Aber bei dem Anblick, der sich ihm bot, verharrte er reglos, ernst, verzückt, und er murmelte:

»Donnerwetter! – Donnerwetter!«

Das junge Mädchen hatte in der Treibhauswärme, die vom Oberlicht herabsank, das Bettuch zurückgeworfen; und völlig entkräftet von der übermäßigen Anstrengung der schlaflosen Nächte, schlief sie, in Licht gebadet, so arglos, daß kein Schauer über ihre reine Nacktheit lief. Da sie so lange nicht einschlafen konnte und sich in fiebriger Unruhe hin und her warf, waren wohl die Schulterknöpfe ihres Hemdes aufgegangen, so daß der linke Träger herabgeglitten war und den Busen entblößte. Es war goldenes Fleisch von seidiger Feinheit, der Lenz des Fleisches, zwei kleine, straffe, saftgeschwellte Brüste, auf denen zwei blasse Rosen knospeten. Sie hatte den rechten Arm unter den Nacken geschoben, ihr schlaf schwerer Kopf war hintübergesunken, vertrauensvoll bot sich ihre Brust in einer wunderbaren Linie des Hingegebenseins dar, während ihre aufgelösten schwarzen Haare sie noch in einen dunklen Mantel kleideten.

»Donnerwetter! Sie sieht verflixt gut aus!« Das war’s, genau das war’s, die Gestalt, die er vergeblich für sein Gemälde gesucht hatte, und fast in der richtigen Haltung. Ein wenig mager, ein wenig zerbrechlich in ihrer Kindlichkeit, aber so schmiegsam, so jugendfrisch! Und dabei schon reife Brüste. Wo zum Teufel hatte sie gestern abend diesen Busen versteckt, daß er ihn nicht geahnt hatte? Ein wahrer Fund!

Flink holte Claude seinen Kasten mit den Pastellstiften und ein großes Blatt Papier. Dann hockte er sich auf die Kante eines niedrigen Stuhls, legte einen Karton auf seine Knie und fing mit tief beglückter Miene an zu zeichnen. Seine ganze Verwirrung, seine fleischliche Neugier, sein niedergekämpftes Verlangen mündeten ein in diese Bewunderung des Künstlers, in diese Begeisterung für die schönen Farbtöne und die gut aneinandergefügten Muskeln. Schon hatte er das junge Mädchen vergessen, er war hingerissen vom Schnee der Brüste, der den zarten Bernstein der Schultern aufhellte. Eine unruhige Bescheidenheit machte ihn kleiner angesichts der Natur, er zog die Ellbogen an, er wurde wieder ein kleiner Junge, ganz artig, aufmerksam und ehrerbietig. Das dauerte ungefähr eine Viertelstunde. Mitunter hielt er inne, blinzelte mit den Augen. Aber er hatte Angst, sie könnte sich bewegen, und schnell machte er sich wieder an die Arbeit, wagte aus Furcht, sie aufzuwecken, kaum zu atmen.

Indessen begannen bei all seinem Arbeitseifer unbestimmte Erwägungen in ihm zu summen. Wer mochte sie sein? Todsicher keine Nutte, wie er gedacht hatte, denn sie war zu frisch. Aber warum hatte sie ihm eine so wenig glaubhafte Geschichte erzählt? Und er dachte sich andere Geschichten aus: eine Anfängerin, die unverhofft nach Paris gekommen war mit ihrem Geliebten, der sie dann sitzengelassen hatte; oder eine kleine Bürgerstochter, die von einer Freundin verführt worden war und sich nun nicht zu ihren Eltern nach Hause wagte; oder ein noch verworreneres Drama, ausgefallene und seltsame Perversionen, entsetzliche Dinge, die er nie erfahren würde. Diese Hypothesen steigerten seine Ungewißheit noch; er ging dazu über, eine Skizze von dem Gesicht anzufertigen und es dabei eingehend zu mustern. Der obere Teil mit der hellen Stirn, die ebenmäßig war wie ein klarer Spiegel, und der kleinen Nase mit den nervösen Nüstern sprach von großer Güte, großer Sanftmut; und man spürte das Lächeln der Augen unter den Lidern, ein Lächeln, das das ganze Gesicht erleuchten mußte. Allein der untere Teil verdarb dieses Strahlen der Zärtlichkeit, die Kinnlade schob sich vor, die zu starken Lippen waren blutrot und ließen kräftige weiße Zähne sehen. Das war gleichsam ein jäher Anfall von Leidenschaft, das grollende Reifen des Geschlechts, das von sich selbst nichts wußte, in diesen in kindlicher Zartheit ertrunkenen Zügen.

Jäh lief ein Schauer gleich einem Schillern über den Atlas ihrer Haut Vielleicht hatte sie schließlich diesen Mannesblick gespürt, der sie durchwühlte. Sie öffnete die Augen ganz weit und schrie auf. »O mein Gott!«

Und starr vor Bestürzung, vermochte sie sich nicht zu rühren; dieser unbekannte Ort, dieser Bursche in Hemdsärmeln, der vor ihr hockte und sie mit den Augen fraß! Dann zog sie entgeistert jäh die Decke wieder hoch, sie zermalmte sie schier mit ihren beiden Armen auf ihrem Busen, denn ihr Blut war aufgepeitscht von einer solchen keuschen Angst, daß die glühende Röte ihrer Wangen in einer rosigen Woge bis zu ihren Brustwarzen floß.

»Na und! Was denn?« schrie Claude ungehalten, den Bleistift hocherhoben. »Was haben Sie denn?«

Sie sprach nicht mehr, sie rührte sich nicht mehr, hatte das Bettuch an den Hals gepreßt, lag zusammengekauert, zusammengekrümmt da und bauschte kaum die Bettdecke auf.

»Ich werde Sie bestimmt nicht fressen … Los, seien Sie nett, legen Sie sich wieder so hin wie vorhin.«

Eine neue Woge Blut ließ ihre Ohren rot anlaufen. Sie stammelte schließlich:

»O nein, o nein, mein Herr.«

Aber er wurde allmählich böse, bekam einen jener jähen Wutanfälle, die bei ihm üblich waren. Diese Aufsässigkeit kam ihm blöd vor.

»Hören Sie mal, was kann Ihnen das denn schon ausmachen? Das ist aber ein großes Unglück, wenn ich erfahre, wie Sie gebaut sind! – Ich habe schon ganz andere gesehen.«

Da schluchzte sie, und er brauste gänzlich auf, weil er verzweifelt war wegen seiner Zeichnung und außer sich geriet bei dem Gedanken, daß er sie nicht vollenden würde, daß die Schamhaftigkeit dieses Mädchens ihn hindern würde, eine gute Studie für sein Gemälde zu bekommen.