Wir machten viel Unsinn und waren riesig vergnügt. Es waren viele Buben und Mädchen da. Mutter will immer wissen, wen ich später einmal heiraten möchte. Ich glaube, sie würde sich schön wundern, wenn sie wüßte, daß es Peter Wessel ist, weil ich immer so harmlos tue, wenn sie davon anfängt. Mit Lies Goosens und Sanne Houtman bin ich seit Jahren zusammen, und sie waren bisher meine besten Freundinnen. Inzwischen habe ich Jopie van der Waal auf dem jüdischen Lyzeum kennengelernt. Wir sind viel zusammen, und nun ist sie meine beste Freundin. Lies ist nun mehr mit einem anderen Mädel zusammen, und Sanne geht in eine andere Schule und hat da ihre Freundinnen.
Samstag, 20. Juni 1942
Ich habe ein paar Tage nichts geschrieben, weil ich erst mal über den Zweck und Sinn eines Tagebuches ernstlich nachdenken wollte. Es ist eine eigenartige Empfindung, daß ich nun ein Tagebuch führen werde. Nicht allein, weil ich noch nie »geschrieben« habe. Ich nehme an, daß später weder ich noch jemand anders Interesse haben wird an den Herzensergüssen eines dreizehnjährigen Schulmädels, Aber eigentlich kommt es darauf gar nicht an. Ich habe Lust zum Schreiben und will vor allem mein Herz gründlich erleichtern.
»Papier ist geduldiger als Menschen.« So dachte ich oft, wenn ich an meinen leicht melancholischen Tagen den Kopf in die Hände stützte und nichts mit mir anzufangen wußte. Bald wollte ich zu Hause bleiben, dann wieder weggehen, und meistens blieb ich auf demselben Fleck sitzen und grübelte weiter. Ja, Papier ist geduldig! Ich habe nicht die Absicht dieses gebundene Heft mit dem hochklingenden Namen Tagebuch jemals jemandem zu zeigen, oder es müßte dann schon der Freund oder die Freundin sein, andere interessiert es wahrscheinlich auch nicht. Und nun bin ich bei dem Punkt angelangt, um den die ganze Tagebuchidee sich dreht: Ich habe keine Freundin! Das will ich aber besser erklären, denn niemand begreift, daß ein dreizehnjähriges Mädchen sich so allein fühlt. Das ist auch merkwürdig. Ich habe liebe, gute Eltern, ich habe eine Schwester von 16 Jahren und alle zusammengerechnet wohl 30 Bekannte oder was man so Freunde nennt. Ich habe ein Gefolge von Anbetern, die mir alles von den Augen ablesen und sogar in der Stunde so lange mit ihren Taschenspiegeln operieren, bis sie ein Lächeln von mir aufgefangen haben. Ich habe Verwandte, reizende Tanten und Onkels, ein schönes Zuhause, und eigentlich fehlt mir nichts, ausgenommen, die Freundin! Ich kann mit keinem meiner vielen Bekannten etwas anderes als Unsinn machen und nur über alltägliche Dinge sprechen. Es ist mir nicht möglich, mich auszusprechen, und ich bin dann wie zugeknöpft. Vielleicht liegt dieser Mangel an Vertrauen an mir, aber es ist nun mal so und sehr schade, daß ich nicht darüber hinweg kann.
Darum das Tagebuch. Um nun die Idee von der lang ersehnten Freundin in meiner Phantasie noch zu steigern, will ich nicht, wie jeder andere, nur Tatsachen in mein Tagebuch schreiben, sondern dieses Tagebuch meine Freundin selbst sein lassen, und diese Freundin heißt: Kitty!
Niemand könnte meine Unterhaltung mit Kitty verstehen, wenn ich so mit der Tür ins Haus fiele. Darum will ich meine Lebensgeschichte erzählen, so ungern ich es auch tue.
Als meine Eltern heirateten, war mein Vater 36, meine Mutter 25 Jahre alt. Meine Schwester Margot ist im Jahre 1926 in Frankfurt am Main geboren, am 12. Juni 1929 folgte ich. Als Juden emigrierten wir im Jahre 1933 nach Holland, wo mein Vater Direktor bei der Travis A.-G. wurde. Diese arbeitet in enger Verbindung mit der Firma Kolen & Co. in demselben Gebäude.
Unser Leben verlief mit den üblichen Aufregungen, denn die in Deutschland zurückgebliebenen Familienangehörigen blieben nicht verschont von den Verfolgungen der HitlerGesetze.
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