Holmes. Was für mich wirklich zählt, ist Ihre Bemerkung, daß zwischen dem Professor und diesem Verbrechen irgendeine Verbindung besteht. Das schließen Sie aus der Warnung, die Sie von diesem Porlock erhalten haben. Ist für uns da sonst noch was praktisch Brauchbares drin?«

»Zunächst können wir uns eine Vorstellung hinsichtlich der Motive des Verbrechens machen. Soviel ich Ihren anfänglichen Bemerkungen entnehme, handelt es sich um einen unerklärlichen oder zumindest ungeklärten Mord. Einmal angenommen, der Ausgangspunkt des Verbrechens läge dort, wo wir ihn vermuten, dann kämen zwei verschiedene Motive in Betracht. Zunächst darf ich vorausschicken, daß Moriarty seine Leute mit eiserner Rute regiert. Seine Disziplin ist fürchterlich. Und seine Gesetze kennen nur eine Strafe: den Tod. Wir dürften also annehmen, der Ermordete – dieser Douglas, von dessen herannahendem Schicksal einer der Untergebenen des Erzverbrechers Wind bekam – habe den Chefin irgendeiner Weise verraten. Es folgte seine Bestrafung, von der alle erfahren werden – und sei es nur, um ihnen Todesangst einzujagen.«

»Schön, das wäre die eine Möglichkeit, Mr. Holmes.«

»Die andere ist, daß Moriarty die Sache im Zuge eines ganz gewöhnlichen Geschäftsganges durchgeführt hat. Ist denn etwas geraubt worden?«

»Nicht daß ich wüßte.«

»Wenn ja, so spräche das natürlich gegen die erste Hypothese und zugunsten der zweiten. Moriarty könnte demnach gegen Zusicherung eines Beuteanteils mit der Durchführung betraut worden sein, vielleicht hat man ihm aber auch vor der Vollstreckung einen hohen Vorschuß gezahlt. Beides ist möglich. Aber welches davon es auch immer sein mag, oder falls eine dritte Kombination vorliegt – die Lösung müssen wir in Birlstone suchen. Ich kenne unseren Mann zu gut, um damit zu rechnen, daß er hier irgendeine Spur hinterlassen hat, die uns zu ihm führen könnte.«

»Dann auf nach Birlstone!« rief MacDonald; er schnellte aus dem Stuhl. »Meine Güte! Es ist schon später, als ich gedacht habe. Meine Herren, ich kann Ihnen fünf Minuten geben, um sich fertig zu machen, mehr nicht.«

»Die genügen uns reichlich«, sagte Holmes, während er aufsprang und hastig aus dem Hausrock in seinen Mantel schlüpfte. »Unterwegs, Mr. Mac, sind Sie bitte so freundlich, mir alles zu erzählen.«

›Alles‹ erwies sich als enttäuschend wenig, und doch war es genug, uns davon zu überzeugen, daß der vorliegende Fall sehr wohl die gespannteste Aufmerksamkeit eines Experten verdiente. Holmes’ Miene erhellte sich, und er rieb sich die dünnen Hände, während er den spärlichen, aber bemerkenswerten Einzelheiten lauschte. Hinter uns lag eine lange Reihe unersprießlicher Wochen, und hier bot sich endlich wieder einmal ein angemessenes Objekt für jene bemerkenswerten Fähigkeiten, die, wie jede Spezialbegabung, ihrem Besitzer zur Last werden, solange sie brachliegen. Bei längerer Untätigkeit stumpfte dieser rasiermesserscharfe Verstand ab und rostete vor sich hin. Dagegen glitzerten Sherlock Holmes’ Augen, die bleichen Wangen nahmen einen wärmeren Farbton an, und sein ganzes gespanntes Gesicht erstrahlte von einem inneren Feuer, wenn ihn der Lockruf der Arbeit erreichte. Während der Fahrt im Wagen lauschte er vornübergebeugt und aufmerksam MacDonalds kurzer Skizzierung des Problems, das uns in Sussex erwartete. Der Inspektor seinerseits war, wie er uns erklärte, angewiesen auf einen hingekritzelten Bericht, der ihm in den frühen Morgenstunden mit dem Milchzug zugesandt worden war. Mit White Mason, dem für die Grafschaft zuständigen Kriminalbeamten, verband ihn eine persönliche Freundschaft, und daher war MacDonald sehr viel schneller in Kenntnis gesetzt worden, als dies bei Scotland Yard der Brauch ist, wenn man dessen Hilfe in der Provinz benötigt. In allgemeinen verfolgt der aus der Metropole herbeigerufene Experte eine schon reichlich kalte Spur.

»Lieber Inspektor MacDonald«, begann der Brief, den er uns vorlas, »der offizielle Antrag auf Ihren Einsatz befindet sich im separaten Umschlag. Das hier ist für Sie persönlich.