Der eiserne Gustav

Hans Fallada

Der eiserne Gustav

 

Roman

 

 

Aufbau-Verlag

Impressum

Textgrundlage dieser Ausgabe:
Hans Fallada. Ausgewählte Werke in Einzelausgaben.
Herausgegeben von Günter Caspar.
Band VI. Aufbau-Verlag Berlin und Weimar,
8. Auflage 1984

 

 

 

ISBN E-Pub 978-3-8412-0081-5

ISBN PDF 978-3-8412-2081-3

ISBN Printausgabe 978-3-7466-5333-4

 

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, 2010

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin Bei Aufbau erstmals 1962 erschienen Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

 

Umschlaggestaltung Mediabureau Di Stefano, Berlin unter Verwendung des Gemäldes »Passanten und Reichswehr« (Ausschnitt) von Rudolf Schlichter, akg images/© Viola Roehr v. Alvensleben, München Konvertierung Zentrale Medien, Bochum www.aufbau-verlag.de

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Impressum

Inhaltsübersicht

Erstes Kapitel: Die gute schöne Friedenszeit

1 Hackendahl erwacht

2 Gespräch zwischen Eheleuten

3 Im Schlafzimmer der Töchter

4 Im Schlafzimmer der Söhne

5 Der Schlüssel

6 Der Streit mit Erich

7 Zank der Schwestern

8 Otto und Rabause auf der Futterkiste

9 Strafgericht über Erich

10 Morgen auf dem Droschkenhof

11 Hackendahl und sein Kassenbuch

12 Wer soll Erich befreien

13 Wettrennen zwischen Pferd und Auto

14 Erich wird wieder frei

15 Der Juwelendiebstahl

16 Zwei Hackendahls im Gymnasium

17 Die heimliche Ehe

18 Krach im Stall

19 Vater sagt Bubi gute Nacht

Zweites Kapitel: Ein Krieg bricht aus

1 Der Schutzmann vor dem Schloß

2 Hackendahls Unter den Linden

3 Eva trifft einen Bekannten

4 Der Abgeordnete und Erich

5 Abendessen bei Hackendahls

6 Wenn ich wiederkomme …!

7 Pferdemusterung

8 Spionenfang

9 Otto fährt ab

10 Schwester Sophie will auch fort

11 Eva lernt ihre Schwägerin kennen

12 Hackendahl langweilt sich

13 Gespräch im Dunkeln zu zweien

14 Ein Zweifler und ein Gläubiger

15 In der Klasse – Rebellion und Abbitte

16 Vor dem Goldverkauf

17 Mutter und Tochter

18 Hackendahl freut sich

Drittes Kapitel: Die lange schwere Zeit

1 Nacht einer Kriegerfrau

2 Vor einem Fleischerladen

3 Hackendahl wird wieder klein

4 Vater und Tochter

5 Eva ist willens

6 Im Granattrichter

7 Etappe

8 Es wäre schön

9 In der Munitionsfabrik

10 Dreck zum Dreck

11 Otto kehrt heim

12 Ottos Aussprache mit Vater

13 Bubi gratuliert zur Hochzeit

14 Hamsterfahrten

15 Im Wartezimmer des Arztes

16 Beim Kassenarzt

17 Abreise in den Schützengraben

18 Tod Otto Hackendahls

Viertes Kapitel: Ein Friede bricht aus

1 Hackendahl und seine Kriegsanleihen

2 Die trostlose Witwe Quaas

3 Sie schießen in der Stadt

4 Abgerissene Achselklappen

5 Die gestörte Volksversammlung

6 Erste Küsse

7 Zwei Träume

8 Der Krieg ist nicht verloren

9 Recht oder Unrecht, Wissen oder Gefühl

10 Der Weg durch den Reichstag

11 Warum wollt ihr die Macht?

12 Gespräch unter einem Tisch

13 Eine Hand als Aschenbecher

14 Zwei Besuche in zwei Villen

15 Der eiserne Gustav faßt einen Entschluß

Fünftes Kapitel: Welche Hand müßte nicht verdorren …?

1 Hackendahl kündigt dem Heinz

2 Waffensammeln

3 Nicht mehr Kamerad unter Kameraden

4 Mißglückte Einkleidung

5 Kampf um Anzüge

6 Heimkehr von Schwester Sophie

7 Immer größere Schmach

8 Begleitherr einer Dame

9 Aushebung einer Bar

10 Besuch bei Frau Quaas

11 Verführung zur Wollust

12 Mahnungen eines Lehrers

13 Heimkehr zu den Kameraden

14 Eva wird für Heinz eine Aufgabe

15 Die Aufgabe wird nicht gelöst

16 Der Friede bricht aus

17 Einzug bei Tutti

Sechstes Kapitel: Rausch der Armut

1 Vater Hackendahl in der Inflation

2 Der Spaßmacher beim groben Gustav

3 Der Vater nimmt Abschied von Erich

4 Ein Verkehrshindernis

5 Ein ausgehobenes Lokal

6 Nacktheit und Geschäft

7 Streit zwischen zwei alten Freunden

8 Besuch im Gefängnis

9 Eugen Basts Verhaftung

10 Streit um eine Peitsche

11 Ein Peitschchen knallt

12 Erbschaft und Enttäuschung

13 Zwei Schmoller

14 Erich Hackendahl als Börsenspekulant

15 Abschied auf Hiddensee

16 Heinz verlobt sich

Siebentes Kapitel: Wer Arbeit kennt und da nicht rennt

1 Kündigung auf der Bank

2 Nachtfahrten des eisernen Gustav

3 Hackendahl wird Sophies Klinikfahrer

4 Ferien und keine Angst

5 Engagement bei Hoppe & Cie

6 Hoppes Plan für den kleinen Mann

7 Die Kunden der Bank

8 Der rätselhafte Dr. Hoppe

9 Entlassung bei Hoppe & Cie

10 Kampf um Bruder Erich

11 Stempeln gehen

12 Flaggenstreit des Lehrers Degener

13 Bewerbungen

14 Die drei Meldescheine

Achtes Kapitel: Die Fahrt nach Paris

1 Die Reiterin am Wannseebahnhof

2 Trennung von Sophie

3 Erich wird vom Vater ausgetrieben

4 Hilfloses Planen des eisernen Gustav

5 Der junge Grundeis wittert Chancen

6 Heinz ist nicht einverstanden, aber Vater siegt

7 Hackendahl wird krank

8 Abfahrt vom Zeitungshaus

9 Abfahrt vom Rathaus und aus der Stadt

10 Die an ihn denken

11 Fahrt durch Deutschland – Regen und Triumph

12 Grenzübertritt und Kriegergräber

13 Einzug in Paris – Droschkenrennen

14 Trübe Herbststimmung, von Grundeis vertrieben

15 Berlin empfängt den Eisernen

 

Alle Gestalten dieses Buches, einschließlich des eisernen Gustav, sind Geschöpfe der freien Phantasie. Nirgend soll auf reale Personen auch nur angespielt werden. Der Verfasser hat lediglich Geschehnisse, wie sie in jeder Tageszeitung aufgezeichnet stehen, als Grundstoff benutzt.

H. F.

Erstes Kapitel

Die gute schöne Friedenszeit

1

Vielleicht war es das Pferd im Stall gewesen, die Schimmelstute, das Lieblingstier des alten Hackendahl: Es ließ pausenlos die Halfterkette durch den Krippenring rasseln und schlug, sein Futter fordernd, unablässig mit dem Huf gegen das Stallpflaster.

Vielleicht aber war es auch die erste fahle Dämmerung gewesen, die mit ihrem grauen Schein das hellere Mondlicht abgelöst hatte – vielleicht hatte der über Berlin grauende Morgen den alten Hackendahl geweckt.

Vielleicht aber hatten weder Lieblingstier noch Morgendämmerung Hackendahl so früh wach gemacht, um drei Uhr zwanzig, am 29. Juni 1914 – sondern etwas sehr, sehr anderes … Mit der Schlafseligkeit kämpfend, hatte der alte Mann gestöhnt: »Erich, Erich, das wirst du doch nicht tun …!«

Dann war er hochgefahren und hatte in das Zimmer gestarrt, ohne noch etwas zu sehen. Langsam war Erkennen in sein Auge getreten; über den geschwungenen Muschelaufsatz des Ehebettes fort, flankiert von den beiden Knäufen rechts und links, sieht er gerade auf die Wand, an der sein Pallasch hängt aus der Zeit, da er noch Wachtmeister bei den Pasewalker Kürassieren war, neben dem Helm, unter dem Bild, das ihn an seinem Entlassungstage aus dem Dienst vor nun zwanzig Jahren zeigt.

Er sieht mit wachem Auge im Dämmerlicht den schwachen Schein auf der Klinge und auf dem goldenen Adler des Helms: Diese Erinnerungen machen ihn heute noch stolzer und glücklicher als das große Fuhrgeschäft, das er aufgebaut hat. Das Ansehen, das er beim Regiment genoß, freut ihn mehr als die Achtung, die dem erfolgreichen Geschäftsmann von den Nachbarn in der Frankfurter Allee gezollt wird. Und, unmittelbar an seinen Angsttraum anknüpfend, sagt er, jetzt völlig wach: »Nein, Erich würde so etwas nie tun – nie!«

Mit entschlossenem Ruck stellt er die Beine auf den Bettvorleger, ein Heidschnuckenfell.

2

»Stehst du schon auf, Gustav?« fragt es aus dem Nebenbett, und eine Hand tastet nach ihm. »Es ist doch erst drei.«

»Jawoll, Mutter«, antwortet er. »Drei Uhr fünfundzwanzig.«

»Aber warum denn, Vater? Füttern ist doch erst um vier …«

Er wird fast verlegen. »Mir ist so, Mutter, als könnte was krank sein im Stall …«

Er steckt rasch den Kopf in die Waschschüssel, um weiteren Erklärungen zu entgehen. Aber seine Frau wartet geduldig, bis er sich abgetrocknet hat und nun dabei ist, den aufgewirbelten Schnurrbart mit Pomade, Kamm und Bürste in Form zu bringen. Da sagt sie: »Du hast die ganze Nacht von Erich phantasiert, Vater …«

Der Mann hält mit einem Ruck im Kämmen inne, er möchte etwas Rasches sagen, aber er besinnt sich. »So«, meint er dann gleichgültig. »Davon weiß ich nichts …«

»Was hast du denn mit Erich?« fragt die Frau beharrlich. »Ich merke doch, ihr habt was miteinander.«

»Die Eva hat gestern wieder den ganzen Nachmittag in der Konditorei Koller gesteckt. Das paßt mir nicht – die Leute sagen dafür nur Café Knutsch.«

»Ein junges Ding will auch was haben vom Leben«, antwortet die Mutter. »Fräulein Koller hat jetzt ein Grammophon gekauft. Sie geht nur wegen der Musik hin.«

»Es paßt mir nicht!« sagt der alte Wachtmeister nachdrücklich. »Sorg du für Ordnung bei den Mädchen, ich werde die Bengels schon an die Kandare nehmen. Auch den Erich.«

»Aber …«, fängt die Frau an.

Aber Hackendahl ist schon fort.