Wird ihnen aber jetzt die klägliche Reichsstädterei, dieser Nürnberger Tand aus den Händen geschlagen; geht ein frischer Geist mit unwiderstehlicher Kraft durch alle ihre Länder, und zerreißt und verbindet, was noch nie vereinigt, was seit lange nicht getrennt war: so erwachen sie wohl, und huldigen nun besonnen einer neuen Gewalt, die dazu bestimmt scheint, Europa zu beherrschen. Ja, gezwungen werden sie, statt des kleinstädtischen Provinz-Eigensinnes einen europäischen großartigen Geist in sich zu bilden. Wie viel Gut gewinnen sie also, gegen den scheinbaren Verlust armseliger Schatten. Steht es nicht zu hoffen, daß unter fremder Herrschaft sich erst das erzeugen möchte, was man deutsch, national, eigenthümlich nennen dürfte? War es ja doch nur bis jetzt die Bücherwelt, die die Verlassenen ihre Literatur nennen wollen, welche bisher ein gewisses Einverständniß unter den mancherlei Gebräuchen, Stämmen, Sekten und Religionen, Dialekten und gegenseitigen Befeindungen aufweisen konnte. Mögen sie diese doch nun zu etwas Edlem, Richtigem ausarbeiten, zu einer Gestalt vollenden, die sie mit einigem Vertrauen ihren Nachkommen überliefern dürfen. Vielleicht, ja wahrscheinlich, waren es die verschiedenartigen Verfassungen, alle die Ueberreste aus dunkeln Jahrhunderten, die das Reifen dieser Frucht bisher unmöglich gemacht. Besser, daß diese große Erschütterung, der die Welt nicht mehr ausweichen kann, uns von einer fremden gebildeten Nation mitgetheilt werde, die große Erfahrungen gemacht und überwunden, von einem Manne, vor dem sich zu beugen keine Schande ist, als daß diese Begebenheit aus der Verworrenheit der Menge, aus blindem Drangsal, aus der Schlaffheit hervorgehe. Kunst und Wissenschaft, Philosophie und Poesie, auf welche die Deutschen so eitel sind, mögen nun ihre Schwingen entfalten, und den Flug um so höher richten, als sie nicht mehr gegen hemmende Politik und vielfältige bürgerliche Einrichtungen zu kämpfen haben. Die Freiheit der Presse ist wenigstens das erste Gut, auf welches wir mit Gewißheit rechnen dürfen. Alle die armen Journalisten, die bisher nur matt und leise dieses und jenes durften ahnden lassen, weniges lispeln, sie dürfen jetzt die Trompete nehmen, und das von den Dächern verkündigen, was etwa nur noch in den vertrautesten Kreisen geflüstert wurde. Erst durch diese kann eine öffentliche Meinung in Deutschland geboren werden; und auch diese Kunst oder dies Handwerk, durch Journale und Zeitungen Gesinnungen zu verbreiten, müssen wir erst von den Franzosen und hauptsächlich von den Engländern lernen. So lange es bei uns noch ganze Dörfer giebt, die weder lesen mögen noch können, ist es mir immer, als ob man von einem Gespenste rede, wenn man von der deutschen Literatur spricht. Ueberlege ich also unbefangen und in größerem Sinne das, was uns jetzt zugestoßen ist, so wage ich es zu behaupten, daß unser Verlust mit einem Mikroskop muß aufgesucht werden, daß unser Gewinn aber etwas Unermeßliches sei.
Der Franzose lächelte selbstgefällig. Kronenberg schwieg nachdenkend, und betrachtete den Grafen, der sich voll Verdruß auf die Lippen biß; der finstre Liancourt machte eine Miene, aus der man so wenig Beifall als Unzufriedenheit lesen konnte; und da Alle schwiegen, machte der Redner eben Anstalt, in seiner Abhandlung fortzufahren, als Emmerich, glühend roth im Gesicht und mit glänzenden Augen, in diese Worte ausbrach:
Wie? Literatur, Kunst und Poesie könnten ohne Vaterland da seyn? Ohne dieses Grundgefühl, welches diesen Blüthen erst Klima und Wärme verleihen muß? So leicht wollte ich glauben, daß der starre Leichnam eines Greises wieder zur Jugendfrische und allen Leidenschaften belebt werden könnte. Man kann noch fragen, was wir verloren haben? Nicht dieses und jenes, sondern alles; und daß es Deutsche giebt, die so fragen können, die mit sophistischer Ueberweisheit jene hohen, einzig hohen Güter verkennen und verschmähen, dies ist das Elend unserer Tage; daran sind wir zu Grunde gegangen. Geblendet vom Glanz ausländischer Herrlichkeit strebten wir nach Dingen, die uns nicht aneignen, die keine Güter, kein Glück für uns sind, und lernten die Gaben, das wahre Glück, die einheimische Trefflichkeit verschmähen, die uns ein gütiges Schicksal noch gegönnt und gelassen hatte. Wenn dieses Glück, diese Freiheit, die sich nicht in Zahlen, nicht in geschriebenen Paragraphen aufweisen läßt, einmal ganz, verscherzt seyn wird, dann werden wir an ihrem Grabmal erst wissen, was wir besessen haben. Und jetzt, durch diesen ungeheuern Schlag, sollte eine Freiheit, auch die kleinste nur, errungen werden können? das wenigstens, was man die Freiheit der Presse nennt? O, wir werden sehen, wie alle unsere Zeitungen, wie alle Flugblätter, die so oft die Miene der Freiheit angenommen haben, dem Sieger huldigen; wie dieselben Menschen, die bitter und ungerecht gegen ihre angebornen Fürsten waren, nun schmeichelnd im Staube kriechen. Freiheit! welch' großes, schönes Wort! welch' edles Herz möchte nicht für dieses kostbarste Gut erglühen! Nur wahre sich der Bessere, wenn er das Höchste zu vertheidigen strebt, nicht aus mißverstandenem Eifer sich denen beizugesellen, die ohne Staat und Vaterland, Diener des Augenblicks und der bethörten Menge, dies heilige Wort in ihren Fahnen führen, um ihrem Groll, ihrem Haß der Obrigkeit, ihrer Zerstörungswuth Bahn zu brechen. Drücken uns Mängel, bedarf der Staat neuer Kräfte, so erwecke man diese; man heile jene, aber auf dem gesetzlichen Wege; warne, unterrichte derjenige, der sich dazu berufen fühlt, und zeige in verständigen Schriften, daß er sein Vaterland kennt und liebt, daß er es verdient, Staatsmännern und dem Monarchen als Nathgeber, der Menschheit selbst als Wohlthäter zu erscheinen. Aber wie, den Journalen, den Zeitungen und Tagesblättern sollen wir dieses Palladium vertrauen? Diese Krankheit wünscht man uns als Gewinn, daß sie sich allgemein verbreite, an welcher England vielleicht einmal verbluten muß, und gern die größten Opfer brächte, wenn es diese Preßfrechheit hemmen könnte? Wie gutmüthig sorgen die Regierungen doch, daß auch der ärmste Unterthan schreiben und lesen lerne, wähnend, daß dieses nur Kennzeichen der Bildung des gemeinen Mannes sei; wie arbeiten sie sorgfältig, damit er nur ja in Zukunft alle die ungerechten und oft hämischen Angriffe erfahre, die die besten Bemühungen der Regenten erleiden müssen. Man sehe nur jene englischen Zeitungen an, wenn man mich der Uebertreibung beschuldigt, die für den Landmann, ja für den Pöbel der Provinzen berechnet sind, und wahrlich nicht Belehrung, Zurechtweisung, edlen Freiheitssinn enthalten, sondern nur immer wieder die verderblichen Funken ausstreuen, ob denn nicht einer einmal zum Mordbrand aufschlage. Und brauche ich denn jenseit des Meeres nach Beispielen zu suchen? Liegen sie uns nicht näher, wenn auch vielleicht nicht ganz so bösartig? Welche Masse von seichtem Raisonnement, welche elenden Deklamationen, welcher unberufene und unsinnige Haß gegen jede Obrigkeit hat sich bei uns seit dieser unseligen Revolution gesammelt und ausgesprochen! Welche unmenschliche Schadenfreude über das unerhörteste Unglück, welche Gleichgültigkeit bei den schrecklichsten Begebenheiten! Vorzeit und Gegenwart möchten die Schreier eben so unphilosophisch als unhistorisch in den Abgrund werfen und vernichten, um nur ihre chimärische Zukunft, die tyrannische Oberherrschaft ihrer Grillen zu begründen. Sie zürnen in ihrem Freiheitseifer, wenn der Despotismus Heinrichs, des deutschen Kaisers, von einem kräftigen Papst gebrochen wird, der in jenem Zeitalter Freiheit fester gründete, als sie zu träumen vermögen; sie finden es aber ganz in der Ordnung; wenn Ludwig der Märtyrer von einem verruchten Revolutions-Tribunal gemißhandelt wird. Bis jetzt war es anders bei uns, als in Frankreich und England, und unser Volk darf stolz darauf seyn. Fast seit zwanzig Jahren ertönen diese Grundsätze durch unsre Gebirge und Fluren, die Heere des Feindes sind fast eben so viele Jahre abwechselnd die Beherrscher verschiedener Provinzen; und wo ist ein Land, ein Stamm, eine Stadt, ja, ich möchte sagen ein Dorf, zu nennen, die ihrem angebornen Fürsten treulos geworden wären? Nein, fester sind die Bande gezogen, inniger ist diese Liebe entzündet. Was haben sie gelitten, die Aermsten, und mit welchem Jauchzen haben sie ihre Fürsten wieder begrüßt! Nein, das können die deutschen Herrscher auch nie vergessen, nie diese Hingebung, diese Opfer, diese unwandelbare Treue (die sich immer wieder bewähren wird) mit Undank erwiedern. Nie werden sie in den Irrthum verfallen, die Stimmen jener Blätter mit der Stimme ihres Volks zu verwechseln.
Mithin, warf der Musiker ein, wird die jetzige große Begebenheit ohne allen Nutzen seyn?
Der Himmel hat sie zugelassen, antwortete Emmerich, und aus dem tiefsten Elende blitzt mir eine Hoffnung entgegen. Wir werden alle zur Erkenntniß kommen; wir werden uns vereinigen, ein wahrer Nationalsinn wird und muß erwachen, und alle Provinzen brüderlich verbinden. Vielleicht fällt dann einmal ein Glück, ein ungeheures Schicksal vom Himmel, und eine allgemeine Flamme lodert über Berg und Flur, ein Freiheitsruf ertönt durch alle Gauen, ein Fürstenwort erklingt durch alle Wälder, und nun versammelt sich Jung und Alt um die vielgeliebten Regenten, und es gelingt vielleicht durch des Himmels Gnade, was jetzt unmöglich scheint.
Sie werden zum Propheten! sagte der Musikus hämisch: in jener goldnen Zeit werden Sie sich dann ohne Zweifel niedersetzen, und ein Journal oder Wochenblatt in einem ganz entgegengesetzten Sinne herausgeben, jedes Gebrechen loben, den Ministern schmeicheln, das Mittelalter zurückwünschen, und den Despotismus predigen.
Nein! rief Emmerich lebhaft aus, wenn ich dann noch athme und mich bewegen kann, so nehme ich eine Muskete auf die Schulter, und trete mit dem ärmsten und niedrigsten meiner Brüder in Reihe und Glied.
Er konnte seine Rührung nicht verbergen, und entfernte sich schnell; der Graf folgte seinem Lieblinge, erschrocken über das, was er auszusprechen gewagt hatte.
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