Nach dem Pogrom 1938 flüchteten die beiden Brüder meiner Mutter nach Amerika. Meine Großmutter kam zu uns. Sie war damals 73 Jahre alt. Nach 1940 ging es bergab mit den guten Zeiten. Erst kam der Krieg, dann die Kapitulation, dann der Einzug der Deutschen. Und nun begann das Elend. Ein diktatorisches Gesetz folgte dem anderen, und speziell für die Juden wurde es besonders schlimm. Sie mußten den Stern tragen, sie mußten ihre Fahrräder abgeben, sie durften nicht mehr mit der Elektrischen fahren, von Autos gar nicht zu reden. Juden durften nur zwischen 3 und 5 Uhr - und dann nur in jüdischen Geschäften - einkaufen. Sie durften nach 8 Uhr abends nicht mehr auf die Straße und sich nach dieser Zeit auch nicht im Garten oder auf dem Balkon aufhalten. Juden durften weder ins Theater noch ins Kino gehen, noch andere Vergnügungsstätten besuchen. Sie durften auch nicht mehr schwimmen, Tennis und Hockey spielen, überhaupt keinen Sport mehr treiben. Jüdische Kinder müssen jüdische Schulen besuchen. Und so häufen sich die Bestimmungen. Unter diesem Druck stand von nun an unser ganzes Leben. Jopie sagt immer: »Ich traue mich nicht mehr, irgend etwas zu tun, weil ich immer Angst habe, es ist ja doch verboten.«

Im Januar dieses Jahres starb Oma. Niemand weiß, wie ich an ihr hing und wie ich sie vermisse. Schon 1934 bin ich in den Kindergarten der Montessori-Schule gekommen und dann später auch in dieser Schule geblieben. Im letzten Jahr hatte ich die Direktorin, Frau K., als Klassenlehrerin. Am Ende des Jahres nahmen wir rührenden Abschied voneinander und weinten beide heiße Tränen. Margot und ich gingen dann - seit 1941 - auf die jüdische Schule (Lyzeum), sie in die vierte, ich in die erste Klasse.

Uns vieren geht es weiter gut, und so bin ich nun in der Gegenwart und beim heutigen Datum angelangt.

 

Samstag, 20. Juni 1942 

Liebe Kitty!

Ich will gleich beginnen. Es ist so hübsch ruhig. Vater und Mutter sind weg, und Margot ist bei einer Freundin zum Ping-Pong-Spielen. Ich spiele in der letzten Zeit auch sehr gerne. Da wir Ping-Pong-Spieler, besonders im Sommer, schrecklich gerne Eis essen, endet das Spiel meistens mit einem Ausflug nach einer der Konditoreien, die für Juden zugänglich sind: »Delphi« oder »Oase«. Wir machen uns keine Sorgen, ob wir viel oder wenig im Portemonnaie haben. Es ist meistens so voll, daß wir unter den vielen Menschen immer Herren aus unserem Bekanntenkreis oder einen Verehrer finden, und so viel Eis, wie uns da angeboten wird, können wir in einer Woche nicht vertilgen.

Ich nehme an, Du bist erstaunt, daß ich trotz meiner Jugend schon über Verehrer spreche. Leider aber ist dies Übel auf unserer Schule unvermeidlich. Sowie einer der Jungens fragt, ob er mit mir nach Hause radeln darf, kann ich sicher sein, daß der betreffende Jüngling sich Hals über Kopf in mich verliebt und mich eine Weile nicht aus den Augen läßt.