Aber dann, wie er es mit schwarzen und roten Buchstaben vor sich sah: »Erstes Auftreten der Maria Ladenbauer, genannt die ›weiße Amsel‹, nach ihrer Genesung,« da blieb er wie gelähmt stehen. Und in diesem Augenblick stand der Reban neben ihm, wie aus dem Boden gewachsen: den weißen Strubbelkopf unbedeckt, den schäbigen schwarzen Zylinder in der Hand und mit einer frischen Blume im Knopfloch. Er begrüßte Karl: »Der Herr Breiteneder – nein, so was! Nicht wahr, beehren uns heute wieder! Die Fräul'n Marie wird ja ganz weg sein vor Freud, wenn sie hört, daß sich die frühern Freund' doch noch um sie umschaun. Das arme Ding! Viel haben wir mit ihr ausg'standen, Herr von Breiteneder; aber jetzt hat sie sich derfangt.« Er redete noch eine ganze Menge, und Karl rührte sich nicht, obwohl er am liebsten weit fortgewesen wäre. Aber plötzlich regte sich eine Hoffnung in ihm, und er fragte den Rebay, ob denn die Marie gar nichts sehe – ob sie nicht doch wenigstens einen Schein habe. »Einen Schein?« erwiderte der andere. »Was fällt Ihnen denn ein, Herr von Breiteneder! ... Nichts sieht sie, gar nichts!« Er rief es mit seltsamer Fröhlichkeit. »Alles kohlrabenschwarz vor ihr ... Aber werden sich schon überzeugen, Herr von Breiteneder, hat alles seine guten Seiten, wenn man so sagen darf – und eine Stimme hat das Mädel, schöner als je! ... Na, Sie werden ja sehn, Herr von Breiteneder. – Und gut is sie – seelengut! Noch viel freundlicher, als sie eh schon war. Na, Sie kennen sie ja – haha!

– Ah, es kommen heut mehrere, die sie kennen ... natürlich nicht so gut wie Sie, Herr von Breiteneder; denn jetzt ist es natürlich vorbei mit die gewissen G'schichten. Aber das wird auch schon wieder kommen! Ich hab eine gekannt, die war blind und hat Zwillinge gekriegt – haha! – Schauen S', wer da is,« sagte er plötzlich, und Karl stand mit ihm vor der Kassa, an der Frau Ladenbauer saß. Sie war aufgedunsen und bleich und sah ihn an, ohne ein Wort zu sagen. Sie gab ihm ein Billett, er zahlte, wußte kaum, was mit ihm geschah. Plötzlich aber stieß er hervor: »Nicht der Marie sagen, um Gottes willen, Frau Ladenbauer ... nichts der Marie sagen, daß ich da bin! ... Herr Rebay, nichts ihr sagen!« »Is schon gut,« sagte Frau Ladenbauer und beschäftigte sich mit anderen Leuten, die Billette verlangten.

»Von mir kein Wörterl,« sagte Rebay. »Aber nachher, das wird eine Überraschung sein! Da kommen S' doch mit? Großes Fest – hoho! Habe die Ehre, Herr von Breiteneder.« Und er war verschwunden. Karl durchschritt den gefüllten Saal, und im Garten, der sich ohne weiteres anschloß, setzte er sich ganz hinten an einen Tisch, wo vor ihm schon zwei alte Leute Platz genommen hatten, eine Frau und ein Mann. Sie sprachen nichts miteinander, betrachteten stumm den neuen Gast, und nickten einander traurig zu. Karl saß da und wartete. Die Vorstellung begann, und Karl hörte die altbekannten Sachen wieder. Nur schien ihm alles eigentümlich verändert, weil er noch nie so weit vom Podium gesessen war. Zuerst spielte der Kapellmeister Rebay eine sogenannte Ouvertüre, von der zu Karl nur vereinzelte harte Akkorde drangen, dann trat als erste die Ungarin Ilka auf, in hellrotem Kleid, mit gespornten Stiefeln, sang ungarische Lieder und tanzte Tschardas. Hierauf folgte ein humoristischer Vortrag des Komikers Wiegel-Wagel; er trat im zeisiggrünen Frack auf, teilte mit, daß er soeben aus Afrika angekommen wäre, und berichtete allerlei unsinnige Abenteuer, deren Abschluß seine Hochzeit mit einer alten Witwe bildete. Dann kam ein Duett zwischen Herrn und Frau Ladenbauer; beide trugen Tiroler Kostüm. Nach ihnen, in schmutziger weißer Klowntracht, folgte der närrische kleine Jedek, zeigte zuerst seine Jongleurkünste, irrte mit riesigen Augen unter den Leuten umher, als wenn er jemanden suchte; dann stellte er Teller in Reihen vor sich auf, hämmerte mit einem Holzstab einen Marsch darauf, ordnete Gläser und spielte auf den Rändern mit feuchten Fingern eine wehmütige Walzermelodie.