zu gehen.«
»Mir recht,« erwiderte Halbert Glendinning, »und ich will Dich an einen Ort führen, wo an die Hundert fechten und fallen können, ohne daß sie die geringste Störung oder Unterbrechung zu befürchten brauchen.«
»Einverstanden,« versetzte der Ritter, »und nun laß uns auseinander gehen. Es wird freilich wohl nicht ohne die Nachrede für mich abgehen, daß ich mich einem die Scholle brechenden Bauern gegenüber meines edelmännischen Rechts müßigerweise begeben hätte und zu einer tiefern Sphäre herniedergestiegen wäre, etwa der Sonne gleich, wenn sie sich dazu erniedrigen wollte, ihre goldnen Strahlen mit dem bleichen Schein eines flackernden Talglichts zu vergleichen. Indessen soll mich Rücksicht auf Rang nicht daran hindern, die mir von Dir erwiesene Kränkung zu ahnden. Und nun merke Dir, mein Sir Villaggio, daß, wir uns vor den Bewohnern jenes Turmhauses, das Du die Stätte Deiner Geburt nennst, nicht das geringste merken lassen, sondern so harmlos uns benehmen, als läge zwischen uns nicht das geringste mehr vor. Und das Weitere dann morgen bei Tagesanbruch!«
Mit diesen Worten schritt der Ritter dem Turme zu. Halbert folgte ihm langsam und konnte sich jetzt des Gedankens nicht erwehren, daß ihm sicherlich jede Neigung, ihm eine Kränkung anzutun, ferngelegen hätte, wenn sich der Ritter immer eines so edeln Betragens und ritterlichen Tons befleißigt hätte, wie bei dieser letzten Begegnung. Indes war die Sache nun nicht mehr zu ändern, die tödliche Beleidigung war auf beiden Seiten gefallen, und ihrem Ausgleich durch Entscheidung auf Tod und Leben ließ sich nun nicht mehr ausweichen.
Beim Abendtisch entfaltete Sir Piercie Shafton gegen sämtliche Mitglieder der Familie eine solche Liebenswürdigkeit und beteiligte alle so gleichmäßig an der Unterhaltung, wie noch nie bisher. Die meiste Aufmerksamkeit erwies er freilich seiner göttlichen und unvergleichlichen, »Protektion«, wie er Mary von Avenel noch immer zu nennen liebte; er unterließ aber auch nicht, Müllers Mysie, die er gern als »anmutige Demoiselle«, und der Hausfrau, die er als »Matrone« zu titulieren liebte, manche Blume seiner Rhetorik zu spenden. Ja, um sich ihrer Bewunderung noch mehr zu versichern, stimmte er sogar einen Gesang an, wobei er dem lebhaften Bedauern darüber Ausdruck gab, daß ihm seine Viola di gamba fehle; trotzdem brachte er es auf fünfhundert Verse eines »unsterblichen Liedes«, wie er sagte, »aus dem Munde des unsterblichen Sängers Asphodel, unter welchem Namen wir Sterbliche den göttlichen Sir Philipp Sidney zu nennen liebten, der diesen Gesang an seine holde Schwester, die einzige Parthenope, bei Hofe und in der Welt als »Gräfin von Pembroke« bekannt, gerichtet habe; und da Sir Piercie immer mit halb geschlossenen Augen zu singen pflegte, entdeckte er nicht eher, als bis er zum Schlusse gelangt war und die Augen aufschlug, daß seine Zuhörer zum weitaus größten Teile eingeschlummert waren. Mary von Avenel hatte wohl Takt genug besessen, sich die süßen Fadaisen des göttlichen Asphodel bis zum Schlusse anzuhören; Mysie dagegen kam sich vor, als sei sie wieder in Vaters Mühle und schlummerte schon beim Anbruch des zweiten Versdutzends, während Edward es wohl eine kleine Weile länger aushielt, die Nase der braven Hausfrau hingegen alles Zeug dazu verriet, zu der ersehnten Viola einen tiefen Baß als Begleitung zu schnarchen. Halbert war der einzige, der keine Neigung zum Schlummer verriet, sondern, den Blick auf den Sänger geheftet, wach blieb, freilich wohl nicht, weil ihn der Inhalt der Verse sonderlich unterhalten oder die Vortragsweise sonderlich entzückt hätte, sondern nur, weil ihm die Fassung Bewunderung, vielleicht auch Neid, abgewann, mit der der Ritter am Abend vor einem Zweikampf endlose Lieder zu singen im stande war. Indessen entging es seinem Scharfblick auch nicht, daß hin und wieder der Ritter auch auf ihn einen heimlichen Blick warf, wie wenn er hätte erspähen wollen, wie Halbert seine Kaltblütigkeit aufzunehmen scheine.
»In meiner Haltung,« dachte Halbert stolz, »soll er nicht das geringste lesen, was ihm die Meinung wecken könnte, als sei ich auch nur ein Körnchen weniger gleichgültig als er.«
Und dann trat er an einen Wandsims und nahm einen Beutel herunter, der mit allerhand Gerätezeug angefüllt war, und machte sich eifrig an die Herrichtung von einigen Angeln. Als er etwa ein halbes Dutzend fertig haben mochte, sang Sir Piercie die letzten Strophen seines Gesanges von Asphodel. Auf diese Art bekundete er seine Kaltblütigkeit gegenüber dem am nächsten Tage zu erwartenden Ereignisse.
Inzwischen war es spät geworden, und die Hausgenossenschaft ging auseinander. Sir Piercie wandte sich zu der Frau vom Hause mit dem Anfang einer Unterhaltung: »Ihr Sohn Albert –»meinte er.
»Halbert,« verbesserte ihn mit Nachdruck die Witwe, »nach seinem Großvater Halbert Brydone ...« »Na, auch gut,« antwortete Sir Piercie, »ich habe Euren Sohn Halbert gebeten, morgen bei Sonnenaufgang mit mir auf die Jagd zu gehen. Wir wollen einen Hirsch vom Lager scheuchen, und Euer Sohn will mir den Beweis erbringen, daß er wirklich ein so tüchtiger Weidmann ist, wie die Leute sagen.«
»O, Herr Ritter, das ist er freilich,« erwiderte die Frau, »und Ihr sagt ihm doch bei dieser Gelegenheit, daß er dem Herrn Abt, unserm gnädigen Herrn, Gehorsam schuldig ist, und redet ihm zu, die Stellung eines Bogenschützen im Dienste der Abtei anzunehmen. Nicht wahr?«
»Verlaßt Euch nur auf mich, liebe Frau,« versetzte Sir Piercie, »ich werde ihm schon beibringen, wie er sich gegen feine Leute und Vorgesetzten zu benehmen hat.«
Dann wandte er sich zu Halbert.
»Also bei Tagesgrauen treffen wir uns?« sagte er wieder.
Halbert nickte zustimmend, und der Ritter fuhr fort:
»Indem ich noch meiner allerschönsten Protektion all jene fröhlichen Träume wünsche, die das Lager schöner Huldinnen umgaukeln, dieser anmutigen Demoiselle Mysie hingegen süße Ruhe in Morpheus' Armen und allen übrigen Herrschaften die im allgemeinen übliche gute Nacht, suche ich für mich selbst um die gütige Erlaubnis nach, mich nach meiner Ruhestatt verfügen zu dürfen, wenngleich ich mit dem Dichter sagen darf:
Ach Ruh! nur Lag' und Ort getauscht, doch Ruh' nicht –
Ach Schlaf! nur Ohnmacht der Natur, doch Schlaf nicht –
Ach Bett! nur Pfühl von Steinen, doch nicht Bett –
Bett, Schlaf und Ruhe kennt nicht der Verbannte!
Darauf ein anmutiges Kompliment, und der Ritter war aus dem Gemache verschwunden. Frau Glendinning gab nun das Zeichen zum Auseinandergehen, befahl noch Halbert, den Ritter ja pünktlich bei Tagesgrauen zu erwarten und begab sich dann zur Ruhe.
Halbert, der neben seinem Bruder auf dem Strohlager ruhte, konnte keine Ruhe finden. Der Zwist mit dem Ritter nahm seinen Geist noch immer rege in Anspruch, und je mehr er sann, desto deutlicher wurde ihm, was der Geist dunkel angedeutet hatte, daß er, wenn er ihm die Gabe bewillige, die von ihm ebenso unvorsichtig und ungestüm begehrt werde, mehr zu seinem Schaden handle als zu seinem Nutzen, und er erkannte nun zu spät, welche Gefahren und Schwierigkeiten seinen liebsten Freunden durch diesen Zweikampf drohten, gleichviel, ob er als Sieger aus demselben hervorginge oder den Tod dabei fände.
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