»Ihr Trauring! Aber wie gelangten Sie zu diesem?«
»Ich – – – Es war nicht der rechte, gnädigster Prinz – – Ich hatte ihn – – Es war nur ein nachgemachter –«
»Ein nachgemachter!« wiederholte der Prinz. »Zum Nachmachen brauchten Sie ja den rechten, und wie kamen Sie zu diesem, da ihn der Verstorbene gewiß nie vom Finger brachte?«
»Das ist wohl wahr,« sagte der Sizilianer, nicht ohne Zeichen der Verwirrung – »aber aus einer Beschreibung, die man mir von dem wirklichen Trauring gemacht hatte –«
»Die Ihnen wer gemacht hatte?«
»Schon vor langer Zeit,« sagte der Sizilianer – – »Es war ein ganz einfacher goldner Ring, mit dem Namen der jungen Gräfin, glaub' ich – – Aber Sie haben mich ganz aus der Ordnung gebracht –«
»Wie erging es weiter?« sagte der Prinz mit sehr unbefriedigter und zweideutiger Miene.
»Jetzt hielt man sich für überzeugt, daß Jeronymo nicht mehr am Leben sei. Die Familie machte von diesem Tag an seinen Tod öffentlich bekannt und legte förmlich die Trauer um ihn an. Der Umstand mit dem Ringe erlaubte auch Antonien keinen Zweifel mehr und gab den Bewerbungen des Chevalier einen größern Nachdruck. Aber der heftige Eindruck, den diese Erscheinung auf sie gemacht, stürzte sie in eine gefährliche Krankheit, welche die Hoffnungen ihres Liebhabers bald auf ewig vereitelt hätte. Als sie wieder genesen war, bestand sie darauf, den Schleier zu nehmen, wovon sie nur durch die nachdrücklichsten Gegenvorstellungen ihres Beichtvaters, in welchen sie ein unumschränktes Vertrauen setzte, abzubringen war. Endlich gelang es den vereinigten Bemühungen dieses Mannes und der Familie, ihr das Jawort abzuängstigen. Der letzte Tag der Trauer sollte der glückliche Tag sein, den der alte Marchese durch Abtretung aller seiner Güter an den rechtmäßigen Erben noch festlicher zu machen gesonnen war.
»Es erschien dieser Tag, und Lorenzo empfing seine bebende Braut am Altare. Der Tag ging unter, ein prächtiges Mahl erwartete die frohen Gäste im hellerleuchteten Hochzeitssaal, und eine lärmende Musik begleitete die ausgelassene Freude. Der glückliche Greis hatte gewollt, daß alle Welt seine Fröhlichkeit teilte; alle Zugänge zum Palaste waren geöffnet, und willkommen war jeder, der ihn glücklich pries. Unter diesem Gedränge nun –«
Der Sizilianer hielt hier inne, und ein Schauder der Erwartung hemmte unsern Odem – –
»Unter diesem Gedränge also,« fuhr er fort, "ließ mich derjenige, welcher zunächst an mir saß, einen Franziskanermönch bemerken, der unbeweglich wie eine Säule stand, langer hagrer Statur und aschbleichen Angesichts, einen ernsten und traurigen Blick auf das Brautpaar geheftet. Die Freude, welche ringsherum auf allen Gesichtern lachte, schien an diesem einzigen vorüberzugehen, seine Miene blieb unwandelbar dieselbe, wie eine Büste unter lebenden Figuren. Das Außerordentliche dieses Anblicks, der, weil er mich mitten in der Lust überraschte und gegen alles, was mich in diesem Augenblick umgab, auf eine so grelle Art abstach, um so tiefer auf mich wirkte, ließ einen unauslöschlichen Eindruck in meiner Seele zurück, daß ich dadurch allein in den Stand gesetzt worden bin, die Gesichtszüge dieses Mönchs in der Physiognomie des Russen (denn Sie begreifen wohl schon, daß er mit diesem und Ihrem Armenier eine und dieselbe Person war) wiederzuerkennen, welches sonst schlechterdings unmöglich würde gewesen sein. Oft versucht' ich's, die Augen von dieser schreckhaften Gestalt abzuwenden, aber unfreiwillig fielen sie wieder darauf und fanden sie jedesmal unverändert. Ich stieß meinen Nachbar an, dieser den seinigen; dieselbe Neugierde, dieselbe Befremdung durchlief die ganze Tafel, das Gespräch stockte, eine allgemeine plötzliche Stille; den Mönch störte sie nicht. Der Mönch stand unbeweglich und immer derselbe, einen ernsten und traurigen Blick auf das Brautpaar geheftet. Einen jeden entsetzte diese Erscheinung; die junge Gräfin allein fand ihren eigenen Kummer im Gesicht dieses Fremdlings wieder und hing mit stiller Wollust an dem einzigen Gegenstand in der Versammlung, der ihren Gram zu verstehen, zu teilen schien. Allgemach verlief sich das Gedränge, Mitternacht war vorüber, die Musik fing an, stiller und verlorner zu tönen, die Kerzen dunkler und endlich nur einzeln zu brennen, das Gespräch leiser und immer leiser zu flüstern – und öder ward es und immer öder im trüb erleuchteten Hochzeitssaal; der Mönch stand unbeweglich und immer derselbe, einen stillen und traurigen Blick auf das Brautpaar geheftet.
»Die Tafel wird aufgehoben, die Gäste zerstreuen sich dahin und dorthin, die Familie tritt in einen engeren Kreis zusammen; der Mönch bleibt ungeladen in diesem engern Kreis. Ich weiß nicht, woher es kam, daß niemand ihn anreden wollte; niemand redeten ihn an. Schon drängen sich ihre weiblichen Bekannten um die zitternde Braut herum, die einen bittenden, Hülfe suchenden Blick auf den ehrwürdigen Fremdling richtet; der Fremdling erwiderte ihn nicht.
»Die Männer sammeln sich auf gleiche Art um den Bräutigam – Eine gepreßte erwartungsvolle Stille – ,Daß wir untereinander da so glücklich sind,‹ hub endlich der Greis an, der allein unter uns allen den Unbekannten nicht zu bemerken oder sich doch nicht über ihn zu verwundern schien: ›Daß wir so glücklich sind,‹ sagte er, ›und mein Sohn Jeronymo muß fehlen!‹
»›Hast du ihn denn geladen, und er ist ausgeblieben?‹ – fragte der Mönch. Es war das erste Mal, daß er den Mund öffnete. Mit Schrecken sahen wir ihn an.
»›Ach! er ist hingegangen, wo man auf ewig ausbleibt,‹ versetzte der Alte. ›Ehrwürdiger Herr, Ihr versteht mich unrecht. Mein Sohn Jeronymo ist tot.‹
»›Vielleicht fürchtet er sich auch nur, sich in solcher Gesellschaft zu zeigen,‹ fuhr der Mönch fort – ›Wer weiß, wie er aussehen mag, dein Sohn Jeronymo! – Laß ihn die Stimme hören, die er zum letzten Mal hörte! – Bitte deinen Sohn Lorenzo, daß er ihn rufe.‹
»›Was soll das bedeuten?‹ murmelte alles. Lorenzo veränderte die Farbe. Ich leugne nicht, daß mir das Haar anfing zu steigen.
»Der Mönch war unterdessen zum Schenktisch getreten, wo er ein volles Weinglas ergriff und an die Lippen setzte – ›Das Andenken unsers teuern Jeronymo!‹ rief er. ›Wer den Verstorbenen lieb hatte, tue mir's nach.‹
»›Woher Ihr auch sein mögt, ehrwürdiger Herr,‹ rief endlich der Marchese, ›Ihr habt einen teuern Namen genannt. Seid mir willkommen! – Kommt, meine Freunde!‹ (indem er sich gegen uns kehrte und die Gläser herumgehen ließ) ›laßt einen Fremdling uns nicht beschämen! – Dem Andenken meines Sohnes Jeronymo.‹
»Nie, glaube ich, ward eine Gesundheit mit so schlimmem Mute getrunken.
»›Ein Glas steht noch voll da – Warum weigert sich mein Sohn Lorenzo, auf diesen freundlichen Trunk Bescheid zu tun?‹
»Bebend empfing Lorenzo das Glas aus des Franziskaners Hand – bebend brachte er's an den Mund – ›Meinem vielgeliebten Bruder Jeronymo!‹ stammelte er, und schauernd setzte er's nieder.
»›Das ist meines Mörders Stimme,‹ rief eine fürchterliche Gestalt, die auf einmal in unsrer Mitte stand, mit bluttriefendem Kleide und entstellt von gräßlichen Wunden. – –
»Aber um das Weitere frage man mich nicht mehr,« sagte der Sizilianer, alle Zeichen des Entsetzens in seinem Angesicht. »Meine Sinne hatten mich von dem Augenblicke an verlassen, als ich die Augen auf die Gestalt warf, so wie jeden, der zugegen war.
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