Jedes kleinste Zeichen war von Wichtigkeit. Während er so saß und sann, überzogen sich seine Wangen mit einer Blässe, die sie schimmernd machten wie Perlmutter. Es erzitterte etwas in der Tiefe seines Wesens, und er duckte die Schultern wie unter einem drohenden Schlag.

»Was ist mit dir, Junge?« forschte die Generalin strengen Tons. »Du gefällst mir seit einiger Zeit nicht mehr.« Sie erhob sich elastisch, gab Etzel einen Klaps auf die Backe, und als er aufstand, schob sie ihren Arm unter seinen und ging mit ihm ins Wohnzimmer. Dort zündete sie sich eine Zigarette an, reichte auch Etzel eine, und zwar so selbstverständlich, als sei er ihr Hausfreund und teile alle ihre Gewohnheiten, dann hakte sie sich abermals in ihn ein und wanderte in dem riesigen Raum mit ihm auf und ab. »Jetzt beichte mal«, fing sie an; »was ist los? Warum siehst du aus, wie wenn dir die Hühner das Brot weggeschnappt hätten? Hapert's in der Schule? Vorigen Herbst hast du ja noch Aussicht auf den Primus gehabt. Ehrlich gesagt, darauf leg ich wenig Wert. Aus Musterschülern werden keine Mustermenschen, Sitzfleisch macht nicht Genie. Genie ist Fleiß, sagen die Deutschen. Das könnte ihnen so passen. Ich halte was von dir, du bist mein einziger Enkel, ich bin deine einzige Ahnin; hättest du ein halbes Dutzend Geschwister, so würd ich mir vielleicht einen andern unter euch aussuchen als gerade dich, denn du bist mir ein wenig zu verschlagen und ein wenig zu verdöst. Man muß viel da drinnen haben (sie deutete auf ihre Brust), wenn man so viel dahinten hat (sie zwickte ihn am Ohrläppchen). Na, ganz egal, ich hab dich trotzdem lieb, nur wird mir manchmal angst und bang, wenn ich dich anseh.«

Sie ist eine herrliche Frau, dachte Etzel. Er lächelte zu ihr hinüber (sie waren beide fast gleich groß), blieb mit einem Ruck stehen und fragte, noch mit einem Rest jenes Lächelns, um die Bedeutung der Frage abzuschwächen: »Du, Großmama, sag mir: Wo ist meine Mutter und warum weiß ich nichts von ihr?«

Es wäre vergebliche Mühe, die komplizierte Gedankenreihe aufdecken zu wollen, die ihn zu solch gewalttätigem Einbruch in den Seelenfrieden der Generalin veranlaßte. Vielleicht ging sie von dem Mann mit der Kapitänsmütze aus und dem Bezirk, an dessen Peripherie er sich seit der Erzählung der Generalin bewegte; vielleicht war es ein natürlicher Vorgang, und es zeigte sich, auf natürliche Weise, einer von den Pfeilern, über die seine Schicksalsbrücke lief. Jedenfalls war die Generalin erstarrt vor Schrecken und fand ihn wieder einmal außerordentlich frech. Dann wurde ihre Miene höchst ärgerlich. Entschieden mißbrauchte er ihre Langmut. Nur um sie zu peinigen, hat er einen ganzen Zettelkasten mit Fragen vorbereitet. Nichts ist ihr so verhaßt, als wenn man ihr fortwährend Fragen ins Gesicht knallt. Heute das, morgen das, übermorgen ein drittes, ihretwegen; aber auf einmal das ganze Bombardement, das geht über die Hutschnur. Abgesehen davon, sie hat zu kopiös gegessen, sie muß der Ruhe pflegen, sie darf nach Tisch nicht so viel schwatzen, sie hat dann Beklemmungen und kann nachts nicht schlafen. Etzelein ist ein netter Junge und geht jetzt nach Hause. Schönen Gruß an den Vater. Empfehlungen an die Rie. Adieu. Damit schob sie ihn, überbeweglich, überberedt, ins Vorzimmer, nahm seinen Kopf zwischen ihre feinen, kühlen Hände, küßte ihn mit komisch gespitzten Lippen auf die Stirn und auf die Augen und schlug die Tür schallend hinter ihm zu.

Drittes Kapitel

1

Dr. Raff ergriff die Gelegenheit, mit Robert Thielemann über Etzel zu sprechen. Er war in Sorge. Etzel ließ in seinen Leistungen bedenklich nach.