Nun, Sie haben bereits erkannt, daß in der Sache mit dem Bild etwas nicht stimmt. Der Besitz des Bildes läßt ihn als einen wohlhabenden Menschen erscheinen. Woher aber dieser Reichtum? Er ist unverheiratet, sein jüngerer Bruder ist Stationsvorsteher im Westen Englands. Sein Einkommen beträgt 700 Pfund pro Jahr, und trotzdem besitzt er einen Greuze.«
»Nun also?«
»Die Schlußfolgerung ist doch einfach.«
»Nach Ihrer Meinung stammt sein Einkommen aus dunklen Quellen?«
»Sehr richtig. Ich habe natürlich noch andere Gründe für meine Annahme, Dutzende von geheimnisvollen Fäden, die sich in undefinierbarer Weise zu dem Mittelpunkt des Netzes hinspinnen, in dem eine giftgefüllte, regungslose Kreatur lauert. Ich habe den Greuze nur erwähnt, weil er die Angelegenheit in den Bereich Ihrer eigenen Beobachtungen bringt.«
»Ich gebe zu, Mr. Holmes, daß das, was Sie sagen, höchst interessant ist. Mehr als das – es ist geradezu wundervoll. Aber wollen wir uns nicht etwas klarer fassen, wenn dies möglich ist? Denken Sie an Fälschung, Falschmünzerei, Einbruch? Wo kommt das Geld her?«
»Haben Sie je etwas über Jonathan Wild gelesen?«
»Der Name kommt mir bekannt vor, eine Figur in einer Novelle, nicht wahr? Ich halte nicht viel von Detektiven in Novellen. Das sind Leute, die immer Erfolg haben, ohne daß man weiß, wie er zustande kommt. Die Leute arbeiten mit Einbildungskraft anstatt mit nackten Tatsachen.«
»Jonathan Wild war kein Detektiv, auch keine Novellenfigur. Er war ein Meisterverbrecher, der im achtzehnten Jahrhundert, so um 1750 herum, lebte.«
»Dann interessiert er mich nicht. Für mich als Mann der Praxis gibt es nur die Jetztzeit.«
»Nun, Mr. Mac, dann möchte ich Ihnen raten, wenn Sie tatsächlich ein Mann der Praxis sein wollen, sich zunächst einmal auf drei Monate in Ihren vier Wänden einzuschließen und zwölf Stunden täglich die Annalen des Verbrechers nachzulesen. Alles bewegt sich im Kreislauf, selbst der Typ des Professors Moriarty. Jonathan Wild war der geistige Mittelpunkt der Londoner Verbrecherwelt, der er seinen Kopf und seine Organisation gegen eine fünfzehnprozentige Provision zur Verfügung stellte. Das Rad dreht sich ständig weiter, und dieselben Speichen kommen immer wieder empor. Alles ist schon einmal dagewesen und alles wird wieder geschehen. Ich möchte Ihnen ein oder zwei Dinge über Moriarty erzählen, die Sie vielleicht interessieren werden.«
»Davon können Sie überzeugt sein.«
»Ich weiß z.B., wer das erste Glied in seiner Kette ist – einer Kette, an deren einem Ende sich dieser Napoleon der Verbrecher befindet während sie am anderen in eine Unzahl dunkler Existenzen ausmündet, – Rowdies, Taschendiebe, Erpresser, Falschspieler und noch viele andere. Tatsächlich ist jede Form des Verbrechens darin vertreten. Sein Generalstabschef ist Oberst Sebastian Moran, ein Mensch, der über die Verbrecherwelt ebenso hoch erhaben scheint und dem Gesetz gegenüber genau so unangreifbar ist, wie Moriarty selbst. Was glauben Sie, daß er ihm bezahlt?«
»Das möchte ich gerne wissen.«
»Sechstausend Pfund pro Jahr. Ein fürstliches Gehalt. Er hält sich die besten Leute und bezahlt sie entsprechend: das amerikanische Geschäftsprinzip. Ich bin ganz durch Zufall dahinter gekommen. Der Moran erhält ein höheres Gehalt als der Ministerpräsident. Das mag Ihnen einen Begriff davon geben, welche Einkünfte Moriarty bezieht, und in welchem Maßstab er seine Tätigkeit ausübt. Und dann noch etwas. Ich habe es mir kürzlich angelegen sein lassen, einigen von Moriartys Schecks nachzugehen – ganz gewöhnliche, harmlose Schecks, mit denen er seine Haushaltsrechnungen bezahlt. Nach denen zu schließen, die ich fand, unterhält er Konten bei nicht weniger als sechs verschiedenen Banken.
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