Und heute hab ich auch für Kurt sein Quantum aufzukommen – was meinst du denn, Martha?

Frau Boll: Ja, wir müssen doch auf ihn warten, denn wenn er auch sagen läßt, daß wir nicht warten 74 sollen, so ist das doch bloß ein Anerbieten, nicht?

Otto: Totsicher, ganz deiner Meinung, Martha. (Schlägt auf den Tisch.) Soll er nur denken, ich verkriech mich vor ihm ins Bett, als ob ich seine Erlaubnis brauchte zu kneifen. Hier sitz ich und hier sauf ich so lange, bis die Sache spruchreif ist und spruchreif ist sie spätestens bald! Und dann hab ich die Eigenheit, je mehr ich trinke, desto eher werde ich mit den Flaschen fertig und immer flotter geht die Karriere meiner Gedanken.

Frau Boll: Otto, hör mal zu. Glaubst du, daß Menschen sich ändern können, nämlich so, daß sie förmlich andere werden? Ich hab mehr als ich sagen mag Furcht für Kurt, mußt du wissen.

Otto (lacht): Wenn Kurt Lust zu so was hat, so muß er das auf eigene Rechnung treiben. Wenn ers aber nicht lassen kann und uns damit behelligt, dann, so will ich ihm schon was beweisen. Wir können ihn nicht anders brauchen, als er ist – Veränderung überhaupt!

Frau Boll: Ja, aber . . .

Otto (schlägt auf den Tisch): Ich bin gegen jede Änderung. Es kann nicht besser werden und darum bleibt das Werden besser nach – basta, nichts da! Sei ganz ruhig, Martha, ich will es ihm schon arg genug auslegen. – Bertha ist auch gegen jede Veränderung und darum ist sie zu ihrer beständigen Stunde zu Bett gegangen, das ist ein großartiger Zug von Bertha, Martha, sieh das ein. – – Pipelow! (Kellner kommt, Otto zeigt auf die leere Flasche, Pipelow holt eine andere.)

75 Frau Boll: Weißt du, Otto, Kurt läßt sich ja oft unversehens einschüchtern – ja, sagt er dann, es soll so sein, daß es nicht sein soll, oder ähnlich, darum . . .

Otto: Ganz richtig, Martha, darum kann er sich gern mal was gönnen. Ich weiß aber nicht, warum er sich meine Anwesenheit aussucht, um mit seiner Abwesenheit zu glänzen.

Frau Boll (leise): Ich glaube, er ist jemand, wir wissen nur nicht, was für einer. Darum kann er vielleicht nicht dafür, daß wir uns über ihn wundern. Am Ende darf er sich mehr über uns wundern als wir uns über ihn.

Boll, Herr und Holtfreter kommen.

Boll: Wie das gehen kann, wer hätte daran gedacht – so spät! Na, hoffentlich habt ihr euch nichts abgehen lassen. Gut bei Wege, Otto? 'n Abend Martha.

Otto: Wie's geht? Na, weißt du, zu was, denk ich, verabreden wir uns, wenn du erstens nicht kommst und zweitens meine Frau – meinst du, daß Bertha zweitens warten mag?

Boll: Habe ich nicht mehrere Male telefoniert, haben sie euch denn nichts ausgerichtet davon, daß ich immer abgehalten wurde?

Otto: Ja, richtig, und so weiter alles. Bloß telefoniert und nichts sonst?

Frau Boll: Hättest du mich nicht vielleicht rufen lassen können, Kurt?

Boll: Warum? Aus lauter Rücksicht, Martha, zu was dich beim Essen stören! Iß, dachte ich, laß sie ruhig essen, 76 wer da ißt, der hat den Mund voll und kaut ins Telefon – nein, dachte ich, laß sie in Frieden – übrigens, Otto, hab acht, Martha, was wirst du nun erst sagen, ich muß euch bekannt machen. Dieser Herr ist mein Gast, sein Name bleibt im Verborgenen und geheim, aber erschreckt nicht, Kinder: es ist unser Herrgott selbst, natürlich streng inkognito, gewissermaßen unter der Hand – und hier als Bürge und Bestätiger meiner Worte, auch ohne Namen bis jetzt . . .

Holtfreter: Holtfreter heiß ich, Schuhmachermeister. (Devot zum Herrn): Wenn Er erlaubt.

Herr (zu Boll): Wenn Ihnen das so beliebt, Herr Boll, so will ich den Mantel der Namenlosigkeit nicht lüften, den Sie mir umlegen – nur ganz wenig und beiläufig, im Vertrauen unter uns Beiden: ja, Herr Boll – Herrgott sagen Sie so – also unter uns: es ist was daran, nur etwa als sachte und demütige Spiegelung aus der Unendlichkeit nehme ich den Namen des Herrn hin, eine schwache, kaum wahrnehmbare Abschattung Gottes, nicht wahr, so ists gemeint?

Boll: Keine unnötige Bescheidenheit, Herr, ich weiß meine Gäste zu ehren – also, Otto, behalt Platz im Fond und der Herrgott setzt sich beian, es ergibt eine majestätische Symmetrie mit euch beiden. Komm, Martha, bleib im Sessel, habt ihr alle noblen Nummern durchs probiert? (Sie gruppieren sich wie angegeben.)

Otto: Den Herrgott hab ich mir immer anders gedacht – ich für mein Teil hab ihn ja auch gar nicht nach 77 seiner Hantierung gefragt, aber das kannst du dir ja selbst denken, was ich mir denke. Ich bin Gutsbesitzer, du bist Gutsbesitzer, das genügt für heute und für länger, was brauchen wir den Herrgott zur Gesellschaft! Ja, weißt du, Kurt, jeder ist sich selbst der Nächste, meine Frau hat sich nämlich zu Bett gelegt.

Boll: Was für schöne, blanke Zähne Bertha immer noch hat, Otto, aber die sind nun bei ihr im Bett. Gott erhalte ihr Gebiß noch lange Jahre, ich hätte es unserm lieben Herrgott heute herzlich gegönnt, sie damit zu bewundern, aber wie du ganz richtig sagst: jeder ist sich selbst der Nächste – sie ist müde geworden und – – – ja, sag mal, aber damit will ich dich und sie heute nicht mehr behelligen.

Otto: Wenn du das wirklich so gern meinst, dann könnte ich sie ja mal einen Augenblick fragen, Kurt. Natürlich, ihre Zähne, gegen ihre Zähne, da kannst du ganz richtig nichts gegen sagen.

Boll: Schenk ein, Otto. (Otto schenkt ein.) Weißt du – aber nimm mirs nicht übel – wenn ich dich so hantieren seh, Otto – eine scheußliche Familienähnlichkeit! Ich fürchte, wir sehen uns bitterlich ähnlich – mir ist schon oft eingefallen, daß dieses Auftauchen der Familienähnlichkeit einen förmlich schlägt – niederschlägt, weißt du – aber nimm mirs nicht übel, hör mal zu! Also die Zähne deiner Frau, wie lange, denkst du, wird sie die haben – und überhaupt, will sie ewig Bertha Prunkhorst bleiben – lohnt sich das?

78 Holtfreter (steht auf, devot zum Herrn): Wenn Er erlaubt! (Zu Boll): So ist es, Herr Boll, genau so! Es lohnt sich nicht, aber weiter, es lohnt sich dagegen, dahin zu kommen, daß man sich schämt, einmal solch eine Dame gewesen zu sein. So recht haben Sie, Herr Boll. (Setzt sich.)

Boll: Ich hatte mich nicht direkt an Sie gewandt, Herr Holtfreter, nicht wahr, so heißen Sie und sind offenbar Schuster – gut. Streng genommen kennen Sie die Dame gar nicht, von der die Rede ist.

Holtfreter (steht auf, devot zum Herrn): Wenn Er erlaubt! – Wir Alle, die wir da beisammen sitzen, werden uns mal schämen, und die Dame Gott sei dank auch! (Setzt sich, leiser): Denn es kommt ja nicht darauf an, ob ich die Dame kenne, wenn ich nur weiß, in was für einer Hinsicht sie im Falle ist, sich schämen zu dürfen, nämlich im Falle der werdenden Herrlichkeit. Alle Damen sind im gleichen Falle.

Otto: Einerlei, Kurt, wenn das so weiter gehen soll, oder was denkst du dir, Kurt? (Zu Holtfreter): Sie stoßen noch an die Flaschen, wenn Sie so auf- und abspringen. Kurt, wenn du mal nach Goldensee kommst, muß du dir ganz gewiß die Antonie ansehen – tondernsche Rasse, weißt du – fabelhaftes Milchgeschirr – und – ja, was wollte ich doch sonst noch sagen!

Herr (nimmt sein Glas): Sie haben eine besonders sichere Hand, mein Herr, das habe ich gleich gemerkt. Wenn Sie es denn erlauben: Ihr Wohl und natürlich vor allem 79 das der anwesenden und abwesenden Dame. (Stoßen an.)

Otto: Sicher, sicher, o, eine ganz sichere Hand und überhaupt, sonst noch – wissen Sie nicht, was ich sonst noch gleich sagen wollte? (Zu Frau Boll): Gott, Martha, wir haben doch den ganzen Abend davon geredet, was war es doch noch?

Frau Boll: Auf keinen Fall, Otto, tu mir nur jetzt den einzigen Gefallen und laß das heute Abend gut sein.

Otto: Ja so, das ist es ja: Gefallen oder so was – nein, nicht Gefallen, aber es war doch was mit einem Fall und der Fall war der Fall mit einer Frau. (Zu Boll): Kurt, was das für eine Frau, weißt du, Kurt, das war, glaub ich, eine Frau und du hast eine Verantwortung für eine Frau, möglicherweise dieselbe Frau, Kurt, was – richtig übernommen? (Triumphierend zu Frau Boll): Siehst du, Martha, denkst du, ich vergesse solche spruchreifen Sachen?

Frau Boll (bedeckt ihre Augen).

Holtfreter (steht auf, devot zum Herrn): Wenn Er erlaubt! Diese Frau, dieselbe Frau, ist Grete, zu der ich Onkel bin. (Zu Boll): Die Verantwortung des Herrn Boll ist eine solche, daß sie so gut ist wie eine städtische Anstalt. So gut wie Herr Boll gut ist. Sie nennen meine Grete die Hexe von Parum, aber das hat nichts mit der Verantwortung zu tun. Die hat Herr Boll zwischen die Zähne gesteckt gekriegt und mein Schwager Grüntal, der Mann zu dieser selben Frau, ist getrost nach Parum gereist zu seinen drei Kindern, dieselben, die auch Grete ihre drei Kinder sind. (Setzt sich.)

80 Otto: Das sind mir viel zu wenig Kinder, als daß Sie mir da was von erzählen brauchten. Aber Kurt, sag mal Kurt, was das für eine Frau und dieser Onkel Schuster – was, eine Hexe, eine richtige Hexe? (Steht auf.)

Boll: Ja, ja, was denn weiter, ist das nicht genug? Ich sollte denken, das wäre mehr als genug – setz dich doch, Otto!

Otto: Eine richtige Hexe, Kurt?

Boll: Und obendrein habe ich sie bei einem richtigen Teufel untergebracht. (Zum Herrn): Der Herr muß trachten, keine Absicht darin zu sehen, daß er von solcher Sippe unterhalten wird.