Er hat die andre Seite des Kopfes in die Hand gelegt.«
»Dann schieße ihn in die Schläfe; das ist die sicherste Stelle.«
Also um einen Mord handelte es sich! Der Kellner erschrak so, daß er sich für einige Augenblicke nicht zu bewegen vermochte. Und da stieg der Kerl wieder aufwärts und richtete den Lauf der Pistole, welche er in der Rechten hielt, in das Zimmer. Das gab dem Lauscher seine Beweglichkeit zurück. Er schrie laut auf, sprang zur Leiter, warf den Untenstehenden zur Seite und stieß sie um, so daß der Obenstehende, welcher soeben abdrückte, gerade beim Krachen des Schusses jäh zum Sturze kam. Der Kellner warf sich auf ihn, um ihn festzuhalten.
»Laß los, Hund, sonst erschieße ich dich!« knirschte der Mörder.
Der Schuß ging los, und der Deutsche fühlte einen stechenden Ruck im linken Arme. Er war getroffen worden und konnte den Menschen nicht mehr halten, welcher aufsprang und schnell in der Dunkelheit verschwand. Der andre war schon vorher davongerannt.
Die beiden Schüsse hatten die Bewohner des Hauses geweckt. Es begann in demselben lebendig zu werden. Zugleich wurde droben in dem erleuchteten Zimmer eines der Fenster geöffnet; der Doktor steckte den Kopf heraus und rief:
»Welcher Mordbube schießt denn da nach mir! Warum läßt man mich nicht ruhig lesen?«
Da erschrak der Kellner von neuem und antwortete:
»O jerum, jerum! Sind denn Sie's, Herr Doktor, welcher umgebracht hat werden sollen?«
»Wer ist denn da unten? Diese Stimme kommt mir bekannt vor.«
»Ick bin es, ick, Fritze Kiesewetter, Herr Doktor.«
»Fritze Kiesewetter? Mir ist ein Individuum dieses Namens noch nicht vorgekommen.«
»O doch! Heute, im Café de Paris haben Sie mir kennen jelernt. Sie wollten mir wegen die Sündflutsknochen engagieren.«
»Ah, der Kellner! Aber, Mensch, wie kommen Sie denn auf die Idee, nach mir zu schießen?«
»Als wie ick? Dat ist stark! Da hört nun oft und manchmal allens auf! Ick soll es jewesen sind, der jeschossen hat?«
»Wer denn? Oder sind Sie nicht allein?«
»Ick bin janz allein, nach Schiller die einzige fühlende Larve hier in dem Jarden.«
»Wohnen Sie denn hier im Hause?«
»Auch nicht.«
»Aber was wollen Sie da denn hier?«
»Ihnen retten. Und nun, da Sie mich dat Leben zu verdanken haben, halten Sie mir für den reinen Meuchelmord. Dat kränkt mir in die Seele!«
Er sollte nicht von dem Doktor allein, sondern auch von noch andern verkannt werden. Die Hausbewohner kamen mit Lichtern und Laternen, mit allen möglichen Waffen in den Händen heraus, um den Missethäter zu ergreifen. Da half kein Bitten und Reden; Fritze Kiesewetter wurde festgenommen und hineingeschafft, wobei es nicht ohne einige kräftige Stöße abging, deren Spuren er noch später fühlte. Man wollte nach Polizei senden, um ihn abholen zu lassen, doch bat er, ihn doch erst ruhig anzuhören. Der Doktor unterstützte diese Bitte durch die Erklärung:
»Der Mensch ist ein vorzugsweise denkendes
Geschöpf; lassen Sie uns also denken, da wir Menschen sind. Ich habe diesem jungen Manne kein Leid gethan, ihn vielmehr in meinen Dienst nehmen wollen. Ist das ein Grund, mich zu erschießen? Nein. Auch hat er kein Mörder-, sondern ein ehrliches Gesicht. Und selbst wenn er ein Meuchler wäre, so ist das noch kein Grund, ihm das Sprechen zu verbieten. Ich beantrage also, ihm die Erlaubnis zu erteilen, seine Verteidigung, lateinisch Defensio, vorzubringen.«
Der erzürnte Bankier war eigentlich dagegen, mußte aber seinem Gaste schon aus Höflichkeit zu Willen sein. Fritze erzählte den Hergang der Sache, konnte aber damit seine Unschuld nicht beweisen, denn es sprach ebensoviel für wie gegen ihn. Da verlangte er, daß man die Spuren untersuche. Man willfahrte ihm und kam da allerdings zu der Ueberzeugung, daß er nicht gelogen hatte. Man sah die Fußeindrücke nicht nur an der Stelle, wo die Mörder über den Zaun hereingestiegen waren, sondern es wurden auch die Stellen entdeckt, wo sie wieder hinausgesprungen waren. Schließlich fand man hinter dem Hause den Hut des einen, den er während des Sturzes oder beim Ringen mit Fritze verloren hatte. Dieser letztere blutete. Seine Wunde wurde untersucht; sie war nicht gefährlich; die Kugel hatte den Arm nur gestreift.
Man wußte jetzt, daß zwei Menschen eingestiegen waren, um den deutschen Doktor zu erschießen; nur durch das Eingreifen Fritzens hatte die Kugel eine andre Richtung erhalten. Wer aber waren die Mörder, und welchen Grund konnten sie haben, einen Menschen zu töten, der sich erst eine Woche lang im Lande befand und ganz gewiß niemand beleidigt hatte?
»Konnten Sie denn nicht wenigstens eins der Gesichter erkennen?« fragte der Bankier.
»Nicht vollständig,« antwortete Fritze; »aber als der eine auf der Leiter stand und die Pistole nach dem Zimmer richtete, befand sich sein Kopf im Lichte der Lampe; ich konnte sein Gesicht halb von der Seite sehen, und da kam es mir vor, als ob es Aehnlichkeit mit demjenigen des Espada Antonio Perillo habe.«
Das machte die Angelegenheit nur noch verwickelter.' Perillo war zwar ein Mann ziemlich zweideutigen Rufes, doch eines Mordes, selbst auch nur von der Fama, noch nicht geziehen worden. Und wollte man ihm ein solches Verbrechen zutrauen, was hätte er für einen Grund haben können, den Doktor mittels einer Kugel zu beseitigen? Er hatte im Café sogar freundlich mit ihm gesprochen.
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