Allein es wollte sich lange nicht fügen, daß die geringste ernsthafte Beziehung sich bildete; der Meister Drogo (wie ihn seine Eltern närrischerweise hatten taufen lassen) trieb immer nur Komödie, und sie desgleichen, da sie nichts andres anzufangen wußte, bis seine eigene Narrheit ihr plötzlich zu einem verzweifelten Einfall verhalf.

Im Garten hinter dem Hause gab es eine dichte Laube, die außerdem noch von Gebüschen umgeben war. Dorthin verlockte Drogo eines Abends, als schon die Sterne am Himmel glänzten, die mutwillige Gesellschaft, indem er sich stellte, als ob er vorsichtig der Salome nachschliche und eine geheime Zusammenkunft mit ihr ins Werk setzte. Er glaubte, sie sei schmollend schlafen gegangen, da sie sich den ganzen Abend derb geneckt hatten, und wußte es nun so gut zu machen, daß die Leute wirklich getäuscht wurden und meinten, er wolle sich unbemerkt nach der Laube hinstehlen. Sie winkten einander listig und schlichen ihm ebenso pfiffig nach, als er voranhuschte, und als er in die dunkle Laube schlüpfte, umringten sie sachte das grüne Gezelt, um das Liebespaar zu belauschen und zu überfallen; denn es pflegte eben nicht sehr zartsinnig zuzugehen.

Als Junker Drogo nun drinsaß und merkte, daß die Lauscher sich nach Wunsch aufgestellt hatten, begann er dieselben zu äffen und neidisch zu machen, indem er ein trauliches Geflüster nachahmte, wie wenn zwei Liebende heimlich zusammen wären; er nannte wiederholt ihren Namen mit seiner eigenen halblauten Stimme und dann den seinigen mit verstelltem Lispeln; die süßesten Wörtchen ertönten, Seufzer, und endlich fiel ein deutlicher Kuß, welchem bald ein zweiter folgte, dann mehrere, die sich zuletzt in einen förmlichen Küsseregen verloren, von zärtlichen Worten unterbrochen, so daß die Lauscher sich anstießen, vor Kichern ersticken wollten und dann wieder aufmerkten, wie die Sperber.

Nun saß der gute Herr Drogo mit seinen Possen keineswegs allein in der Laube; vielmehr saß niemand anders als die Salome auch darin, in eine Ecke gedrückt. Sie war nämlich nicht zu Bett, sondern hierher gegangen, um sich ein wenig zu grämen, da die dämliche Unbestimmtheit ihres Schicksals sie doch zu quälen begann, und sie weinte sogar ganz gelinde, eben als der Possenreißer ankam. Sie konnte nicht erkennen, wer es war, und saß bewegungslos im Winkel, um sich nicht zu verraten. Als jedoch die Komödie anfing, erriet sie bald ihren Widersacher und hörte auch gar wohl die übrigen heranschleichen; kurz; da es sich um eine Nichtsnutzigkeit handelte, vermerkte sie endlich den Sinn des ganzen Auftrittes, während sie etwas Ernsthaftes nicht erraten hätte, und sie verfiel stracks auf den Gedanken, den Spötter in seinem eigenen Garne zu fangen, jetzt oder nie!

Als er am eifrigsten dabei war, mit vieler Kunst in die Luft zu küssen, als ob er die roten Lippen der Salome küßte, fühlte er sich unversehens von zwei Armen umfangen, und seine Küsse begegneten denjenigen eines leibhaftigen Mundes. Erschreckt hielt er inne und wollte aufspringen; allein Salome ließ ihn nicht, sondern erstickte ihn fast mit Küssen und rief laut: ›Sieh, Liebster, so viel Küsse ich dir jetzt gebe, so viel Blitze sollen dich treffen, wenn du mir nicht treu bleibst!‹

Zugleich brach jetzt das lauschende Volk los, bereitgehaltene Lichter wurden rasch angezündet und damit in die Laube geleuchtet, und unter rauschendem Gelächter und lauten Glückwünschen wurde das Paar entdeckt und umringt. Aber auch die Eltern des Mädchens kamen herbei, ein aus dem mehrjährigen Militärdienst heimgekehrter Bruder, der nicht heiter aussah, Ackerknechte und ländliche Gäste, die noch in der Wirtsstube gesessen. Diese alle machten unheimliche Gesichter; das Pärchen wurde an der Spitze der ganzen Schar in das Haus begleitet, wo die Eltern Erklärungen verlangten. Salome weinte wieder, und ihr war sehr bang; Drogo wollte sich sachte aus der Verlegenheit ziehen und sich abseits drücken, seine Freunde selbst jedoch verlegten ihm den Weg und mochten ihm aus Neid und Schadenfreude sein Schicksal gönnen; sie beredeten ihn ebenso ernsthaft wie die Verwandten des Mädchens, sich zu erklären, während dieses, wie gebändigt, hold und traurig dasaß und der junge Mensch noch das frische Gefühl ihrer Liebkosungen empfand. So verlobte er sich denn feierlich mit ihr und versprach ihr vor allen Zeugen die Ehe.

Es fiel ihm nun nicht schwer, die Zustimmung der Seinigen zu erlangen, die von jeher tun mußten, was ihm beliebte, und so wurde diese Mißheirat, die eigentlich nur äußerlich eine solche war, allseitig beschlossen. Aber, o Himmel! es wäre zehnmal besser gewesen, wenn es innerlich eine solche und die beiden Brautleute sich nich vollkommen gleich an Narrheit gewesen wären! Die Braut wurde jetzt modisch gekleidet und ein halbes Jahr vor der Hochzeit in die Stadt gebracht, wo sie die sogenannte feinere Sitte und die Führung eines Hauswesens von gutem Ton erlernen sollte. Damit war sie aber auf ein Meer gefahren, auf welchem sie das Steuer ihres Schiffleins aus der Hand verlor. Eine ihren künftigen Schwiegereltern befreundete Familie nahm sie aus Gefälligkeit bei sich auf. Diese Leute lebten in großer Ruhe und voll Anstand und machten nicht viele Worte; schnelle, unbedachte Reden und Antworten waren da nicht beliebt, sondern es mußte alles, was gesagt wurde, gediegen und wohlbegründet erscheinen; im stillen aber wurden nicht liebevolle Urteile ziemlich schnell flüssig. Salome wollte es im Anfang recht gut machen; da sie aber einen durchaus unbeweglichen Verstand besaß, so geriet die Sache nicht gut. Ihre Gebarungen und Manieren, welche sich in der freien Luft und im Wirtshause hübsch genug ausgenommen, waren in den Stadthäusern viel zu breit und zu hart, und ihre Witze wurden urplötzlich stumpf und ungeschickt. Sie patschte herum, wollte nach ihrer Gewohnheit immer sprechen und wußte es doch nicht anzubringen; bald war sie demütig und höflich, bald warf sie sich auf und wollte sich nichts vergeben, genug, sie arbeitete sich so tief als möglich in das Ungeschick hinein und wurde von den feinen Leuten, die sie von vornherein scheel angesehen hatten, unter der Hand nur das Kamel genannt, welcher Titel sich behende verbreitete und besonders in den Häusern beliebt wurde, wo man für die Töchter auf ihren Verlobten gerechnet hatte. Denn obgleich der auch kein Kirchenlicht vorstellte, so war er im bewußten Punkte doch ein unentbehrlicher Gegenstand, den man nur mit Verdruß durch die Bauerntochter aus der Berechnung gezogen sah. Die weibliche Gesellschaft versäumte nicht, die Mißachtung sichtbar zu machen, in welche die Arme geriet, und sorgte dafür, daß der Ehrentitel dem Bräutigam zeitig zu Gehör kam, während sie gegen diesen selbst ein zartgefühltes, schonendes Bedauern heuchelte, wie wenn er als das edelste Kleinod der Welt auf schreckliche Weise einer Unwürdigen zum Opfer gefallen wäre. Selbst die Herren, welche der Salome auf dem Lande schöngetan und nicht verschmäht hatten, ihr tagelang den Hof zu machen, wollten sich jetzt nicht bloßstellen und ließen sie schmählich im Stich.

So kam es dazu, daß der Bräutigam, wenn die Braut nicht gegenwärtig war, sich für einen armen unglücklichen Tropf hielt, der sein Lebensglück leichtsinnig vernichtet habe, und er bedauerte sich selbst; sobald sie sich aber sehen ließ, schlug ihre Schönheit solche Gedanken aus dem Felde, da er mit seinem leeren Kopfe nur dem Augenblick lebte. Salome aber, die sich überall verkauft und verraten sah und nichts Gutes ahnte, suchte sich um so ängstlicher an die Hauptsache, nämlich an den Bräutigam zu halten und ihn mit vermehrten Liebkosungen zu fesseln; denn sie hatte keine andere Münze mehr auszugeben, und sobald sie aufhörten, sich zu schnäbeln, stand die Unterhaltung still zwischen diesen Leutchen, die sonst so rüstig an der Spitze gestanden hatten.

Salome verspürte keine Ahnung, daß die Beschaffenheit ihres Geistes, ihrer Klugheit in Frage gestellt war; sie schrieb den obwaltenden Unstern einzig ihrer ländlichen Herkunft und dem übeln Willen der Städter zu. Sie hüllte sich daher in ihr Bewußtsein, dachte, wenn sie nur erst Frau wäre, so wollte sie ihre Trümpfe schon wieder ausspielen, und hielt sich inzwischen an den Liebsten, um seiner Neigung sicher zu bleiben.

Da saßen sie nun eines schönen Nachmittags auch auf einem seidenen Sofa oder Diwan, Salome in einem kirschroten Seidenkleide, das sie selbst gekauft, mit dicken goldenen Armspangen, die ihr Drogo geschenkt, und in echten Spitzen, die von der Schwiegermutter herrührten, Drogo aber im neuesten Aufputz eines Modeherrn. Dergestalt hielten sich umfangen und gaben so dem Ansehen nach ein Bild irdischen Glückes ab; denn so jung, so schön und hübsch gekleidet, wie beide waren, als Brautleute, denen ein langes sorgloses Leben lachte, der lieblichsten Muße genießend in einem stillen Empfangssaale, den sie zur Ruhe gewählt, schien ihnen nichts zu fehlen, um sich im Paradiese glauben zu können. Sie waren über ihrem Kosen sänftlich eingeschlafen und erwachten jetzt wieder, gemächlich eines nach dem andern; der Bräutigam gähnte ein weniges, mit Maß, und hielt die Hand vor; die Braut aber, als sie ihn gähnen sah, sperrte, unwiderstehlich gereizt, den Mund auf, so weit sie konnte und wie sie es auf dem Lande zu tun pflegte, wenn keine Fremden da waren, und begleitete diese Mundaufsperrung mit jenem trost-, hoffnungs-und rücksichtslosen Weltuntergangsseufzer oder Gestöhne, womit manche Leute, in der behaglichsten Meinung von der Welt, die gesundesten Nerven zu erschüttern und die frohesten Gemüter einzuschüchtern verstehen.

Sie müssen sich nicht wundern (unterbrach sich Lucia), daß ich diese Einzelheiten so genau kenne: ich habe sie sattsam von beiden Seiten erzählen hören, und es scheint außerdem, daß jenes unglückliche Gähnduett gleich einem unwillkürlichen, verhängnisvollen Bekenntnisse die Wendung herbeiführte. Wenigstens verweilten beide wiederholt bei diesem merkwürdigen Punkte. Der Bräutigam wurde auf einmal ganz verdrießlich und rief: ›O Gott im Himmel! Ist das nun alles, was du zu erzählen weißt?‹

Salome wollt ihn küssen; allein er hielt sie ab und sagte: ›Laß doch, und sage lieber etwas Feines!‹

Da wurde die Abgewiesene von Röte übergossen; sie sprach aber schnell: ›Wie man in den Wald ruft, so tönt es heraus! Sag mir etwas Feines vor, so werde ich antworten!‹

›Ach, die Kamele sprechen nicht!‹ erwiderte Drogo unbesonnen mit einem Seufzer. Da wurde sie bleich, lehnte sich zurück und sagte: ›Wer ist ein Kamel, mein Schatz?‹

›O Liebchen,‹ sagte er, ›die ganze Stadt nennt dich so!‹

›Und du hältst mich also auch für eines?‹ fragte sie, und er antwortete, indem er sie wieder an sich ziehen wollte: ›Sicherlich, und zwar für das reizendste, das ich je gesehen!‹

Da fühlte sich Salome von dem schärfsten Pfeil getroffen, den es für sie geben konnte; denn sie hielt ihre vermeintliche Klugheit für ihre eigentliche Ehre, für ihr Palladium und ihre Hauptsache. Aber das war gut für sie, weil sie dadurch eine Wehr und einen Halt gewann, sich vom Verderben rettete und ihre Schwäche gutmachte.

Ohne ein ferneres Wort zu sagen, riß sie sich los, löste die Spangen von den Knöcheln, die Spitzen vom Halse, warf sie dem herzlosen Bräutigam vor die Füße, und augenblicklich lief sie aus dem Hause, spuckte wie ein Bauer auf die Schwelle desselben und lief, wie sie war, ohne Hut und Handschuh', aus der Stadt.