Vor sechs Monaten erst hatte ihn der Ehrgeiz wieder gepackt, als er Kumpel aus der Provence wiedergetroffen hatte, fidele Kerle, von denen er der älteste war, die er einst in der Kleinkinderbewahranstalt von Tantchen Giraud kennengelernt hatte und die jetzt wilde Umstürzler geworden waren; und dieser Ehrgeiz schlug ins Gigantische um beim Umgang mit den leidenschaftlichen Künstlern, die ihn mit ihren wilden Theorien schier um den Verstand brachten.
»Verflixt!« sagte Claude. »Das ist aber ein Brocken.«
Entzückt zog der Bildhauer an seiner Pfeife, blies eine Rauchwolke von sich.
»Ja, nicht wahr? – Ich werd ihnen schon Fleisch verpassen, und zwar richtiges Fleisch, nicht so was Schmalziges, wie sie selber machen!«
»Ist das eine Badende?« fragte Sandoz.
»Nein, ich werde ihr noch Weinreben geben … Eine Bacchantin, weißt du!«
Aber auf einmal brauste Claude heftig auf: »Eine Bacchantin! Machst du dich denn über uns lustig, gibt es denn so was, eine Bacchantin? – Eine Weinleserin, was? Und zwar eine Weinleserin von heute, Himmeldonnerwetter! Ich weiß, du wirst einwenden, sie ist doch nackt. Also eine Bäuerin, die sich ausgezogen hat. Das muß man spüren, das muß Leben haben!«
Verstört, zitternd hörte Mahoudeau zu. Er fürchtete Claude, beugte sich dessen Ideal von Kraft und Wahrheit. Und ihn noch überbietend, sagte er:
»Ja, ja, das wollte ich sagen … Eine Weinleserin. Du wirst sehen, wie das nach Weib stinkt!«
In diesem Augenblick stieß Sandoz, der um den ungeheuren Tonblock herumging, einen leisen Schrei aus:
»Ach, da ist ja dieser Duckmäuser Chaîne!« Tatsächlich saß Chaîne, ein dicker Bursche, hinter dem Haufen und malte schweigend den ausgegangenen und verrosteten Ofen auf eine kleine Leinwand. Ihm war der Bauer anzumerken an seinen langsamen Bewegungen, seinem sonnenverbrannten, lederharten Stiernacken. Allein die vor Dickköpfigkeit vorgewölbte Stirn war zu sehen, denn seine Nase war so kurz, daß sie zwischen den roten Wangen verschwand, und ein harter Bart verbarg seine kräftigen Kinnladen. Er stammte aus SaintFirmin, einem Dorf zwei Meilen von Plassans, wo er die Herden gehütet hatte, bis das Los auf ihn fiel36; und sein Unglück war gewesen, daß sich ein Spießbürger aus der Nachbarschaft für die Spazierstockknäufe begeistert hatte, die er mit dem Messer aus Wurzeln schnitzte. Von da an war er für den kunstliebenden Spießbürger, der Mitglied des Museumsausschusses war, der geniale Hirte, der künftige große Mann; er wurde von ihm gedrängt, umschmeichelt, die Erwartungen, die man in ihn setzte, brachten ihn außer Rand und Band, und er hatte sich nach und nach alles verscherzt: die Studien, die Wettbewerbe, das Jahresgeld der Stadt. Er war trotzdem nach Paris gezogen, nachdem er von seinem Vater, einem elenden Bauern, im voraus sein Erbteil gefordert hatte, tausend Francs, mit denen er ein Jahr auszukommen gedachte, bis sich der verheißene Triumph einstellen würde. Die tausend Francs hatten achtzehn Monate gereicht. Dann hatte er sich, als ihm nur noch zwanzig Francs geblieben waren, mit seinem Freunde Mahoudeau zusammengetan; sie schliefen beide im selben Bett hinten in der düsteren Ladenstube, aßen vom selben Brot, das sie für vierzehn Tage im voraus kauften, damit es sehr hart war und man nicht viel davon essen konnte.
»Hören Sie mal, Chaîne«, fuhr Sandoz fort. »Hübsch genau ist Ihr Ofen gemalt.«
Ohne ein Wort lächelte Chaîne still und selbstzufrieden in sich hinein, wodurch sein Gesicht wie von einem Sonnenstrahl erhellt wurde. In seiner unübertrefflichen Einfalt hatte er sich, damit das Abenteuer vollständig wurde, durch die Ratschläge seines Gönners auf die Malerei abdrängen lassen, trotz seiner echten Neigung zur Holzschnitzerei. Und er malte wie ein Anstreicher, verdarb die Farben, schaffte es, die hellsten und wärmsten schmutzig zu machen. Aber Glanzleistungen vollbrachte er bei aller Ungeschicklichkeit in der Genauigkeit, ihm war die naive Gründlichkeit eines Primitiven, die Sorgfalt hinsichtlich der kleinen Einzelheit eigen, darin sich sein kindliches Wesen gefiel, das sich kaum von der Erde gelöst hatte. Der in schiefer Perspektive gezeichnete Ofen war trocken und genau in einem unheimlichen schlammigen Farbton gemalt.
Claude trat näher und wurde von Mitleid erfaßt angesichts dieser Malerei; und er, der so hart mit den schlechten Malern ins Gericht ging, fand ein Wort des Lobes:
»Ja, man muß schon sagen, daß Sie ein sehr sorgfältiger Arbeiter sind! Sie machen es zumindest so, wie Sie’s empfinden. Das da ist sehr gut!«
Aber die Ladentür war wieder aufgegangen, und ein hübscher blonder Bursche mit großer roter Nase und runden blauen, kurzsichtigen Augen kam herein und rief:
»Damit ihr’s wißt, die Kräuterkrämerin von nebenan steht draußen und will jemanden aufgabeln … das Dreckstück!«
Alle lachten, nur Mahoudeau nicht, der sehr verlegen schien.
»Jory, der Obertolpatsch«, erklärte Sandoz und drückte dem Neuankömmling die Hand.
»Na, was denn? Mahoudeau schläft mit ihr«, fuhr Jory fort, als er endlich begriffen hatte. »Na schön, was ist denn schon dabei? Eine Frau, die macht immer mit.«
»Du«, begnügte sich der Bildhauer zu sagen, »du bist wohl deiner wieder unter die Fingernägel gekommen, sie hat dir ein Stück Backe zerkratzt.«
Wiederum platzten alle los, und nun war es an Jory, rot zu werden. Er hatte tatsächlich ein zerkratztes Gesicht, zwei tiefe Schmarren. Er war der Sohn eines Justizbeamten in Plassans; nachdem er seinen Vater mit seinen Abenteuern, wie sie ein schönes Mannsbild nun mal erlebt, zur Verzweiflung gebracht hatte, setzte er allem dadurch die Krone auf, daß er unter dem Vorwand, sich mit Literatur zu befassen, mit einer Tingeltangelsängerin nach Paris ausrückte; und seit sechs Monaten, die sie zusammen in einem anrüchigen Hotel im Quartier Latin37 hausten, kratzte ihn die Kleine jedesmal bis aufs Blut, wenn er sie mit dem ersten besten dreckbespritzten Unterrock betrog, dem er auf einem Trottoir nachstieg.
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