Miriam ist
die maurische Form von Maria. Die Forelle, die der Adler im Schnabel trägt, ist
nichts andres als Ichthys, das Christuszeichen, das über die frisch für Maria
eroberte Burg abgeworfen wird. Sie sehen, wie überall im Lande das marianische
Prinzip...«
Lafite
unterbricht ihn, weil er sich ärgert, aus blankem Widerspruchsgeist:
»Ich bin
durchaus nicht Ihrer Ansicht, mein Freund. Meines Dafürhaltens gehen alle diese
heraldischen Tiersymbole auf vorchristliche Zeiten zurück.«
»Aber Sie
werden doch nicht leugnen, mein Freund«, wendet der alte Clarens ein, »daß
selbst der Gave in seinem Namen ein Ave umschließt.«
Der Dichter
leugnet es rundweg. Wie alle Geister seiner Art läßt er sich von der
Improvisation auf einen ihn selbst überraschenden Weg verlocken, nur um recht
bald an das Ziel zu gelangen, das einzig ihn beschäftigt:
»Als
Philologe wissen Sie besser als ich, mein Freund, daß der Buchstabe Gamma in
manchen Sprachen zum Jota hinüber metastasiert und umgekehrt. Warum soll der
Gave nicht nach dem biblischen Jahwe benannt sein, den meine Königin Tarbis nach
ihrer unglücklichen Erfahrung mit dem Hebräer ins Land gebracht hat? Wenn Sie
mein Werk lesen oder zumindest den heutigen Aufsatz...«
Weiter
kommt er nicht. Das feinsinnige Gespräch muß abgebrochen werden. Es hat elf
geschlagen. Die Stunde des Apéritifs ist da. Nacheinander erscheinen sie alle,
die zur Intelligenz und Notabilität von Lourdes gehören. Unterhaltungen
freilich wie die soeben stattgehabte kann man mit all diesen Anwälten,
Offizieren, Beamten, Ärzten nicht führen. Ihr Sinn ist dem nutzfreien
Humanismus nicht gerade hold. Zuerst kommt Doktor Dozous, der Stadtarzt, eine
vielbeschäftigte Seele. Immer auf dem Sprung, immer zwischen zwei »Fällen«, die
seiner bedürfen, läßt er sich’s zu dieser Stunde nicht nehmen, unter anderen
angesehenen Männern ein Glas Portwein oder Malvasier zu leeren. Es gibt Ärzte
genug in Lourdes. Da ist der Doktor Peyrus, der Doktor Vergez, der Doktor
Lacrampe, der Doktor Balencie. Dennoch ist der Stadtarzt Dozous überzeugt
davon, daß die ganze Last der hiesigen medizinischen Wissenschaft auf seinen
etwas zu hohen Schultern liegt. Noch nicht ist erloschen in seiner Seele die
leidenschaftliche Neugier des Naturforschers. Deshalb unterhält er neben seinem
vollgemessenen Tagespensum eine rege ärztliche Korrespondenz, um in der Provinz
nicht wissenschaftlich zu verbauern. Wie mag der große Charcot, wie der
berühmte Voisin, Leiter der Salpêtrière in Paris, erschrecken, wenn er einen
der langen Briefe des Stadtarztes von Lourdes unter seiner Post findet, diese
wißbegierigen Fragebogen, die zu beantworten eine gute Stunde fordert.
»Ich werde
die Herren nur drei Minuten stören«, sagt Dozous. Es ist sein täglicher Gruß.
Er nimmt auf dem Rande eines Sessels Platz, ohne Hut und Mantel abzulegen, was
im Hinblick auf den Feuerofen Durans und die prophylaktische Praxis ein
bemerkenswerter Fehlgriff ist. Jetzt greift er nach dem ›Lavedan‹, schiebt die
Brille in die Stirn und beginnt das Blättchen durchzuschmökern. Wie sehr sich
Hyacinthe de Lafite auch in den Anblick des Lesenden vertieft, er nimmt auf der
Miene des Doktors kein günstiges Anzeichen wahr, daß sein Artikel bemerkt wird.
Inzwischen ist Monsieur Jean Baptiste Estrade, der Steuerverwalter von Lourdes,
zu dem Tisch gestoßen. Dieser Mann mit dem dunkeln Spitzbart und dem schwermütigen
Blick besitzt in den Augen des Schriftstellers einige Vorzüge. Er redet wenig,
aber hört trefflich. Er scheint geistigen Erkenntnissen und Formulierungen
nicht ganz verschlossen zu sein. Der Arzt hat gleichgültig die Zeitschrift dem
Steuerverwalter in die Hand gespielt. Nun blättert Estrade sie mit zerstreuten
Fingern durch. Als er gerade die Seite erreicht hat, wo Lafites Aufsatz prangt,
muß er aber den ›Lavedan‹ hinlegen, denn alle Herren erheben sich. Es geschieht
nicht alle Tage, daß der Herr Bürgermeister in Person die Tafelrunde beehrt.
Die
gewichtige Figur A.
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