Die junge Gräfin, die seit dem Verlust ihres Geliebten ohnehin mehr in der Geisterwelt als in der wirklichen lebte und durch den schwärmerischen Flug ihrer Phantasie mit leidenschaftlichem Interesse zu Gegenständen dieser Gattung hingezogen ward, fing meine hingeworfenen Winke mit schauderndem Wohlbehagen auf; ja sogar die Bedienten des Hauses suchten sich im Zimmer zu tun zu machen, wenn ich redete, um hier und da eins meiner Worte aufzuhaschen, welche Bruchstücke sie alsdann nach ihrer Art aneinanderreihten.
»Ungefähr zwei Monate mochte ich so auf diesem Rittersitze zugebracht haben, als eines Morgens der Chevalier auf mein Zimmer trat. Tiefer Gram malte sich auf seinem Gesichte, alle seine Züge waren zerstört, er warf sich in einen Stuhl mit allen Gebärden der Verzweiflung.
»›Kapitän,‹ sagte er, ›mit mir ist es vorbei. Ich muß fort. Ich kann es nicht länger hier aushalten.‹
»›Was ist Ihnen, Chevalier? Was haben Sie?‹
»›O diese fürchterliche Leidenschaft!‹ (Hier fuhr er mit Heftigkeit von dem Stuhle auf und warf sich in meine Arme.) – ›Ich habe sie bekämpft wie ein Mann. – Jetzt kann ich nicht mehr.‹
»›Aber an wem liegt es denn, liebster Freund, als an Ihnen? Steht nicht alles in Ihrer Gewalt? Vater, Familie –«
»›Vater! Familie! Was ist mir das? – Will ich eine erzwungene Hand oder eine freiwillige Neigung? – Hab' Ich nicht einen Nebenbuhler? – Ach! Und welchen? Einen Nebenbuhler vielleicht unter den Toten? O lassen Sie mich! Lassen Sie mich! Ging' es auch bis ans Ende der Welt. Ich muß meinen Bruder finden.‹
»›Wie? Nach so viel fehlgeschlagenen Versuchen können Sie noch Hoffnung –‹
»›Hoffnung! – In meinem Herzen starb sie längst. Aber auch in jenem? – Was liegt daran, ob ich hoffe? – Bin ich glücklich, solange noch ein Schimmer dieser Hoffnung in Antoniens Herzen glimmt? – Zwei Worte, Freund, könnten meine Marter enden. – Aber umsonst! Mein Schicksal wird elend bleiben, bis die Ewigkeit ihr langes Schweigen bricht und Gräber für mich zeugen.'
»›Ist es diese Gewißheit also, die Sie glücklich machen kann?‹
»›Glücklich? Oh, ich zweifle, ob ich es je wieder sein kann! – Aber Ungewißheit ist die schrecklichste Verdammnis!‹ (Nach einigem Stillschweigen mäßigte er sich und fuhr mit Wehmut fort.) ,Daß er meine Leiden sähe! – Kann sie ihn glücklich machen, diese Treue, die das Elend seines Bruders macht? Soll ein Lebendiger eines Toten wegen schmachten, der nicht mehr genießen kann? – Wüßte er meine Qual –‹ (hier fing er an, heftig zu weinen, und drückte sein Gesicht auf meine Brust) ›vielleicht – ja vielleicht würde er sie selbst in meine Arme führen.‹
»›Aber sollte dieser Wunsch so ganz unerfüllbar sein?‹
»›Freund! Was sagen Sie?‹ – Er sah mich erschrocken an.
»›Weit geringere Anlässe,‹ fuhr ich fort, ›haben die Abgeschiedenen in das Schicksal der Lebenden verflochten. Sollte das ganze zeitliche Glück eines Menschen – eines Bruders –‹
»›Das ganze zeitliche Glück! Oh, das fühl' ich! Wie wahr haben Sie gesagt! Meine ganze Glückseligkeit!‹
»›Und die Ruhe einer trauernden Familie keine rechtmäßige Veranlassung sein, die unsichtbaren Mächte zum Beistand aufzufordern? Gewiß! Wenn je eine irdische Angelegenheit dazu berechtigen kann, die Ruhe der Seligen zu stören – von einer Gewalt Gebrauch zu machen –‹
»›Um Gottes willen, Freund!‹ unterbrach er mich, ›nichts mehr davon. Ehmals wohl, ich gesteh' es, hegte ich einen solchen Gedanken – mir deucht, ich sagte Ihnen davon – aber ich hab' ihn längst als ruchlos und abscheulich verworfen.‹
»Sie sehen nun schon,« fuhr der Sizilianer fort, »wohin uns dieses führte. Ich bemühte mich, die Bedenklichkeiten des Ritters zu zerstreuen, welches mir endlich auch gelang. Es ward beschlossen, den Geist des Verstorbenen zu zitieren, wobei ich mir nur vierzehn Tage Frist ausbedingte, um mich, wie ich vorgab, würdig darauf vorzubereiten. Nachdem dieser Zeitraum verstrichen und meine Maschinen gehörig gerichtet waren, benutzte ich einen schauerlichen Abend, wo die Familie auf die gewöhnliche Art um mich versammelt war, ihr die Einwilligung dazu abzulocken oder sie vielmehr unvermerkt dahin zu leiten, daß sie selbst diese Bitte an mich tat. Den schwersten Stand hatte man bei der jungen Gräfin, deren Gegenwart doch so wesentlich war; aber hier kam uns der schwärmerische Flug ihrer Leidenschaft zur Hülfe, und vielleicht mehr noch ein schwacher Schimmer von Hoffnung, daß der Totgeglaubte noch lebe und auf den Ruf nicht erscheinen werde. Mißtrauen in die Sache selbst, Zweifel in meine Kunst war das einzige Hindernis, welches ich nicht zu bekämpfen hatte.
»Sobald die Einwilligung der Familie da war, wurde der dritte Tag zu dem Werke angesetzt. Gebete, die bis in die Mitternacht verlängert werden mußten, Fasten, Wachen, Einsamkeit und mystischer Unterricht waren, verbunden mit dem Gebrauch eines gewissen noch unbekannten musikalischen Instruments, das ich in ähnlichen Fällen sehr wirksam fand, die Vorbereitungen zu diesem feierlichen Akt, welche auch so sehr nach Wunsche einschlugen, daß die fanatische Begeisterung meiner Zuhörer meine eigne Phantasie erhitzte und die Illusion nicht wenig vermehrte, zu der ich mich bei dieser Gelegenheit anstrengen mußte. Endlich kam die erwartete Stunde –«
»Ich errate,« rief der Prinz, »wen Sie uns jetzt aufführen werden. – Aber fahren Sie nur fort – fahren Sie fort –«
»Nein, gnädigster Herr. Die Beschwörung ging nach Wunsche vorüber.«
»Aber wie? Wo bleibt denn der Armenier?«
»Fürchten Sie nicht,« antwortete der Sizilianer, »der Armenier wird nur zu zeitig erscheinen.
»Ich lasse mich in keine Beschreibung des Gaukelspiels ein, die mich ohnehin auch zu weit führen würde. Genug, es erfüllte alle meine Erwartungen. Der alte Marchese, die junge Gräfin nebst ihrer Mutter, der Chevalier und noch einige Verwandte waren zugegen. Sie können leicht denken, daß es mir in der langen Zeit, die ich in diesem Haus zugebracht, nicht an Gelegenheit werde gemangelt haben, von allem, was den Verstorbenen anbetraf, die genaueste Erkundigung einzuziehen. Verschiedne Gemälde, die ich da von ihm vorfand, setzten mich in den Stand, der Erscheinung die täuschendste Ähnlichkeit zu geben, und weil ich den Geist nur durch Zeichen sprechen ließ, so konnte auch seine Stimme keinen Verdacht erwecken. Der Tote selbst erschien in barbarischem Sklavenkleid, eine tiefe Wunde am Halse. Sie bemerken,« sagte der Sizilianer, »daß ich hierin von der allgemeinen Mutmaßung abging, die ihn in den Wellen umkommen lassen, weil ich Ursache hatte zu hoffen, daß gerade das Unerwartete dieser Wendung die Glaubwürdigkeit der Vision selbst nicht wenig vermehren würde; so wie mir im Gegenteil nichts gefährlicher schien als eine zu gewissenhafte Annäherung an das Natürliche.«
»Ich glaube, das dies sehr richtig geurteilt war,« sagte der Prinz, indem er sich zu uns wendete. »In einer Reihe außerordentlicher Erscheinungen müßte, deucht mir, just die wahrscheinlichere stören. Die Leichtigkeit, die erhaltene Entdeckung zu begreifen, würde hier nur das Mittel, durch welches man dazu gelangt war, herabgewürdiget haben; die Leichtigkeit, sie zu erfinden, dieses wohl gar verdächtig gemacht haben; denn wozu einen Geist bemühen, wenn man nichts Weiteres von ihm erfahren soll, als was auch ohne ihn, mit Hülfe der bloß gewöhnlichen Vernunft, herauszubringen war? Aber die überraschende Neuheit und Schwierigkeit der Entdeckung ist hier gleichsam eine Gewährleistung des Wunders, wodurch sie erhalten wird – denn wer wird nun das Übernatürliche einer Operation in Zweifel ziehen, wenn das, was sie leistete, durch natürliche Kräfte nicht geleistet werden kann? – Ich habe Sie unterbrochen,« setzte der Prinz hinzu. »Vollenden Sie Ihre Erzählung.«
»Ich ließ,« fuhr dieser fort, »die Frage an den Geist ergehen, ob er nichts mehr sein nenne auf dieser Welt und nichts darauf hinterlassen habe, was ihm teuer wäre? Der Geist schüttelte dreimal das Haupt und streckte einer seiner Händen gen Himmel. Ehe er wegging, streifte er noch einen Ring vom Finger, den man nach seiner Verschwindung auf dem Fußboden liegend fand. Als die Gräfin ihn genauer ins Gesicht faßte, war es ihr Trauring.«
»Ihr Trauring!« rief der Prinz mit Befremdung.
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