Die jungen Herren konnten auch erst nicht Haß genug gegen die Feinde in allen Winkeln ihres Wesens auftreiben, und nun sind ihnen diese, und täglich neue Besuche, so nothwendig, daß sie ohne sie vor Langeweile nicht aus noch ein wüßten.

Sie haben nun, sagte Kronenberg, die ganze Familie charakterisirt und nicht mit liebevoller Hand gezeichnet; nur Cäcilien erwähnten Sie nicht.

Weil diese gar nicht zu den andern gehört! rief der Musikus bewegt und zornig aus: weil dieses alberne Wesen, die gar nicht weiß, was sie will, wie eine Erscheinung aus dem dritten Himmel ist. Sie sieht und hört nicht, was um sie vorgeht, sie liebt und haßt nicht, sie ist zu schön, so daß man verzweifeln möchte, und sie weiß von ihrer Schönheit so wenig Gebrauch zu machen, daß sie wie ein einfältiges Kind herumwandelt. Ei, dieses Wesen, diese Augen, diese Stimme, – ja, das Herz könnte sie mir umwenden und einen andern Menschen aus mir machen. Aber Liebe? – nein, sie läßt sich nicht träumen, daß es dergleichen geben könne, wenn nicht in ihrem innersten Herzen eine dumme Verehrung für jenen ernsthaften und langweiligen Vetter wohnt, dem ich wünschte, daß er noch schlimmer da draußen gegen den Brunnen stürzen möchte, um niemals, wieder aufzustehn.

Mit wilden Geberden rannte der grimmige Mensch fort, und Kronenberg fühlte, wie bei der letzten Aeußerung ein empfindlicher Schmerz durch seinen Busen zuckte. Er fürchtete, daß Cäcilie wohl schon lieben könne, vielleicht ohne es zu wissen, und ein Gefühl von Verzweiflung tauchte in ihm auf: seine Nichtigkeit ergriff ihn, und er sehnte sich fort in die Weite, ja in den Tod, um nur diese Bedrängniß von sich zu schütteln. Der alte Graf Werthheim überraschte ihn und störte seine Gedanken. Er erzählte vom Marschall, dessen Erscheinung ihm in dieser traurigen Zeit eine reine Freude gewährt hatte. Dieser schon bejahrte Mann hatte das Unglück des Landes empfunden, und eben so mild als verständig über die neuesten Begebenheiten gesprochen. Der Graf war gerührt, daß er bei Feinden gewissermaßen mehr Trost finde, als so oft bei Eingebornen, ja nahe Befreundeten; denn seine eignen Söhne waren, wie er klagte, nur selten, vom Geschwätz jenes Musikers verleitet, mit ihm einig. Denn es giebt Güter, die sich oft, eben weil sie unsichtbar und die höchsten sind, der Schätzung der Menge entziehn; dagegen diese gewöhnlichen Menschen so oft andere erringen wollen, deren Werth sie viel zu hoch anschlagen, weil ihr Inhalt namhaft gemacht werden kann, und ihre äußere Erscheinung mit blendendem Glanze auftritt. Dieses stille Glück, diese ächte Deutschheit war es, welche der Graf so oft vertheidigen mußte, und sich immer, trotz des stärkeren Beistandes seines Verwandten, nur schwach fühlte, und gewöhnlich aus dem Felde geschlagen wurde, wenn man ihm gegenüber den Ruhm der großen Nation, ihre Eroberungen, ihre politische und militärische Ausbildung, ihre Gerichtsverfassung und alles das, was die Bewundrung der neuesten Zeiten erregt hat, entgegen setzte. Es schien, daß er und der Marschall, der nur wenige Meilen davon, und wie man glaubte, auf länger seinen Sitz aufgeschlagen hatte, sich in wirklicher Freundschaft gefunden und erkannt hatten. Der alte Mann erzählte nicht ohne Bewegung, wie auch Kronenberg, dessen Krankheit und Gesicht, vorzüglich aber seine verständigen, wenn auch nur wenigen Worte, den Heerführer innig interessirt hätten. Es war die Aussicht, daß man ihn öfter sehn würde, und damit die Hoffnung gewonnen, daß Officiere wie Soldaten sich in diesem Distrikte gut würden betragen müssen.

Die Gesellschaft versammelte sich wieder zu Musik und Spiel; Kronenberg beobachtete noch aufmerksamer den melancholischen Verwandten, wie ihn der Musikus nannte, und es blieb ihm nicht zweifelhaft, daß er Cäcilien liebe, auch sie schien ihm geneigter, wie allen Uebrigen. Mit bittern Gefühlen zog sich der Kranke auf sein einsames Lager zurück.

 

Kronenberg erfreute sich bald einer bessern Gesundheit, und seine gänzliche Wiederherstellung schien nicht mehr entfernt. In der Zerstreuung, in welcher er lebte, fand er nur selten einige Minuten, um über seinen Zustand nachzudenken. Die politischen Begebenheiten, an welchen die Familie natürlich das lebhafteste Interesse nahm, die Durchmärsche, die mannichfaltigen Charaktere, die im Hause auftraten, die Besorgnisse, welche sie oft erregten, so wie die Vermittelungen, welche immer wieder nothwendig wurden – alles Dinge, an welchen Kronenberg seinen Theil nehmen mußte, ließen ihm so schnell Wochen und Monden verfließen, daß er in der Verwirrung und Betäubung kaum noch seiner früheren Vorsätze gedachte. Dazu kamen, um das bewegte Leben zu vermehren, Koncerte, an denen oft die benachbarten Familien Theil nahmen, Vorlesungen, Spazierfahrten und Besuche bei auswärtigen Befreundeten. War er einmal von der größern Gesellschaft entfernt, so beschäftigte ihn der geistreiche Musikus, mit dem er sich mehr, als er anfangs denken konnte, versöhnt hatte. Vertrauter aber war er mit den beiden Franzosen, vorzüglich mit dem jüngern, dessen freundliche, geschmeidige Höflichkeit ihn völlig bezauberte. Er konnte der Art, wie dieser Fremde ihm seine Hochachtung bezeigte, wie er sein Vertrauen suchte, und der Herzlichkeit, mit welcher er seine Freundschaft erwiederte, unmöglich widerstehn. Auch Cäcilien war er viel näher gekommen; in manchen Augenblicken glaubte er sich von ihr geliebt; sah er aber dann wieder, wie sie in andern Stunden sich mißtrauisch von ihm zurück zog, wie ängstlich sie ihn vermied, wie fremd sie seine leidenschaftliche Anrede erwiederte, so glaubte er, sich zu täuschen, und eine unglückliche Stimmung bemächtigte sich seiner, in welcher er gegen alle Welt, am meisten gegen den zurückgezogenen Emmerich, ungerecht war, der ihm als die verhaßte Ursache von Cäciliens verändertem Benehmen erschien. So sehr aber dieser das Fräulein lieben mochte, so war sein Charakter dem des Verstimmten völlig unähnlich; denn er blieb auch gegen Kronenberg freundlich, und antwortete selten auf die Bitterkeiten, die er oft von diesem, und noch öfter von dem gallsüchtigen Musikus anzuhören bekam.

Die Eltern, wie es arglosen Menschen oft zu gehen pflegt, bemerkten von allen diesen Verhältnissen wenig oder nichts. Den Vater schien es zu kränken, daß sein junger Freund, dem er zugethan war, mit den Feinden seines Vaterlandes in ein vertrauliches Verhältniß trat, und oft Gesinnungen zu äußern schien, die er undeutsch nennen mußte.

An einem Nachmittage hatten sich die Frauen entfernt, und so sehr es sonst der Graf vermied, fiel unter den Männern das Gespräch dennoch auf die Politik. Vor kurzem war der letzte Hoffnungsschimmer erloschen, und als der Vater seufzend klagte: jetzt sind wir, und mit uns ganz Deutschland, völlig verloren! rief der Musikus in seinem bittern Humor plötzlich aus: Verloren? Und was wäre denn daran noch zu verlieren gewesen? Was hattet ihr Deutsche denn noch, das euch zu Deutschen, zu einem Volke machen konnte? Die innere Entzweiung hat schon längst alle eure Kräfte gebrochen, und jedes National-Interesse, jede großartige Verbindung unmöglich gemacht. Je mehr jede Provinz, jedes Ländchen sich isolirte und vom allgemeinen Bande loste, je mehr glaubten sie an Selbstständigkeit und Patriotismus gewonnen zu haben. Sie verschmachteten in engherziger Kleingeisterei, während einige Residenzen in nachgespielter feiner Lebensart, in nachgebeteten Phrasen diese Pfahlbürger und ihren Sinn verspotteten. Die größeren Reiche belauerten einander neidisch, und hielten immer schadenfroh den Verlust des Nebenbuhlers für eigenen Gewinn. Längst schon war die Freiheit entflohn, der Sinn aus den leeren Formen der alten Verfassung entwichen, und die trübseligen Ruinen konnten höchstens nur noch Geist und Aufschwung hemmen und lähmen. Nie hat auch der Deutsche selbstständig seyn wollen; man lasse ihm seine Kindereien, seine Rechthaberei, und er wird gerade in der Unterdrückung, wenn es dem Nachbar nur eben so schlimm ergeht, immer noch freudig mit dem Spielzeuge klappern und sich glücklich wähnen.