Das Lied von Bernadette


Der vorliegende
Text folgt der Ausgabe:
Franz Werfel
Gesammelte
Werke in Einzelbänden
Herausgegeben
von Knut Beck
Copyright
1941 Bermann-Fischer Verlag, Stockholm
Copyright
renewed 1968 by Alma Mahler-Werfel
Alle
Rechte vorbehalten
durch
S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Für
die Nachbemerkung:
©
2000 S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Gesamtherstellung:
Clausen & Bosse, Leck
Printed
in Germany 2000
isbn 3-10-091053-2
[email protected] v1.0
FR11 09.11.2014/lav
Inhalt
Ein
persönliches Vorwort
Wiedererweckung des 11. Februar
1858
Im Cachot
Massabielle, ein verrufener Ort
Bernadette weiß nichts von der
Heiligen Dreifaltigkeit
Café Progrès
Kein Reisig mehr
Das Wut- und Wehgeheul des Gave
Die Dame
Die Fremdheit der Welt
Frau Soubirous gerät außer sich
Bernadette darf nicht träumen
Wollen Sie mir die Güte
erweisen
Ein Stein saust nieder
Die ersten Worte
Boten der Wissenschaft
Eine geheime Beratung, die
unterbrochen wird
Die Kriegserklärung
Die Dame und die Gendarmerie
J. B. Estrade kommt von der
Grotte
Dechant Peyramale fordert ein
Rosenwunder
Anstatt des Wunders ein
Ärgernis
Wetterleuchten
Die Quelle
Der Tag nach dem Ärgernis
Der Tausch der Rosenkränze
oder: Sie liebt mich
Ein Louisdor und eine Ohrfeige
Das Kind Bouhouhorts
Du spielst mit dem Feuer, o
Bernadette
Nachbeben oder Affen des
Mirakels
Das Feuer spielt mir dir, o
Bernadette
A. Lacadé wagt einen
Staatsstreich
Ein Bischof ermißt die Folgen
Der Abschied aller Abschiede
Die Schatten der Gnade
Sœur Marie Thérèse verläßt die
Stadt
Der Psychiater greift in den
Kampf ein
Digitus dei oder Der Bischof
gibt der Dame eine Chance
Eine Analyse und zwei
Majestätsbeleidigungen
Die Dame besiegt den Kaiser
Bernadette unter den Weisen
Eine letzte Versuchung
Die weiße Rose
Die Novizenmeisterin
Das ist meine Stunde noch nicht
Das Verdienst des Leidens
Feenhände
Viel Besuch auf einmal
Das Zeichen
Nicht für mich fließt diese
Quelle
Der Teufel bedrängt Bernadette
Die Hölle des Fleisches
Der Blitz von Lourdes
Ich habe nicht geliebt
Ich liebe
Das fünfzigste Ave
Handelnde Personen
Bibliographischer Nachweis
Nachwort
Dem
Andenken
meiner
Stieftochter
Manon
In den
letzten Junitagen des Jahres 1940, nach dem Zusammenbruch Frankreichs, kamen
wir auf der Flucht von unserem damaligen Wohnort im Süden des Landes nach
Lourdes. Wir, meine Frau und ich, hatten gehofft, noch rechtzeitig über die
spanische Grenze nach Portugal entweichen zu können. Da jedoch sämtliche
Konsuln einmütig die notwendigen Visa verweigerten, blieb uns nichts anderes
übrig, als in derselben Nacht, da die Grenzstadt Hendaye von den deutschen
Truppen besetzt wurde, unter großen Schwierigkeiten ins Innere Frankreichs zu
flüchten. Die Départements der Pyrenäen waren zu einem phantastischen Heerlager
des Chaos geworden. Die Millionen dieser seltsamen Völkerwanderung irrten auf
den Landstraßen umher und verstopften die Städte und Dörfer: Franzosen,
Belgier, Holländer, Polen, Tschechen, Österreicher, exilierte Deutsche und
dazwischen die Soldaten der geschlagenen Armeen. Nur höchst notdürftig konnte
man seinen Hunger stillen. Obdach aber gab es überhaupt keines mehr. Wer
irgendeinen gepolsterten Stuhl eroberte, um die Nacht darauf zu verbringen,
wurde viel beneidet. In endlosen Reihen standen die mit Hausrat, Matratzen,
Betten hochbeladenen Autos der Flüchtlinge unbeweglich, denn Treibstoff war
nicht mehr vorhanden. In Pau hörten wir von einer dort ansässigen Familie,
Lourdes sei der einzige Ort, wo ein vom Glück Begünstigter vielleicht noch
Unterkunft finden könne. Da die berühmte Stadt nur dreißig Kilometer entfernt
lag, so riet man uns, den Versuch zu wagen und an ihre Pforten zu pochen. Wir
gehorchten diesem Rat und fanden endlich Herberge.
Auf diese
Weise führte mich die Vorsehung nach Lourdes, von dessen Wundergeschichte ich
bis dahin nur die oberflächlichste Kenntnis besaß. Wir verbargen uns mehrere
Wochen in der Pyrenäenstadt.
Es war eine
angstvolle Zeit. Es war aber zugleich auch eine hochbedeutsame Zeit für mich,
denn ich lernte kennen die wundersame Geschichte des Mädchens Bernadette
Soubirous und die wundersamen Tatsachen der Heilungen von Lourdes. Eines Tages
in meiner großen Bedrängnis legte ich ein Gelübde ab. Werde ich herausgeführt
aus dieser verzweifelten Lage und darf die rettende Küste Amerikas erreichen — so
gelobte ich dann will ich als erstes vor jeder andern Arbeit das Lied von
Bernadette singen, so gut ich es kann.
Dieses Buch
ist ein erfülltes Gelübde. Ein epischer Gesang kann in unserer Epoche nur die
Form eines Romans annehmen. ›Das Lied von Bernadette‹ ist ein Roman, aber keine
Fiktion. Der mißtrauische Leser wird angesichts der hier dargestellten
Ereignisse mit größerem Recht als sonst bei geschichtlichen Epen die Frage
stellen: »Was ist wahr? Was ist erfunden?« Ich gebe zur Antwort: All jene denkwürdigen
Begebenheiten, die den Inhalt dieses Buches bilden, haben sich in Wirklichkeit
ereignet. Da ihr Anbeginn nicht mehr als achtzig Jahre zurückliegt, spielen sie
im hellsten Licht der Geschichte, und ihre Wahrheit ist von Freund und Feind
und von kühlen Beobachtern in getreuen Zeugnissen erhärtet. Meine Erzählung
verändert nichts an dieser Wahrheit.
Nur dort
wurde das Recht der dichterischen Freiheit in Anspruch genommen, wo das
Kunstwerk gewisse chronologische Zusammendrängungen erforderte und wo es galt,
den Lebensfunken aus dem Stoff zu schlagen.
Ich habe es
gewagt, das Lied von Bernadette zu singen, obwohl ich kein Katholik bin,
sondern Jude. Den Mut zu diesem Unternehmen gab mir ein weit älteres und viel
unbewußteres Gelübde. Schon in den Tagen, da ich meine ersten Verse schrieb,
hatte ich mir zugeschworen, immer und überall durch meine Schriften zu
verherrlichen das göttliche Geheimnis und die menschliche Heiligkeit — des
Zeitalters ungeachtet, das sich mit Spott, Ingrimm und Gleichgültigkeit abkehrt
von diesen letzten Werten unseres Lebens.
Los
Angeles, im Mai 1941 FRANZ WERFEL
Erste Reihe
1
François
Soubirous erhebt sich in der Finsternis.
1 comment