begebe ich mich schon um sechs Uhr auf Deck und betrachte das Fahrzeug. An Bord ist scheinbar nichts geändert. Wir segeln unter Backbordhalsen mit den unteren Mars- und Focksegeln. Der Chancellor hält sich prächtig auf dem von der frischen Brise etwas bewegten Meere. Seine Schnelligkeit ist beträchtlich und kann jetzt nicht unter elf Meilen (Seemeilen, 4 = 1 geographische Meile) betragen.

Bald erscheinen auch die beiden Herren Letourneur auf dem Verdeck, ich helfe dem jungen Manne heraufsteigen. Mit großem Wohlbehagen schlürft André die belebende Morgenluft.

Ich frage die Herren, ob sie diese Nacht nicht durch ein Geräusch erweckt worden seien, das eine gewisse Bewegung an Bord verrathen habe.

»Ich für meinen Theil nicht, antwortet André Letourneur, ich habe in einem fort geschlafen.«

– Du schliefst ganz ruhig, liebes Kind, sagte Herr Letourneur, ich bin jedoch auch durch das Geräusch, von dem Mr. Kazallon spricht, munter gemacht worden. Ich glaubte die Worte zu vernehmen: »Schnell! Schnell! Nach den Luken! Nach den Luken!«

– Um wieviel Uhr war das wohl? fragte ich.

– Etwa um drei Uhr Morgens.

– Und die Ursache dieses Geräusches ist Ihnen unbekannt geblieben?

– Vollkommen, Mr. Kazallon, sie kann aber nur unbedeutend gewesen sein, da Niemand von uns nach dem Verdeck gerufen worden ist.«

Ich fasse die Luken, welche vor und hinter dem großen Mäste angebracht sind und nach dem Kielraume hinabführen, in's Auge, Wie gewöhnlich sind sie geschlossen, doch fällt es mir auf, daß sie sorgsam mit Pfortsegeln überdeckt erscheinen, als habe man sie möglichst hermetisch verschließen wollen. Warum ist das geschehen? Hier liegt Etwas zu Grunde, das ich mir nicht zu erklären vermag. Robert Kurtis wird mir ohne Zweifel darüber Aufschluß geben. Ich warte also, bis der zweite Officier an die Wache kommt und halte meine eigenen Gedanken zunächst zurück, da es mir besser scheint, sie den Herren Letourneur jetzt nicht mitzutheilen.

Der Tag verspricht schön zu werden, die Sonne ist prächtig und fast ganz dunstfrei aufgegangen. Ein gutes Vorzeichen. Noch sieht man über dem westlichen Horizonte die Sichel des Mondes, der vor zehn Uhr siebenundfünfzig Minuten nicht untergehen wird. In drei Tagen werden wir letztes Viertel und am 24. Neumond haben. Ich schlage in meinem Kalender nach und sehe, daß an demselben Tage eine starke Springfluth sein muß. Bei unserer Fahrt auf dem offenen Meere können wir freilich nichts davon wahrnehmen, an den Küsten aller Continente und Inseln aber wird das Phänomen merkwürdig zu beobachten sein, denn der Neumond muß die Wassermassen zu außergewöhnlicher Höhe emporheben.

Ich bin jetzt auf dem Oberdeck allein. Die Herren Letourneur sind zum Thee wieder hinab gegangen, und ich erwarte den zweiten Officier.

Um acht Uhr beginnt die Wache Robert Kurtis', der den Lieutenant Walter ablöst, und ich gehe diesem mit einem Händedrucke entgegen.

Noch ehe er mir guten Tag sagt, läßt Robert Kurtis seinen Blick über das Verdeck schweifen, und seine Augenbrauen ziehen sich leicht zusammen. Dann beobachtet er den Zustand des Himmels und die Takelage, um sich hierauf dem Lieutenant Walter zu nähern.

»Der Kapitän? fragte er.

– Ich sah ihn heute noch nicht.

– Nichts Neues?

– Nichts.«

Dann unterhalten sich Robert Kurtis und Lieutenant Walter einige Augenblicke mit leiser Stimme. Auf eine an ihn gerichtete Frage antwortet Walter mit einem verneinenden Zeichen.

»Schicken Sie mir den Hochbootsmann herauf. Walter«, ruft der zweite Officier dem abgelösten Lieutenant nach.

Bald erscheint der Gerufene und Robert Kurtis stellt einige Fragen an ihn, auf welche dieser mit leiser Stimme, aber mit Achselzucken antwortet. Auf den Wink des zweiten Officiers läßt der Hochbootsmann durch die Deckwache die Pfortsegel über der großen Luke neu begießen.

Einige Augenblicke später nähere ich mich Robert Kurtis, und unser Gespräch dreht sich zunächst um unwichtige Dinge. Da es mir scheint, als wolle der zweite Officier nicht selbst auf den Gegenstand meines lebhaften Interesses eingehen, sage ich zu ihm:

»Ich bitte, Mr. Kurtis, was ist denn diese Nacht an Bord vorgekommen?«

Robert Kurtis betrachtet mich aufmerksam, giebt aber keine Antwort.

»Ja, fahre ich fort, ich wurde durch in ungewöhnliches Geräusch erweckt, ebenso Mr. Letourneur; was ist geschehen?

– Nichts Besonderes, Mr. Kazallon, erwidert Robert Kurtis, eine falsche Steuerbewegung des Untersteuermannes machte es plötzlich nöthig, zu brassen, was eine gewisse Bewegung auf dem Verdeck veranlaßt haben mag. Bald war der Fehler wieder gut gemacht und der Chancellor lief in seinem gewohnten Course weiter.«

Mir scheint, daß der sonst so offene Robert Kurtis diesmal nicht die Wahrheit gesagt hat.

VIII.

Vom 15.