Starke, grünbeschirmte, dauerhaft strahlende
Petroleumlampen, die, an waageförmigen Stangen befestigt, von der Decke
herabhängen und ihren weißlich heimeligen Schein über die Marmortische gießen.
Der Cafétier ist überzeugt davon, daß in dem neuerungstollen Paris, das jeder
modernen Erfindung atemlos nachläuft, nur sehr wenige Gaststätten mit solchem
Lichte gesegnet sind. Duran ist im Gegensatz zu den meisten seiner Landsleute
kein besonders sparsamer Mann. Er läßt sein Licht auch am Tage leuchten, wenn
es nötig ist, wie zum Beispiel heute, da die Winterdämmerung nicht weichen
will. Er geht in seiner Großmut noch weiter. Nicht beim materiellen Lichte läßt
er es bewenden. Er ist bestrebt, geistiges Licht zu verbreiten. Zu diesem
Zwecke hängen an den Kleiderrechen, wohleingerahmt, eine Menge der großen
Pariser Zeitungen, deren Abonnements-Spesen der Inhaber des Café Français nicht
scheut. ›Le Siècle‹ ist vorhanden, ›L’ère Impériale‹, ›Le Journal des Débats‹, ›La
Revue des Deux Mondes‹, ›La Petite République‹. Jawohl, auch diese ›Petite
République‹, ein höchst revolutionäres Blatt, gegen den Kaiser und seine
Regierung gerichtet, eine kampflustige Gazette, hinter der, wie jedermann weiß,
Louis Blanc in Person steht, der sozialistische Gottseibeiuns. Daß ›Le Lavedan‹,
das Wochenblatt von Lourdes, aufliegt, muß nicht eigens erwähnt werden. Die
Redaktion hat mit Herrn Duran ein beiderseits günstiges Abkommen getroffen, demzufolge
jeden Donnerstag vier Exemplare des frischen ›Lavedan‹ auf den Marmortischen zu
liegen haben. Im Hinblick auf all diese Bemühungen um die geistige Verpflegung
seines Gästekreises ist es zu verstehen, daß Durans ehrgeiziges Café Français
von manchen Leuten auch »Café Progrès« genannt wird.
Zweimal des
Tages hat das Lokal ganz großen Zuspruch. Das ist um elf Uhr herum, zur Stunde
des Apéritifs, und dann am Nachmittag um vier, wenn die Büros des Landgerichtes
schließen. Die Beamten dieser Behörde sind treue Stammgäste des Café Français.
Der französische Staat verfolgt bei der Dislozierung seiner Ämter ein
eigensinniges Prinzip. Die Préfecture des Départements befindet sich in Tarbes.
Demgemäß sollte die Sous-Préfecture in der nächstwichtigen Kantonalstadt ihren
Sitz haben, in Lourdes. Aber nein, diese hohe Behörde ist in dem winzigen
Argelès untergebracht, wo sie und das Oberkommando der Gendarmerie vom
Blutkreislauf der Verwaltung so ziemlich abgeschlossen sind. Der Grund für
diese Verbannung bleibt unerfindlich. Lourdes ist darüber mit Recht gekränkt.
Lourdes muß besänftigt werden. Man macht es also zum Sitz einer hohen
Gerichtsinstanz, die von Rechts wegen nach Tarbes gehört. So kommt es, daß
Monsieur Duran zu seinen Gästen zählt Pougat, einen regelrechten
Landgerichtspräsidenten, mehrere Richter, den kaiserlichen Staatsanwalt Dutour,
eine Anzahl von Verwaltungsbeamten, Rechtsanwälten und Gerichtsschreibern.
Zur Stunde
ist noch keiner dieser Herren erschienen. Am runden Tisch in der Ecke sitzt
Monsieur Hyacinthe de Lafite, allein. Monsieur de Lafite ist nicht Monsieur de
Lafite in Person, sondern ein unbegüterter Vetter des reichen Mannes. Ihm ist
ein Turmzimmer im Château eingeräumt, das zu beziehen ihm freisteht. Die
Familie de Lafite ist sehr oft auf Reisen. Um so mehr macht in letzter Zeit
Herr Hyacinthe von seiner Zuflucht Gebrauch. Dieses Lourdes ist für einen
leeren Beutel die reinste Klinik, und Paris, das nicht unterscheiden kann
zwischen echt und unecht, möge der Teufel holen! Wer kann in Paris arbeiten?
Journalisten, Huren und Seelenverkäufer.
Man sieht
Hyacinthe de Lafite auf den ersten Blick an, daß etwas Besonderes in ihm
steckt. Er trägt sich mit einem Stich ins Altväterische. Die üppig geschlungene
Plastron-Krawatte zum Beispiel erinnert an Alfred de Musset. Das aus der
abgeeckten Stirn zurückgestrichene Haar erinnert an Victor Hugo. Obwohl de
Lafite das vierzigste Jahr noch lange nicht erreicht hat, ist dieses Haar schon
grau meliert.
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