Der junge Kronenberg wußte nicht, was er sagen sollte; die ältliche Frau zwang sich, die Fassung nicht zu verlieren, und den Platz zu behaupten, zu dem sie erst mit Höflichkeit war gezwungen worden; doch nahm sich endlich der Reisende aus Noth so viel zusammen, daß er sie bat, nach dem Fremden und zugleich nach dem hergesandten Hausknecht zu sehn, ob beiden auch nichts abgehn möchte. Die Frau erhob sich langsam, und verließ nicht ohne Zeichen der Empfindlichkeit das Zimmer.

Sonderbarer Mensch! sagte Freimund, Du scheinst die Frau zu Deiner Gesellschaft eingeladen zu haben, und sendest sie nun meinetwegen wieder fort! Wie kommst Du überhaupt hieher? Zehn Meilen von Deiner Heimath? Da ich Dich dort verheirathet und glücklich glauben mußte?

Kronenberg verriegelte die Thür und lehnte die Laden der Fenster an; dann sagte er leise: verrathe mich gegen Niemand, daß Du mich hier angetroffen hast, denn es könnte mir vielen Schaden thun. Ich heirathe nicht, die Verbindung ist völlig aufgehoben.

Also ist das Gerücht dem ich nicht glauben wollte, rief der Freund aus, dennoch wahr? Und Fräulein Cäcilie –

Sie findet sich, sie wünscht es im Grunde selbst. – Aber wie kommst Du hieher?

Ich war, sagte jener, zwei Meilen von hier auf der Jagd, und bin im Begriff nach Hause zu reiten. Ich wollte binnen wenigen Tagen Dich besuchen, um Dich als Ehemann kennen zu lernen.

Lassen wir dies Gespräch, sagte Kronenberg, mit empfindlichem Tone abbrechend, – ich und Cäcilie wären unglücklich geworden, wahrhaft elend, – ich kann aber unmöglich so plötzlich und in Eil das ganze Gewebe von Empfindungen, Verhältnissen und Mißverständnissen auseinanderfalten, das diesen Schritt, wenn er auch auffallend ist, nothwendig machte.

Unglück – Elend – sagte der Freund, ja dies sind freilich zwei schwer wiegende Worte, die im Leben meistentheils weit mehr Sinn, als »Glück« und »Wonne« haben. – Und wohin gehst Du von hier?

Auch das darf ich Dir nicht sagen, antwortete der Verstimmte, und keinem meiner Freunde. –

Sieh da, nahm Freimund das Wort, um dem Gespräch eine völlig entgegengesetzte Wendung zu geben, Du führst ja das Werk mit Dir, von welchem jetzt in allen Gesellschaften die Rede ist. Findet man größtentheils die Beobachtungen wahr und scharfsinnig, so erschreckt doch viele der kecke Ton und die harte Anklage eines Mannes, der jetzt einen Theil von Europa regiert. Die größte Neugier ist aber darauf gespannt, wer wohl der Autor seyn möchte. Man räth auf Bekannte und Unbekannte. Daß dies Buch Dir nur nicht, wenn Du vielleicht weit reisen solltest, gefährlich wird.

Mir? sagte Kronenberg mit Lächeln. Und von wem glaubst Du es geschrieben?

Ich bin hierüber ganz unwissend. Auch ist mir die Schreibart völlig fremd.

Das sollte sie Dir doch, wenigstens zum Theil, nicht seyn, denn Du hast schon manches vom Verfasser gelesen.

Du kennst ihn also? – Da Kronenberg geheimnißvoll und etwas schelmisch lächelte, so fuhr Freimund überrascht und erschreckt heraus: Wie? Du bist es doch nicht selbst? Unmöglich!

Warum unmöglich? erwiederte jener; ich will damit nicht sagen, daß geradezu alles von mir herrühre; auch konnte ich natürlich hier in Deutschland nicht alle Thatsachen erfahren. Aber da ich, wie Du weißt, gute Quellen in Paris habe, mit Männern verbunden bin, die die Regierung nahe beobachten konnten, so war ich dadurch in den Stand gesetzt, die Schilderung dieses gefährlichen Mannes, wie ich glaube, ziemlich getreu entwerfen zu können.

Das ist mir so neu, rief Freimund aus, daß ich mich noch von meinem Erstaunen nicht erholen kann. Und Du wagst es, dies zu gestehn, da uns vielleicht, ja wahrscheinlich, ein Krieg mit diesem wunderbaren Manne und seinem aufgeregten Volke nicht mehr fern ist? Da unserm Vaterlande wohl die sonderbarsten und traurigsten Verhältnisse zubereitet werden?

Was der Deutsche thut und behauptet, antwortete der Freund, muß er auch mit Muth können vertreten.

Nach einer Stunde verließ Freimund, nachdem er noch einmal seine wohlgemeinten Warnungen wiederholt hatte, den Reisenden. Dieser ging nachdenkend auf sein Zimmer, und als er am Morgen vom Posthorn geweckt wurde und sich schnell angekleidet hatte, fand er die Rechnung, die er zwar nicht klein vermuthet, übermäßig groß. Er dachte bei sich, daß sie wohl mäßiger ausgefallen seyn würde, wenn die höfliche und vertraute Conversation mit der Wirthin nicht wäre unterbrochen worden. Ein offner Wagen war vorgefahren, und da sich wieder ein Schneegestöber ankündigte, bestieg Kronenberg dieses Fuhrwesen mit unfreundlicher Miene; denn er mußte in den Bergen und schlechten Wegen einen ziemlich unangenehmen Tag erwarten. Der Aufwärter schalt auf die schlechte Einrichtung der Posten, die Wirthin zeigte sich aber nicht. Als der Wagen um das Haus fuhr, sah durch ein schmales Fenster ein bleiches Gesicht, welches der Reisende für das des Bittenden von gestern Abend erkannte; dieser streckte die Hände, mit denen er vorher den Mund berührte, wie dankend, ihm nach. Kronenberg hüllte sich in seinen Mantel, und hatte keine Lust, mit dem alten Christoph, der sich in seinem Schaafpelz auf den Wagen gewälzt hatte, ein Gespräch anzuknüpfen; er war um so mißlauniger, da er im Abfahren einen spöttischen Zug in dem Gesichte des Aufwärters bemerkt zu haben glaubte.

 

Kaum hatten sie sich eine halbe Meile von der Stadt entfernt, als der Wagen, gegen einen Baumstamm geworfen, umfiel, und die Reisenden in den tiefen Schnee stürzten. Das ist eine mühselige Anstalt, sagte verdrüßlich der alte Christoph; diese letzte Meile hat mich auch gestern den größten Aerger und die meiste Anstrengung gekostet. Ein Wagen mit Korn wurde in die Stadt geschickt, das ging noch leidlich, – dann fand ich Gelegenheit, mit dem Postwagen weiter zu fahren, – aber diese letzte Meile hier im Gebirge! Kronenberg suchte ihn zu trösten, und als man sich wieder vom Schnee gesäubert hatte und aufgestiegen war, froh, daß der Unfall keine schlimmeren Folgen gehabt hatte, mußte der junge Mann den Alten schon gewähren lassen, der sich durch Schwatzen wenigstens für seine Leiden zu entschädigen suchte. Er berichtete weitläufig den Zustand der ganzen Haushaltung jener Familie, die Kronenberg noch diesen Abend sehen sollte; er verlor sich in Geschichten und Anekdoten, und verschwieg nicht viele Lächerlichkeiten, die den alten gnädigen Herrn charakterisirten, und den Sohn, den Freund Ferdinands, nicht in das beste Licht stellten. Nichts als Noth und Plackerei, fügte er endlich seinem Berichte hinzu; und wenn sie am Ende gar nicht mehr aus und ein wissen, so ist der alte Christoph gut genug, um Rath zu schaffen, oder meilenweit zu wandern, um nur die lieben Pferde zu schonen, und den neumodischen Kutscher nicht verdrüßlich zu machen; denn glauben Sie mir nur, mein gnädiger Herr, auf mein Wort: unter tausend Herrschaften ist kaum eine halbe, die das Regieren versteht: der beste Domestik kommt aus den Strängen, wenn ihm nicht auf eine vernünftige Art befohlen wird: er verliert nach und nach seine Gaben und seine Tugend dazu. Anerkannt muß der Mensch werden, mag er doch treiben, was er will; ohne das keine Sicherheit. Wenn ich ein junger Lieutenant wäre, wollte ich den ältesten und gewiegtesten Grenadier aus seiner Fassung bringen, und ihn durch beständiges Mäkeln und unvernünftiges Tadeln in vier Wochen confus und zum unordentlichen und schlechten Soldaten machen. Ich höre manchmal, wenn ich durch den großen Saal gehe, daß der junge Herr über Regenten und Staatsmänner räsonnirt, und alle für nichts Besonderes halten will, indem sie die Regierungskunst nicht verständen. Ob er Recht hat, weiß ich nicht, aber bei sich sollte er doch ja anfangen; denn er ruinirt alle Bedienten im Schloß durch seine Zerstreutheit, und nachher, wenn er Fehler verursacht hat, durch unnöthige Strenge; so macht er sie nach und nach alle tückisch; etliche sind schon Schurken geworden, die nun die andern auch anstecken. Denn, wie gesagt, ohne verständige Ordnung, Pünktlichkeit, Stundenhalten, giebt es gar keinen Menschenverstand in der Welt.

Du bist immer ein zu strenger und moralischer Kauz gewesen, antwortete Kronenberg unter seinem Mantel hervor.

Warum Kauz? fuhr Christoph fort: Kauz sollte man nur solche Leute tituliren, aus denen man nicht klug werden kann.