Er spielte Geige und galt als der beste Fiedler in ganz Skandinavien. Sein Ruf verbreitete sich, und man wandte sich immer an ihn, damit er auf Hochzeiten und Festgelagen aufspiele. Mutter Daaé war gebrechlich und starb, als Christine ihr sechstes Lebensjahr begann. Daraufhin verkaufte der Vater, der nur seine Tochter und seine Musik liebte, sein Stückchen Land und suchte Ruhm in Upsala. Doch er fand dort nur Elend.
Da kehrte er aufs Land zurück, zog von Jahrmarkt zu Jahrmarkt und fiedelte seine skandinavischen Weisen, während seine Tochter, die nie von seiner Seite wich, ihm entweder verzückt lauschte oder ihn mit ihrem Gesang begleitete. Eines Tages hörte Professor Valerius die beiden auf dem Jahrmarkt in Limby und nahm sie nach Göteborg mit. Er behauptete, daß der Vater der beste Violinist der Welt sei und daß seine Tochter das Zeug zu einer großen Sängerin habe. Es wurde für ihre Erziehung und Ausbildung gesorgt. Wo sie hinkam, bezauberte sie jeden durch ihre Schönheit, ihre Anmut und ihren Drang, es allen recht zu machen. Ihre Fortschritte waren erstaunlich. Indessen beschlossen Professor Valerius und seine Frau, nach Frankreich zu ziehen. Sie nahmen Daaé und Christine mit. Mama Valerius behandelte Christine wie ihre eigene Tochter. Ihr Vater siechte dagegen vor Heimweh dahin. In Paris ging er nie aus. Er lebte in einer Traumwelt, die er sich mit seiner Geige schuf. Stundenlang schloß er sich mit seiner Tochter in sein Zimmer ein, wo man ihn ganz leise spielen und singen hörte. Manchmal horchte Mama Valerius an der Tür, seufzte tief, wischte eine Träne weg und schlich auf Zehenspitzen davon. Auch sie sehnte sich nach ihrem skandinavischen Himmel.
Nur im Sommer schien Vater Daaé aufzuleben, wenn die Familie in Perros-Guirec Ferien machte, einem Winkel in der Bretagne, der den Parisern damals noch so gut wie unbekannt war. Er liebte das Meer dieser Landschaft sehr, das, wie er fand, die gleiche Farbe habe wie im Norden, und oft spielte er am Strand schwermütige Weisen vor, wobei er behauptete, das Meer schweige, um ihnen zu lauschen. Dann lag er Mama Valerius so lange in den Ohren, bis sie auf eine neue Grille des früheren Fiedlers einging.
Zur Zeit der Wallfahrten, Dorffeste, Tänze und Kirchweihen zog er wie früher mit seiner Geige herum und durfte dabei seine Tochter acht Tage mitnehmen. Man wurde nie müde, ihnen zuzuhören. Sie überschütteten den kleinsten Weiler mit so viel Wohlklang, daß es fürs ganze Jahr reichte. Da sie Gasthofbetten ablehnten, übernachteten sie in Scheunen, wo sie sich auf dem Stroh aneinanderschmiegten – wie einst während ihres Elends in Schweden.
Jetzt waren sie hingegen ordentlich angezogen, nahmen nicht die Münzen an, die man ihnen geben wollte, und sammelten nie Geld, so daß die Leute aus dem Benehmen des Fiedlers nicht klug wurden, der mit diesem schönen Kind herumwanderte, das so wunderbar sang, daß man einen Engel aus dem Paradies zu hören vermeinte. Und man folgte ihnen von Dorf zu Dorf.
Eines Tages zwang ein kleiner Junge aus der Stadt seine Gouvernante zu einem langen Marsch, weil er es nicht über sich brachte, das kleine Mädchen zu verlassen, dessen sanfte und klare Stimme ihn gefesselt zu haben schien. Sie gelangten zu einer Bucht, die auch heute noch Trestraou heißt. Damals gab es dort nur den Himmel und das Meer und den goldenen Strand. Es wehte ein starker Wind, der Christines Schärpe ins Meer riß. Christine schrie auf und streckte die Arme danach aus, aber schon trugen die Wellen die Schärpe davon. Da hörte Christine eine Stimme, die zu ihr sagte:
»Seien Sie unbesorgt, Mademoiselle, ich werde Ihre Schärpe wieder aus dem Meer fischen.«
Sie sah einen kleinen Jungen, der trotz der empörten Rufe und Proteste einer ganz in Schwarz gekleideten Matrone davonrannte.
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