Er trank Wein, der ihm nicht schmeckte, und süße Liköre, die ihm Qual verursachten und deren widerlichen Geschmack er durch Kognak loszuwerden versuchte. Er schlief in schmutzigen Gasthöfen und entdeckte spät, daß er für die gleiche Summe alle paradiesischen Genüsse eines großen Hotels hätte kaufen können. Er ging einmal in die Gesellschaft seiner Kameraden, zahlte ihnen ein paar Runden und wurde ausgelacht. Jedes neue Mißlingen einer verschwenderisch unternommenen Freude stachelte seinen Ehrgeiz auf, und nur aus Angst vor dem angedrohten Tode hielt er in der Berauschtheit mit seinem Geheimnis zurück und dämmte krampfhaft das Wort hinter widerstrebenden Lippen: ich, Theodor Lohse, bin Mitglied einer geheimen Organisation.

Wie würden sie ihn bewundern, wenn sie es wüßten! Aber fast so köstlich, wie das Bewundertsein gewesen wäre, war das Geheimnis, in dem er lebte, und das Inkognito. Er war im Begriff, an den unsichtbaren Fäden zu ziehen, an denen, wie er aus den Zeitungen wußte, Minister, Behörden, Staatsmänner, Abgeordnete hingen. Und er trug immer noch das unscheinbare Gewand eines Rechtshörers und Hauslehrers. Er ging an einem Polizisten vorbei und wurde nicht erkannt. Niemand sah ihm seine Gefährlichkeit an. Manchmal gefiel es ihm, seine Verborgenheit zu verstärken, und er trat für einige Minuten in einen dunklen Hausflur und bildete sich ein, jemanden zu beobachten, ohne selbst bemerkt zu werden. Er bereitete sich auf seinen Beruf vor, indem er eine eingebildete Aufgabe ausführte. Er trat in irgendein Ministerium und fragte den Portier nach einem beliebigen Namen, er las die Liste der Beamten über die Schulter des suchenden Portiers und ging zufrieden davon. Er begann sich um Dinge zu kümmern, die ihn niemals interessiert hatten. Er kaufte revolutionäre Blätter, er ging, um ein gleichgültiges Inserat aufzugeben, in die Redaktion der »Roten Fahne« und stellte fest, daß sie leicht zu erobern war. Man sollte mit ihm zufrieden sein. Er würde – fiel ihm eine Aufgabe zu – über wichtige Dinge schon orientiert sein.

Mit jenem hitzigen Fleiß, mit dem er einmal freiwillig seinen Einzug in die Kaserne gehalten hatte, machte er sich an noch nicht erhaltene Aufträge, nicht verlangte Arbeiten. Freilich war es beim Regiment leichter, weil übersichtlicher. Man kannte den Zimmerkommandanten genau, den Schulleiter, den Sergeanten und den Wachtmeister. Hier tappte man im dunkeln. Sollte man seine Beflissenheit in Trebitschs Dienste stellen oder dem Detektiv Klitsche widmen? Wer kannte sich hier aus?

Theodor ging planlos durch die Straßen, mit rastlos leerlaufendem Eifer angefüllt. Er empfand die Notwendigkeit, seiner Beflissenheit ein sichtbares Gebiet zu erobern, deutliche Erfolge zu konstatieren. Vor einem Schaukasten eines Photographenateliers Unter den Linden blieb er stehen. Hier hing das farbige Bild des Generals Ludendorff, ein Paradestück des Photographen.

Immer war es Theodors Bestreben gewesen, mit den Großen und Größten in irgendeinen Kontakt zu gelangen. Schon in der Schule hatte er es durch allerlei Dienstund Ehrenerweisungen erreicht, daß ihn der Leiter in den Pausen mit irgendeinem persönlichen Auftrag begnadete. Im Kriege war er nach kurzen Monaten Adjutant des Obersten geworden. Und beim Anblick des Ludendorffschen Bildes verfiel Theodor auf den Gedanken, seine alte Methode anzuwenden und eine Verbindung mit dem General herzustellen. Sein Herz schlug, sein Blut klopfte gegen die Schläfen, als stünde er vor dem lebendigen General, nicht vor einer Photographie. Und Theodor begab sich in ein Café und schrieb einen ehrerbietigen Brief an Ludendorff nach München, ohne nähere Adresse, im Vertrauen auf die Popularität des Generals und die Zuverlässigkeit der Post.

Und es geschah, daß Theodor wirklich eine Antwort erhielt. Er las und wuchs bei jedem der kurzen, metallenen Worte. »Lieber Freund!« schrieb der General, »Sie gefallen mir. Arbeiten Sie fleißig mit Gott für Freiheit und Vaterland.