Ihr Ludendorff.«

Theodor las den Brief: in der Bahn, an der Haltestelle, im Kolleg und während er aß. Ja, mitten im Gewühl der Straßen erfaßte ihn Verlangen nach dem Brief. Es zog ihn zu einer der kleinen Bänke am Rande eines Rasens hin, auf die er sich niemals gesetzt hätte, aus Widerwillen gegen die plebejischen und von Menschen niederen Schlages bevölkerten Sitzgelegenheiten. Heute war er meilenweit von den Menschen entfernt, mit denen er dieselbe Bank teilte. Er las den Brief und wanderte weiter, um sich nach zehn Minuten wieder zu setzen.

Wie ein frommer Bibeldeuter im Text der Heiligen Schrift, so fand Theodor in den Zeilen des Generals immer wieder einen neuen Sinn. Bald kam er zu der Überzeugung, daß Ludendorff von Theodor Lohses Eintritt in die Geheimorganisation wisse. Trebitsch mußte es ihm mitgeteilt haben. War Theodor nicht ein persönlicher Freund des Prinzen? Zwischen der Absendung des Briefes und dem Eintreffen der Antwort lagen acht Tage. Also hat sich Ludendorff in Berlin erkundigt. »Mein lieber Freund!« schrieb der General. So schreibt man einem, der mehr verspricht, als er schon geleistet hat.

Theodor begab sich in die »Germania«, in deren Lesesaal der Germanist Spitz einen Vortrag über Rassenprobleme hielt. Wilhelm Tiedemann und andere vom Bunde deutscher Rechtshörer waren anwesend. Zuerst las Tiedemann den Brief. Auf seine Einsicht konnte sich Theodor verlassen. Und Tiedemann war ebenso wie Theodor überzeugt, daß Ludendorff seines neuen Freundes Persönlichkeit schon längere Zeit kennen mußte.

Alle sagten es Theodor, alle waren seine Freunde. Aus aller Augen strömte ihm Liebe entgegen. Jedes einzelnen Herzschlag hörte er, und das Pochen ihrer Herzen war die Sprache der Freundschaft. Er lud sie ein. Er legte seinen Arm um Tiedemanns Schultern. Man trank auf Kosten Theodors. Man ließ ihn hochleben. Er sprach viel, und noch mehr fiel ihm ein. Als er fortging, trug er ein gewaltiges Geräusch seiner eigenen Worte davon.

Der nächste Morgen brachte ihm eine Einladung zum Detektiv Klitsche. Er hätte keine Briefe zu schreiben. An Ludendorff am allerwenigsten. Noch weniger hätte er darüber reden sollen. Er wäre nicht der einzige im Bunde der Rechtshörer, der zur Organisation gehörte, und jedes Wort, das er gestern gesagt, war Klitsche hinterbracht worden.

»Geben Sie den Brief her!« sagte Klitsche.

Theodor wurde rot. Flammende Räder kreisten vor seinen Augen. Er war plötzlich der kleine Einjährige und stand im Kasernenhof. Er nahm vorschriftsmäßig stramme Stellung an.