Dieses Mädchen beschäftigte ihn, ein dumpfer Widerstreit summte in ihm, die Verachtung, die er gern zur Schau trug, die Furcht, sich etwas Lästiges einzubrocken, falls er nachgäbe, die Angst, lächerlich zu wirken, wenn er die Gelegenheit nicht ausnützte; aber die Verachtung überwog schließlich, er hielt sich für sehr stark, er malte sich einen ganzen Roman aus, in dem man es auf seine Seelenruhe abgesehen hatte, und er grinste, weil er der Versuchung widerstanden. Er bekam kaum noch Luft, und er streckte seine Beine unter der Decke hervor, während er mit schwerem Kopf in der Wahnvorstellung des Halbschlafes auf dem Grunde des Sternenglühens liebeatmende nackte Frauen schaute, den ganzen lebenerfüllten Schoß des Weibes, den er anbetete.
Dann verwirrten sich seine Vorstellungen noch mehr. Was machte sie bloß? Lange hatte er geglaubt, sie sei eingeschlafen, denn sie atmete nicht einmal; und nun hörte er, wie sie sich ebenso wie er mit unendlicher Vorsicht, die ihr den Atem benahm, umdrehte. Er hatte wenig Umgang mit Frauen und trachtete nun, Schlüsse zu ziehen aus der Geschichte, die sie ihm erzählt hatte; er war jetzt verblüfft über kleine Einzelheiten, war ratlos geworden; aber seine ganze Logik versagte, wozu sich unnütz den Kopf zerbrechen? Ob sie nun die Wahrheit gesagt oder ob sie gelogen hatte, das war ihm bei dem, was er mit ihr machen wollte, schnurzegal! Am nächsten Morgen würde sie wieder auf und davon gehen: guten Tag, guten Abend, und aus wär’s, man würde sich nie wiedersehen. Erst als es schon hell wurde, als die Sterne verblichen, gelang es ihm einzuschlafen. Obwohl sie von der Reise todmüde war, bewegte sie sich hinter dem Wandschirm ununterbrochen, weil die Schwüle der Luft unter dem heiß gewordenen Zink des Daches sie quälte; und sie tat sich nicht mehr soviel Zwang an, vor nervöser Ungeduld zuckte sie jäh zusammen, seufzte in ihrer Unberührtheit voller Unbehagen über diesen Mann, der dort in ihrer Nähe schlief.
Als Claude am Morgen die Augen öffnete, zwinkerte er mit den Lidern. Es war sehr spät, eine breite Sonnenbahn fiel durch das Oberlicht. Das war eine seiner Theorien, daß die jungen Freilichtmaler die Ateliers mieten sollten, die die akademischen Maler nicht wollten, die Ateliers, die die Sonne mit der lebendigen Flamme ihrer Strahlen besuchte. Aber er stutzte, und er setzte sich mit nackten Beinen auf. Warum zum Teufel lag er denn auf dem Diwan? Und er ließ seine vom Schlaf noch trüben Blicke umherschweifen, da gewahrte er ein vom Wandschirm halb verborgenes Bündel Röcke. Ach ja, dieses Mädchen, er entsann sich! Er lauschte, er hörte lange, regelmäßige Atemzüge, wie von einem Kind, das sich wohl fühlt. Gut! Sie schlief also immer noch, und zwar so ruhig, daß es schade gewesen wäre, sie zu wecken. Er war ganz benommen, er kratzte sich die Beine, verdrossen über dieses Abenteuer, in das er hineingeraten war und das ihn um seinen Arbeitsvormittag zu bringen drohte. Er war ungehalten über sein zartes Gemüt; das beste war, sie wachzurütteln, damit sie sofort abhaute. Indessen streifte er leise eine Hose und Pantoffeln über und ging auf Zehenspitzen.
Die Kuckucksuhr schlug neun, und Claude machte eine besorgte Handbewegung. Nichts hatte sich mehr gerührt, das leise Atmen war weiter zu vernehmen. Da dachte er, das beste sei, sich wieder mit seinem großen Gemälde zu befassen: er würde später frühstücken, wenn er sich rühren konnte. Aber er konnte sich nicht dazu entschließen. Er, der ständig in einer gräßlichen Unordnung lebte, fühlte sich belästigt durch diese auf den Fußboden gerutschten Röcke. Wasser war herausgelaufen, die Kleidungsstücke waren noch pitschnaß. Er unterdrückte sein Schimpfen und hob sie schließlich eines nach dem anderen auf und breitete sie auf den Stühlen im prallen Sonnenschein aus. War denn das die Möglichkeit, alles so in heillosem Durcheinander hinzuwerfen!
Niemals würde das trocken werden, niemals würde sie wegkommen! Ungeschickt drehte er diesen Plunder hin und her, verhedderte sich im schwarzwollenen Mieder, suchte, auf allen vieren herumkriechend, die Strümpfe, die hinter ein altes Gemälde gefallen waren. Es waren aschgraue lange und feine Strümpfe aus Schottengarn, die er eingehend musterte, bevor er sie aufhängte. Der Kleidersaum hatte auch sie naß gemacht; und er dehnte sie, er zog sie zwischen seinen heißen Händen durch, um sie dann schleunigst wieder hinzuwerfen.
Seit Claude auf war, gelüstete es ihn, den Wandschirm auseinanderzuschieben und dahinter zu sehen. Diese Neugier, die er dumm fand, machte seine Laune noch schlechter. Schließlich ergriff er mit seinem üblichen Schulterzucken seine Pinsel, da wurden inmitten eines lauten Wäscheraschelns Worte gestammelt; und das sanfte Atmen setzte wieder ein, und diesmal gab er seinem Verlangen nach, er ließ den Pinsel los und steckte den Kopf durch den Wandschirm.
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