Er war ein kleiner Einjähriger mit der Aussicht auf einen Gefreitenknopf.

Er gab den Brief her. Klitsche steckte ihn ein. Er befahl:

»Ziehen Sie sich aus!«

Und Theodor zog sich aus. Als wäre es ganz selbstverständlich, zog er sich aus. Er dachte daran, daß er Klitsche gehorchen müsse.

Und langsam und gleichgültig zog er sich wieder an, so langsam und gleichgültig wie in seinem Zimmer des Morgens, wie alle Tage.

Es war Frühling in den Straßen, es zwitscherten übermütige Vögel, die Straßenbahnen klingelten, die Luft war blau, die Frauen trugen leichte Kleider.

Theodor möchte krank sein und ein kleiner Junge und in seinem Bett liegen. Er trank in Schnapsbuden zweiten Ranges und schlief mit Mädchen vom Potsdamer Platz, weil sein Geld zur Neige ging. Und als er nichts mehr hatte, empfand er die rauschende Buntheit der Straße tausendmal stärker und seine eigene Kleinheit. Und er vergaß den Besuch bei Klitsche, wie er den beim Prinzen Heinrich vergraben hatte. Über Abhänge und durch Niederungen führte der Weg.

V

Sein Weg führte vorläufig zu der Wohnung des Malers Klaften.

Theodor hieß Friedrich Trattner und war Genosse aus Hamburg. Moderne Bilder sah er bei Klaften, farbenrauschende Fanfaronaden, gelbe, violette, rote. Die Augen schmerzten, wenn man sich von den Bildern abwendete, wie wenn man in die Sonne gesehen hätte. Theodor sagte: »Sehr schön!«

Seine Bewunderung genügte allen und ersetzte die Legitimation. Man sagte Genosse Trattner zu ihm. Er trug seinen neuen Namen mit Inbrunst. Er, den jede neue Situation überraschte, erschüttern konnte, jetzt erfand er selbst Situationen, abenteuerliche Ausbrüche aus Gefängnissen, plötzliche Flucht vor auftauchenden Spitzeln, Prügeleien mit Polizei und Studenten.

Theodor wuchs in Friedrich Trattner hinein. Durch den Körper dieser Figur, die er spielte, ging es zu Ansehen und Geltung. Es war wie eine Gefreitencharge beim Militär, die man ganz durchkosten mußte, ehe man weiterkam. Man hatte sie bald überstanden. Man gab sich Mühe, ihrer würdig zu sein, aber nur, um aus ihr schlüpfen zu können.

Neue Menschen lernte Theodor kennen. Den Juden Goldscheider, der die Güte predigte und bei jeder Gelegenheit das Neue Testament zitierte. War er ein Bolschewik oder nur ein Jude? Goldscheider selbst erzählte von seinem Aufenthalt in Irrenhäusern. Er war gewiß närrisch. Er sagte manchmal Unverständliches. Die anderen täuschten Verständnis vor.

Es war eine harmlose Gesellschaft junger armer Menschen ohne Obdach. Sie bekamen Logis und einen Kaffee vom Maler Klaften. Der Maler lebte von unmodernen Bildern, die allgemein in der Gesellschaft Kitsch genannt wurden. Theodor hielt sie für die besten Werke Klaftens.

Theodor hörte die jungen Leute fluchen. Sie sahen den Tag der großen Revolution greifbar nahe. Sie fluchten auf sozialistische Abgeordnete und Minister, die Theodor immer für Kommunisten gehalten hatte. Er verstand so feine Unterschiede nicht.

Der Maler Klaften porträtierte Theodor.