Der Kellner hatte noch nicht Lust, schlafen zu gehen. Ihm lag das neue Engagement im Sinne, und die Freude, einen deutschen Herrn gefunden zu haben, ließ keine Müdigkeit in ihm aufkommen. Er beschloß, noch einen Spaziergang zu unternehmen, und lenkte seine Schritte ganz unwillkürlich in diejenige Richtung, von welcher er wußte, daß Dr. Morgenstern in derselben wohne. Er kannte die Quinta, ohne sich aber vorzunehmen, sie jetzt aufzusuchen. Jedoch das Handeln des Menschen wird oft durch innere Vorgänge bestimmt, über welche er sich nicht selbst klar wird, und so kam es, daß der Deutsche plötzlich vor der Quinta stand und selbst ganz überrascht darüber war.
Hier, fern vom Mittelpunkte des Verkehres, brannten keine Laternen mehr. Es war dunkel; nur die Sterne verbreiteten einen ungewissen Schimmer, bei welchem man einige Schritte weit zu sehen vermochte. Schon wollte er umkehren, als es ihm war, als ob er das Geräusch leise schleichender Schritte vernehme. Das kam ihm verdächtig vor. Warum so leise? Wer ein gutes Gewissen hat, kann fest auftreten. Er drückte sich eng an den Zaun und wartete.
Ein Mensch kam drüben mitten auf der Straße, ging vorüber und blieb dann stehen; ein zweiter folgte und hielt bei dem ersten an. Sie sprachen leise miteinander, näherten sich dann dem Zaune und stiegen mit großer Gewandtheit über denselben in den Garten.
»Also Diebe!« dachte der Deutsche. Aber was wollten sie stehlen? Nur Gartenfrüchte? Oder galt es gar vielleicht einen Einbruch bei dem reichen Bankier? Von Früchten konnte jetzt, im Frühjahre, keine Rede sein, das sagte er sich doch; also galt es einem wertvolleren Gegenstande. Er mußte folgen und schwang sich also auch so leise wie möglich über den Zaun. Jenseits desselben gab es Rasen, welcher die Schritte unhörbar machte. Er schlich zu der Villa hin und an der schmalen Seite derselben vorüber. Da sah er an der Ecke einen der Männer stehen und blieb halten, um ihn zu beobachten. Er sah, daß der Mensch nach einiger Zeit um die Ecke auf die hintere Seite des Hauses verschwand. Er bückte sich nieder und kroch auf den Händen und Füßen zu der Ecke hin. Da stand der Kerl und blickte nach zwei erleuchteten Fenstern des ersten Stockes empor. Und jetzt kam der zweite Gesell von der Seite herbeigeschlichen; er trug eine Leiter, welche so an die Mauer gelehnt wurde, daß ihr oberes Ende an den Stock des einen Fensters zu liegen kam.
Was beabsichtigten diese Menschen eigentlich? Man bricht doch nicht in eine erleuchtete Wohnung ein? Sollte vielleicht nur ein Scherz oder etwas Aehnliches beabsichtigt werden? Dann wäre es Thorheit gewesen, Lärm zu schlagen. Doch hielt der Deutsche die Augen scharf auf die beiden Männer gerichtet. Jetzt stieg der eine derselben empor, während der andre die Leiter hielt. Oben angekommen, sah er in das Zimmer, kam dann einige Sprossen herab und raunte dem Untenstehenden einige Worte zu. Es schien dem Kellner, als ob der Sprecher einen leise metallisch glänzenden Gegenstand in der Hand halte. Dann gab es ein zweimaliges Knacken, wie wenn die Hähne einer Doppelpistole aufgezogen werden. Nun wurde ihm himmelangst; er schlich schnell näher. Noch flüsterten die beiden miteinander. Sie konnten ihn nicht sehen, weil er sich tief an der Erde bewegte. Er hörte die Worte:
»Er sitzt und liest.«
»In welcher Lage?«
»Die linke Seite dem Fenster zugekehrt.«
»Ist sein Gesicht frei?«
»Ja.
1 comment