Ich verlange von meiner Herrschaft und allen Menschen, die mir in die Quere oder in die Richte kommen, nichts Besondres und Kurioses, keine Liebe oder großmüthige Geschenke, keine raren Tugenden und brillante Klugheits-Mirakel, sondern das allerordinärste Wesen, was eigentlich der Hund noch von seinem Herrn fordern kann, wenn er ein brauchbares Thier bleiben soll. Und dies Ding, eben weil es so ordinär ist, ist allen den neuern überweisen Herren zu geringe, – es fällt nicht in die Augen, es ist auch noch nicht für einen Pfennig Lobenswerthes daran; darum geht es auch ganz in der Welt aus, und eben deswegen wird es auch bald so wenig Diener wie Herren auf Erden geben, sondern nur eine allgewaltige Confusion, ein Hin- und Herschreien, ein Spektakel, hinter dem nichts steckt, – und dann heißt es am Ende doch, der gemeine Mann taugt nichts.

Du bist also mit der ganzen Welt unzufrieden? warf Kronenberg ein.

Ich kenne die Welt nur so weit, murrte der Alte fort, als meine Nase reicht. Ich verstehe es nicht, wie man die Menschen nicht kennt, mit denen man täglich zu thun hat. So kenne ich meine Herrschaft und was zum Hause gehört. Aber die Herrschaft, am wenigsten unser junger überkluger Herr, kennt uns, ihre Bedienten nicht, – sie sieht so wenig, was an uns gut ist, als was nicht taugt. Wird man nun manchmal gelobt um etwas, wo ein tüchtiger Herr den Stock hervorsuchte, oder ausgehunzt wegen Sachen, die man so recht mit Verstand und Liebe gethan hat, kriegen die Schlechten in allem Streite Recht, wird jede Verhetzung und dumme Klätscherei von den Gnädigen mit Freuden aufgenommen, so ist auch bald ein Nest von schlechten Dienstboten fertig. Ich denke nur, solche Herren, die ihr kleines Hauswesen nicht in Ordnung halten können, sollten nicht über ihre Vorgesetzten so scharfe Mäuler aufthun.

Das verstehst Du nicht, sagte der junge Mann; die Kälte und das Wetter, am meisten Dein gestriger Marsch, haben Dich verdrüßlich gemacht.

Und das rechtschaffen, sagte Christoph. Sie thaten gestern, als kennten Sie mich nicht, und es hing auch nur an einem Haare, so wäre ich Ihnen gestern Abend nicht vor Augen gekommen.

Und wie das? –

Endlich sah ich die verwünschte Festung vor mir liegen, so fuhr Christoph fort, und da ich nun mich um die Stadt herumquälte, um nach Ihrem Wirthshause zu kommen, wurde es schon ganz finster, und stürzend und fallend, hungrig, durstend und erfroren bin ich nun in der Nähe des goldnen Schwans, und sehe schon die Lichter. Da kommen mit einem mal vier bis fünf Kerle um die Ecke hervor, nehmen mich fest, und schreien: nun, endlich! dir haben wir lange schon aufgelauert! Ich wehr' mich und stoße und schlage, und als es mir endlich gelingt, meine dicke Mütze aufzuknöpfen, weil ich vor der nicht zu Worte konnte, so schrie ich nun aus aller Macht: was wollt ihr denn, ihr Hallunken, ihr Straßenräuber? nebst einigen andern Ehrentiteln, die mir im Zorn heraus fuhren. Da ließen sie mich los, gingen wieder um die Ecke, und brummten: nein, der ist es nicht, laßt ihn! der Mann versteht unsre gute deutsche Muttersprache zu vollkommen. – So weiß ich nicht, für welchen Hasenfuß sie mich müssen gehalten haben; aber man sieht doch daraus, wie kein Mensch dem andern mehr traut, wie man selbst auf der Landstraße nicht mehr sicher ist, wie die Confusion immer mehr um sich greift, und alles, mag ich hinkommen, wohin ich will, ganz anders aussieht, als wie vor zwanzig oder dreißig Jahren.

Die mühselige Station war unter diesen und ähnlichen Gesprächen zu Ende, noch früher, als man gedacht hatte. Nun breitete sich wieder das ebene Land aus, und die Reisenden erreichten auch ohne alle Unfälle die nächste Post, wo sie im kleinen Städtchen den neuen Wagen schon vor dem Gasthofe halten sahen. Der elegante Kutscher begrüßte den jungen Herrn, Kronenberg setzte sich, da es Mittag war, an die Wirthstafel, und ließ, nach einem freundlichen Gespräch, dem alten Christoph, so wie dem Kutscher, ein gutes Essen und eine Flasche Wein vorsetzen. Der Alte schmunzelte vor sich hin, als wenn er dächte: der Herr will thun, als wenn er mit uns Domestiken umzugehen wüßte.

 

Man fuhr lustig wieder aus der Stadt, indem der Kutscher nach englischer Weise auf einem der Pferde ritt. Der bequeme Wagen erschien nach dem offnen Fuhrwerke der Post dem jungen Reisenden äußerst angenehm. Auch währte es nicht lange, so hatte ihn die schaukelnde Bewegung in einen angenehmen Schlummer gewiegt. Als er nach einem Stündchen erwachte, hörte er von draußen vom Bocke der Kutsche ein seltsames verwirrtes Gespräch, und sah, daß sich neben den alten Christoph noch Jemand gesetzt hatte. Der Alte eiferte und sprach laut, und der Fremde schien ihn nicht recht zu verstehen und erwiederte nur im gebrochenen Deutsch. Im Ereifern stießen sie einmal an das Glas, und der Fremde sah erschrocken um. Bei dieser Wendung glaubte Kronenberg jenen Mann wieder zu erkennen, der sich ihm gestern Abend auf eine so auffallende Weise genähert hatte. Es schien ihm aber unmöglich, daß dieser sich schon hier befinden könne, indem er selbst, trotz den schlechten Wegen, schnell genug gereiset war.

Er fand sich in diesen Betrachtungen gestört, indem man jetzt durch eine kleine Stadt fuhr, und auf dem ganz zerrissenen Pflaster der Wagen so erschüttert wurde, daß auch bald, obgleich der Kutscher ziemlich vorsichtig lenkte, etwas zerbrochen war. Man hielt vor der Schenke, der Fremde half ämsig und höflich dem Reisenden beim Aussteigen, indeß Christoph den Schmidt herbei rief. Der Unbekannte war im Zimmer eben so eifrig, den jungen Kronenberg beim Auskleiden zu bedienen, und fragte dann, ob er sonst irgend etwas befehle. Die Diener brachten einige Erfrischung, und nachdem sich der Fremde ebenfalls hatte setzen müssen, fragte ihn der junge Mann: wie ist es nur möglich, daß Sie mich schon haben einholen können, da ich Sie unmöglich wieder zu sehn erwarten durfte?

Es konnte auch nur durch den sonderbarsten Zufall geschehen, antwortete der Unbekannte in seiner Sprache: Sie waren kaum abgereiset, als ein Kourier mit einer eiligen Sendung ankam. Der Mann war mir bekannt, und er nahm mich bis zur nächsten großen Stadt, wo sich unsere Wege trennten, mit. Auf dem guten Wege, obgleich er einige Meilen weiter ist, konnten wir schneller reisen; in der Stadt traf ich einen abgehenden Wagen, der mich bis zu jenem Orte brachte, in dem ich Ihre Equipage antraf, die ich so dreist war, auf Ihre gütige Erlaubniß rechnend, zu benutzen, und hier werde ich mich Ihnen mit gerührtem Danke empfehlen, und das Bild meines Wohlthäters ewig in meinem treuen Herzen bewahren; denn schon ganz nahe ist jene Stadt, wo ich Hülfe und Freunde mit Sicherheit erwarten darf.

Sie verzeihen, sagte Kronenberg, wenn ich vor unserm Abschiede einige Fragen an Sie richte. Sie überraschten mich gestern, und ich war, als ich mich besonnen hatte, nicht ohne Unruhe, ob ich mir nicht selbst Unfälle zuziehe, ob ich nicht vielleicht sogar etwas Sträfliches that. Ich sehe, Sie vermeiden es, in den Städten gesehn zu werden; Sie wurden, als wir zuerst auf einander trafen, sogar verfolgt, und da Sie mich interessirt haben, da ich sehe, daß ich einem seinen und gebildeten Manne, so viel ich konnte, geholfen habe, so möchte ich auch wohl durch eine etwas nähere Bekanntschaft ein reines ungetrübtes Bild von Ihnen in meinem Gedächtniß aufbewahren.

Mein Herr, sagte der Unbekannte, mein Namen bleibt Ihnen völlig fremd, wenn ich Ihnen auch sage, daß ich Cronibert heiße und mit meiner Familie in Rouen wohne. Dasjenige, was so seltsam erscheinen mag, ist ein gewöhnliches Unglück, eine klägliche Lage, in die ich gerieth, als Familienverhältnisse und eine vermeintliche Erbschaft mich nach dem nördlichen Deutschland riefen. Statt eines gehofften großen Vermögens fand ich Verwirrung; näher scheinende Ansprüche und künstliche Verhandlungen vor den Gerichten verdrängten meine Forderungen.