Lacadés schiebt sich, nach allen Seiten grüßend, leutselig
heran. Man sieht es dem Maire von Lourdes an, daß er die längste Zeit seines
Lebens nicht mit Unrecht der »schöne Lacadé« hieß. Angesichts seines Bauches,
der Backentaschen und Augensäcke kann niemand mehr von Schönheit sprechen,
dafür um so nachdrücklicher von einer gut geölten, ja geschmeidigen Würde, wie
sie bei politisch begabten Korpulenten nicht selten ist. Er hat sich, obwohl aus
der engsten bäuerlichen Armut des Landes Bigorre stammend, glänzend in seine
öffentliche Rolle eingelebt. Als er das erstemal zum Bürgermeister von Lourdes
gewählt wurde, das war um 1848 herum, sagten ihm böse Zungen nach, er sei ein
ausgemachter Jakobiner. Heute ist er ein bewährter Anhänger des kaiserlichen
Regimes. Wer ändert seine Anschauungen nicht mit der reifenden Zeit? Lacadé
geht immer schwarz gekleidet, als sei er unablässig bereit, sich von seinen
zeremoniellen Pflichten überraschen zu lassen. Er hat weite, fast majestätische
Bewegungen. Seine Stimme ist herablassend. Wenn er spricht, so scheint es
stets, daß er anspricht. Auch die beiden staatlichen Funktionäre, die mit ihm
eingetreten sind, begönnert er. Dies ist Vital Dutour, Procureur Impérial,
ziemlich jung, glatzköpfig, ehrgeizig und zu Tode gelangweilt. Der andere ist
der Polizeikommissär Jacomet, ein Mann Anfang Vierzig, mit schweren Händen und
jenem unheilverkündenden Blick, der nun einmal auch bei harmlosen Leuten zum
Kriminalistenberuf gehört.
Der
Bürgermeister schüttelt allen die Hände, läßt seine Jovialität spielen. Der
Cafétier Duran stürzt herbei, nimmt die Bestellungen entgegen und bringt nach
einer Weile das Tablett mit den Getränken eigenhändig:
»Ah,
Messieurs! Leider sind die Zeitungen aus Paris heute nicht eingetroffen. Welch
ein Kreuz mit unserer Post!«
»Bah, die
Pariser Zeitungen«, spottet jemand. »Im Februar ist die Politik ebenso finster
wie das Wetter...«
Der kleine
Duran beeilt sich zu versichern:
»Wenn aber
die Herren die gestrige Nummer des ›Mémorial des Pyrénées‹ oder den ›Intérêt
Public‹ von Tarbes‹ zu sehen wünschen... Und ›Le Lavedan‹ ist erschienen,
pünktlich, liegt auf...«
Er neigt
sich ein wenig zu Lacadés Ohr:
»Und ein
Artikelchen ist drin, Monsieur le Maire, ein feines, sauberes Stück Arbeit...«
Lafite
horcht auf. Der Cafétier spitzt genußvoll die Lippen: »Das Artikelchen werden
sich die diversen Soutanen hier nicht hinter den Spiegel stecken... Noch einen
Malvasier, Monsieur le Maire?«
Lacadé
erhebt einen seherischen Blick und eine füllige Stimme:
»Ich kann
Ihnen und uns allen eine bessere Post versprechen, mein lieber Duran. Großes
wird für unser armes Lourdes geschehn. Auf meine unaufhörlichen Vorstellungen
hin erwägt man hohen Ortes einen Anschluß an das Netz der Eisenbahn... Ich
hoffe, die Herren sind alle Lokalpatrioten, gleich mir. Nicht wahr, Monsieur le
Procureur?«
Vital
Dutour erwidert mit trockener Höflichkeit:
»Wir vom
Gericht sind wie die Vagabunden. Heute sind wir hier, morgen versetzt man uns
anderswohin. Unser Lokalpatriotismus kann nicht recht warm werden...«
»Gleichviel,
der Bahnanschluß kommt«, weissagt Lacadé.
Das Gesicht
Durans leuchtet auf. Ihm fällt eine der goldenen Wortprägungen ein, die er in
der Zeitung gelesen hat. Da er so viel Geld für sie ausgibt, fühlt sich der Cafétier
auch verpflichtet, all diese Blätter bis in die Nacht hinein zu studieren. Ein
mühsames Werk, das den ungeübten Augen schadet, der gebildeten Ausdrucksweise
aber förderlich ist. Er spricht:
»Verkehrsmittel
und Schulbildung, das sind die beiden Grundpfeiler der sich höher entwickelnden
Menschheit...«
»Bravo,
Duran«, nickt Lacadé. »Besonders das mit den Verkehrsmitteln!« Schau einmal an,
da liefert mir dieser alte Kellner eine tadellose Wendung für eine Festrede.
Ich muß sie mir merken.
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