Als Reinhart die schön gereifte und frische Erscheinung wieder erblickte, trat ihm unwillkürlich die Frage, die sein Inneres neugierig bewegte, auf die Lippen, und er rief bedachtlos, indem er sich im Saale umsah: »Warum treiben Sie alle diese Dinge?«

Die Frage schien keineswegs ganz grundlos zu sein, obgleich sie ihm keine Antwort eintrug. Vielmehr sah ihn das schöne Fräulein groß an und errötete sichtlich, worauf sie ihn mit etwas strengerer Höflichkeit einlud, sie zu begleiten. Reinhart tat es nicht ohne Verlegenheit und ebenfalls mit einiger Röte im Gesicht.

 

Siebentes Kapitel

 

Von einer törichten Jungfrau

Denn er fühlte jetzt, als er sie am Arme dahinführte, daß seine Frage eigentlich nichts andres sagen wollte als: Schönste, weißt du nichts Besseres zu tun? oder noch deutlicher: Was hast du erlebt? Darum schritt das sich gegenseitig unbekannte Paar in gleichmäßiger Verblüffung nach dem Speisezimmer, und jedes wünschte meilenweit vom andern entfernt zu sein, wohl fühlend, daß sie sich unvorsichtig in eine kritische Lage heineingescherzt hatten.

Doch verzog sich die Verlegenheit, als sie in das bereits erleuchtete Zimmer traten, wo die zwei Mägde mit dem Auftragen des Abendessens beschäftigt waren. Man setzte sich zu Tisch, und die Mägde, nachdem sie ihren Dienst vorläufig getan, nahmen desgleichen Platz, versahen sich ohne weiteres mit Speise und aßen mit Fleiß und gutem Anstand.

»Sie sehen«, sagte Lucie zu ihrem Gast, »wir leben hier ganz patriarchalisch, und hoffentlich werden Sie sich durch die Gegenwart meiner braven Mädchen nicht beleidigt fühlen!«

»Im Gegenteil«, erwiderte Reinhart, »sie trägt dazu bei, meine Kur zu befördern!«

»Welche Kur?« fragte Lucie, und er antwortete:

»Die Augenkur! Ich habe mir nämlich durch meine Arbeit die Augen geschwächt und nun in einem alten ehrlichen Volksarzneibuche gelesen: kranke Augen sind zu stärken und gesunden durch fleißiges Anschauen schöner Weibsbilder, auch durch öfteres Ausschütten und Betrachten eines Beutels voll neuer Goldstücke! Das letztere Mittel dürfte kaum stark auf mich einwirken; das erstere hingegen scheint mir allen Ernstes etwas für sich zu haben; denn schon schmerzt mich das Sehen fast gar nicht mehr, während ich noch heute früh es übel empfand!«

Diese Worte äußerte Reinhart durchaus ernsthaft und ebenso ehrlich, als jenes Heilmittel in dem alten Arzneibuche gemeint war. Indem er daher an nichts weniger als an eine Schmeichelei dachte, war es um so mehr eine solche, und zwar eine so wirksame, daß die Frauensleute des Spottes vergaßen. Fräulein Lucia wurde aufs neue verlegen und wußte nicht, was sie aus dem wunderlichen Gaste machen sollte, und die Mägdlein beäugelten ihn heimlich als eine kurzweilige und zuträgliche Abwechslung in diesem klosterartigen Hause. In der Tat war es ihm so wenig um grobe Schmeicheleien zu tun, daß er das Gesagte schon bereute und, um es zu mildern und davon abzulenken, hinzufügte, er habe auch einen glücklichen Tag gehabt und mancherlei Schönes gesehen. So erzählte er auch von der hübschen Wirtstochter im Waldhorn und fragte, welche Bewandtnis es mit dieser eigentümlichen Person habe.

Zugleich jedoch berichtete er mit der unklugen Aufrichtigkeit, welche ihn seit seiner Ankunft plagte, den vollständigen Hergang und die Beschaffenheit seines Ausfluges, die Entdeckung des weisen Sinngedichtes, die Begegnung mit der Zöllnerin und diejenige mit der Pfarrerstochter sowie endlich mit der Waldhornstochter. Denn solange er unter den Augen seiner jetzigen Gastgeberin saß oder stand, trieb es ihn wie ein Zauber zur Offenherzigkeit, und wenn er die ärgsten Teufeleien begangen, so würde ihm das Geständnis derselben über die Lippen gesprungen sein.

Allein obgleich diese Wirkung Lucien nur zum Ruhme gereichte, schien sie sich dennoch nicht geschmeichelt zu fühlen. Sich des Zettels erinnernd, den ihr Reinhart erst statt des Briefes in die Hand gegeben hatte, rötete sich ihr Gesicht in anmutigem Zorn, und plötzlich stand sie auf und sagte mit verdächtigem Lächeln:

»So gedenken Sie wohl Ihre eleganten Abenteuer in diesem Hause fortzusetzen und sind nur in dieser schmeichelhaften Absicht gekommen?«

Worauf sie anfing, ziemlich rasch im Gemach auf und nieder zu gehen, während die zwei Mädchen als erboste Schleppträgerinnen ihres Zornes ebenfalls aufsprangen und ihr folgten, höhnische Blicke nach dem unglücklich Aufrichtigen schleudernd. Reinhart säumte nicht, sich gleichermaßen auf die Beine zu stellen, und nachdem er mit Bestürzung eine kleine Weile dem Spaziergange zugesehen, sagte er:

»Mein Fräulein, wenn Sie es befehlen, so werde ich ohne Verzug das Haus verlassen und mit höflichstem Danke auch für kurzen, aber denkwürdigen Aufenthalt augenblicklich meinen Weg fortsetzen!«

Ohne stillzustehen, erwiderte die Schöne:

»Es ist zwar Nacht und kein Unterkommen für Sie in der Nähe; aber dennoch geht es unter den bewußten Umständen nicht an, daß Sie hierbleiben, in allem Frieden sei es gesagt! Auch kann die nächtliche Fahrt Ihrem unternehmenden Geiste nur willkommen sein, und überdies werde ich Ihnen einen Wegleiter samt Laterne mitgeben.«

Demnach blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu entfernen; bescheiden ging er der Dame entgegen, und im Begriff, sich ehrerbietig zu verbeugen, besann er sich aber eines Bessern, richtete sich auf und sagte höflich:

»Ich überlege soeben, daß ich für Sie und für mich am besten tue, wenn ich mich doch nicht so schimpflich hier fortjagen lasse! Denn während ich durch mein Bleiben meine eigene Würde bewahre, gebe ich Ihnen Gelegenheit, auf die herrlichste Weise Ihre weibliche Glorie zu behaupten. Denn auch vorausgesetzt, daß ich irgendeinen ungehörigen, wenn auch harmlosen Scherz im Schilde geführt hätte, so würde ich gewiß am empfindlichsten gestraft, wenn ich bei aller Freundschaft so respektvoll werde abziehen müssen wie ein junger Chorschüler und ohne im entferntesten jenen frechen Versuch gewagt zu haben! Aber fern seien von mir alle unbotmäßigen Gedanken! Doch von Ihnen, meine gnädige Wirtin, ebenso fern der bedenkliche Schein, sich mit offener Gewalt und Wegweisung gegen einen ungefährlichen Abenteurer schützen zu wollen!«

Er bot ihr hiermit den Arm und führte sie wieder an ihren Platz, was sie ruhig und schweigend geschehen ließ. Sie setzten sich abermals gegenüber; dann reichte sie ihm die Hand über den Tisch und sagte:

»Sie haben recht, machen wir Frieden! Und zum Zeichen der Versöhnung will ich Ihnen erzählen, was es mit der Waldhornjungfrau für eine Bewandtnis hat. Vorher aber liefern Sie mir als Beweis Ihrer redlichen Gesinnung jenen ruchlosen Reimzettel aus, den Sie bei sich führen! Und ihr Mädchen, nehmt eure Rädchen und spinnt euern Abendsegen!«

Die Mädchen holten zwei leichte Spinnräder und setzten sich herzu; Reinhart suchte das Sinngedicht hervor und gab es Lucie; diese zeigte den Zettel den Mägden und sagte:

»Da seht, welche Torheiten ein ernsthafter Gelehrter in der Tasche trägt!« worauf sie das arme Papierchen unter dem Gekicher der Mädchen an eine der Kerzen hielt, verbrannte und die Asche in die Luft blies. Dann begann sie, während das sanfte Schnurren der Spinnräder für Reinhart eine ebenso neue wie trauliche Begleitung bildete, ihre Mitteilungen.

 

»Was nun die hübsche Wirtin vor dem Walde betrifft (sagte sie), so ist sie allerdings eine eigentümliche Erscheinung. Schon als Kind zeichnete sie sich sowohl durch Schönheit und frisches Wesen als auch durch eine ganz eigene Gescheitheit und Witzigkeit oder Zungenfertigkeit aus, oder wie man es nennen will, und je mehr sie heranwuchs, desto glänzender schienen diese äußern und innern Eigenschaften sich auszubilden. Mit der äußern Schönheit schien es nicht nur, sondern es war auch wirklich der Fall; denn so hübsch sie auch jetzt noch aussieht, so ist sie für die, so sie früher gesehen, doch beinahe nur noch ein Abglanz im Vergleich zu dem, was sie vor einigen Jahren gewesen. Die innere Schöne oder vermeintliche Weisheit des Mädchens dagegen erwies sich als ein arger Schein; sie hat zwar jetzt noch ein so schlagfertiges Redewerk, als es sich nur wünschen läßt, allein es steckt eitel Torheit und Finsternis dahinter. Nicht nur wurde sie von den Eltern, welches roh gleichgültige Wirts- und Landleute sind, niemals dazu angehalten, etwas zu lernen und in ihre Seele hineinzutun, sondern sie empfand auch selber nicht den kleinsten Antrieb und blieb zu rechten Dingen so dumm, daß sie kaum mühselig schreiben lernte, und man sagt, daß ihr sogar das Lesen ziemlich schwerfalle. Aber auch in Hinsicht des natürlichen Verstandes, an irgendeinem Verstehen des Erheblichen und Bessern im menschlichen Leben fehlte es ihr so sehr, daß sie als ein vollständiges Schaf in der dunkelsten Gemütslage verharrte, indessen sie doch durch ihre Zungenkünste in lächerlichen Dingen und durch eine große Gewandtheit in Kinderein stets den Ruf eines durchtrieben klugen Wesens behielt. Doch nur in zahlreicher Umgebung, wo die Leute kamen und gingen und es auf kein Stichhalten auslief, bewährte sich ihre Weisheit; sobald sie mit einer halbwegs verständigen Person allein war, so dauerte die Herrlichkeit keine Stunde, und sie geriet aufs Trockene. Da erklärte sie dann die Leute für langweilige Einfaltspinsel, mit denen nichts anzufangen sei. Befand sie sich aber mit Menschen ihres eigenen Schlages allein, so entstand aus lauter Dummheit zwischen ihnen die trostloseste Stichelei und Zänkerei.

Dennoch hielt sie sich für einen Ausbund, strebte von jeher nach großen Dingen, worunter sie natürlich vor allem das Einfangen eines recht glänzenden jungen Herrn verstand. Da sie aber, wie gesagt, nur im großen Haufen ihre Stärke fand, so wollte es ihr nicht gelingen, ein einzelnes Verhältnis abzusondern und ordentlich auf ein Spülchen zu wickeln.

Als meine Großeltern noch lebten, gab es zuweilen viel junge Leute hier, die sich nicht übel belustigten und die Gegend unsicher machten. Vorzüglich gefielen sich die Herren darin, in Verbindung mit den Bewohnern und Gästen umliegender Häuser das Waldhorn zum Sammelplatz auf Jagd- und Streifzügen zu wählen, dort tage- und nächtelang zu liegen und der schönen Wirtstochter den Hof zu machen. Die wußte sich denn auch unter ihnen zu bewegen, daß es eine Art hatte und die Eltern vor Bewunderung außer sich gerieten.

Da war nun auch ein junger Städter oft bei uns, ein hübsches, aber durchaus unnützes Bürschchen, der, von ein wenig Schule und Schliff abgesehen, beinah so töricht war wie die Dame im Waldhorn. Reich, übermütig und ein ganz verzogenes Muttersöhnchen, gab er, so leer sein Kopf an guten Dingen war, um so vorlauter in allen Narrheiten den Ton an und war hauptsächlich im Waldhorn der Erste und Letzte. Dies zu sein war ihm auch Ehrensache, und wenn er einen Streich nicht angegeben hatte oder in den Zusammenkünften nicht die Hauptrolle spielte, so fragte er nichts danach und tat, als sähe er nichts, statt mitzulachen. Am meisten machte er sich mit der Salome zu schaffen, belagerte sie unaufhörlich, behauptete, sie sei in ihn verliebt und er wolle sich besinnen, ob er um sie anhalten wolle, was selbstverständlich alles nur Scherz sein sollte. Sie widersprach ihm ebenso unaufhörlich mit spitzigen Spottreden, die mehr grob als launig ausfielen, versicherte, sie könne ihn nicht ausstehen, und war inzwischen begierig, wie sie ihn an sich festbinden werde, woran sie nicht zweifelte; denn sie wünschte keinen herrlichern Mann zu bekommen.